Samstag, Juli 27, 2024

Österreich braucht keine Mitte

In ganz Europa steht die Politik vor großen Entscheidungen. Dazu bilden sich Blöcke rechts und links der alten Mitte. Die ÖVP hat sich für den Rechtsblock entschieden, die SPÖ bereitet ihre Entscheidung vor. Die alte „Mitte“ ist nur noch der Ort, an dem das alles vernebelt wird.

Wien, 30. April 2023 Eine Bank wird überfallen, die Bankräuber ziehen mit der Beute ab. Schnell stellt sich heraus, dass die Bande polizeibekannt ist. Auf der anderen Straßenseite stehen drei Autos im Halteverbot. Wenn am nächsten Tag drei fehlende Strafzettel im Mittelpunkt des öffentlichen Interesses stehen, weiß man: Wir sind in Österreich.

Neben einer langen Liste prominenter Mitglieder führt die WKStA auch die Partei „ÖVP“ als Beschuldigte. Seit dem Jahr 2000, von Eurofighter bis Ibiza, hat sie sich den Begriff „Bande“ redlich verdient.

Die „Delikte“ der SPÖ sind schnell aufgezählt: politische Kurzsichtigkeit, bürokratische Verbohrtheit, Orientierungslosigkeit. Das „S“ in ihrem Namen steht seit Jahren für „Schlafzimmer“ und neuerdings auch für „Streithansl“.

Seit Wochen gelten fast alle öffentlichen Sorgen der Zukunft der SPÖ. Ist eine Partei, die nach einer neuen Strategie und einer neuen Führung sucht, zum Untergang verdammt? In wenigen Wochen hat die SPÖ wahrscheinlich eine neue Führung und damit plötzlich wieder die Chance auf Zukunft.

Bei der ÖVP ist das anders. Ob eine Partei, bei der nicht mehr klar ist, ob das „V“ in der Namensmitte für „Volk“ oder „Verbrecher“ steht, untergeht, fragt sich öffentlich niemand.

Professionell

Aber vielleicht gilt die Sorge der Kommentatoren nicht der Schwere der Delikte, sondern der Professionalität? Da hätte man sich bis in den Herbst 2021 allerdings nur um die SPÖ sorgen müssen. Von Amtsmissbrauch bis Untreue verriet die Art, wie die mutmaßlichen Verbrechen der ÖVP begangen wurden, viel über das handwerkliche Können der Täter aus ÖVP und FPÖ.

Erst seit dem Kurz-Sturz stümpert dessen Nachfolger von einer Lachnummer zur anderen. Trotzdem wird seine Politik ernst genommen. Und auch da haben Kommentatoren recht. Nach den Entscheidungen in St. Pölten und Salzburg ist die ÖVP auf Kurs. Ihr Ziel ist der Rechtsblock mit der FPÖ, mit Landbauer, Waldhäusl, Svazek und Kickl.

Keine Mitte

Die SPÖ steht noch vor der Entscheidung, ob sie die Herausforderung annimmt. Viele in der Nomenklatura der Partei wollen die SPÖ mit Pamela Rendi-Wagner „in der Mitte“ halten. Dabei haben sie eines übersehen: Die „Mitte“ ist nicht mehr das Zentrum, in dem sich eine rechte und eine linke Volkspartei ihre Kompromisse aushandeln. Die „Mitte“ ist das Niemandsland. Die großen Entscheidungen werden wie immer zwischen zwei Polen getroffen. In Zeiten der Entscheidungen gibt es keine Mitte, und es ist auch keine nötig.

Die Zeiten der Mitte waren die Zeiten, in denen Kuchen und mit ihnen Kuchenstücke wuchsen. Diese Zeiten sind vorbei. Ohne Verteilungskampf besagen die neuen Regeln, dass alles nach oben geht und von unten genommen wird. Aber die härtesten Verteilungskämpfe stehen bevor, weil es bei ihnen um etwas geht, das nicht wie Geld vermehrt werden kann. Das Wasser reicht auch in Europa nicht mehr für alles. Die Zeit der vorsorgenden Lösungen ist verspielt, jetzt haben die Kämpfe zwischen den Verbrennern von Treibstoffen und Steuergeldern und den Verteidigern der Lebensrechte der kommenden Generationen begonnen.

Ein französischer Gewerkschafter hat kürzlich auf „Arte“ erklärt, dass die Kämpfe seiner Generation um die Altersversorgung vielleicht erst das Vorspiel seien zu ganz anderen Kämpfen, zu denen er „die Jungen“ auf den Straßen erwartet. Im Gegensatz zu seinesgleichen seien sie nicht in Regelwerke und Institutionen eingebunden. „Wenn die Jungen auf die Straße gehen, weiß niemand, was passiert.“ So war es auch vor 1968, als fast alle glaubten, dass alles so bleiben würde, weil es lange Zeit so war.

Der Befund scheint für ganz Europa klar. Aber nur in Österreich wird er weggeschrieben und durch einen Fehlbefund ersetzt: „Von links und rechts wird die Mitte bedrängt“. Die Mitte – das ist natürlich die ÖVP und, wenn es sein muss, auch die SPÖ. Der Befund ist reine Propaganda. Die ÖVP ist Teil eines rechten Blocks, und die SPÖ steht vor der Entscheidung, ob sie sich am Aufbau des Gegenpols beteiligt. In der Mitte sitzen ein paar Kommentatoren und werben für eine vergangene Zeit.

SPÖ – und?

Nicht nur in Österreich bilden sich Pole. In vielen Ländern haben die Blöcke der Rechten einen Vorsprung. Aber entschieden ist noch nichts, auch nicht in Österreich.

Von sozialer Gerechtigkeit bis Klimaschutz, von Europa bis COVID, von Pflege bis Bildung und von Menschenrechten bis Pressefreiheit ist klar, wofür die türkis-blaue Rechte steht. Bei Doskozil und Babler scheint zumindest sicher, dass sie mit dem Rechtsblock um die Macht kämpfen wollen. Gemessen am Tempo sozialdemokratischer Entwicklungen kommt damit ein Meilenstein in Sicht.

Aber eines steht auch fest: Die neue Führung der SPÖ will zurück zu den Wurzeln. Damit kann sie Wahlen gewinnen, weil die nächste Nationalratswahl über Lebensfragen wie Mieten, Heizkosten und Spitalsbetten entschieden wird. Um die Überlebensfragen „Klimaschutz“ und „Freiheit“ müssen sich jenseits poppig-glatter Bierverkäufer andere kümmern. Welche Rolle da erfolgreiche Grüne, die als „Kommunisten“ verkleidet Wahlen gewinnen, spielen, ob dazu die Grünen ohne Altlasten wie Eva Blimlinger etwas beitragen, ob sich ganz andere Leute aus Öko-Bewegungen und aus Volksbegehren zusammentun, das wird wohl das nächste Jahr zeigen.

Jetzt wünsche ich allen einen schönen Sonntag und einen gesegneten 1. Mai.

p.s.: Früher, als ich noch klein war, hat man versucht, mit Gesetzen gegen „Schmutz und Schund“ vorzugehen. Heute wird Schmutz und Schund mit Presseförderung und Regierungsinseraten stark gemacht. Dafür wird die „Wiener Zeitung“ zugesperrt und „ZackZack“ ausgehungert.

Ich weiß nicht, ob wir es schaffen. Ich weiß nur, dass wir vom türkis-grünen Staat nichts kriegen. Daher freue ich mich gerade jetzt über jede Unterstützung.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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