Mittwoch, Oktober 9, 2024

Falsche Tränen und falscher Streit

Im Kampf um die SPÖ-Spitze ist Andi Babler dabei, das gemeinsame Fundament mit Doskozil zu zerstören. Es sind eher die Falschen, die das gut finden.

Wien, 28. Mai 2023  Im Streit um die Führung der SPÖ gibt es zwei Positionen, die ich verstehe:

Position 1: Es kann so weitergehen wie bisher. Daher soll die Spitze der SPÖ weitermachen. Diese Position haben Pamela Rendi-Wagner, Christian Deutsch und Michael Ludwig vertreten. Sie war nicht mehr haltbar.

Position 2: Es kann nicht so weitergehen wie bisher. Daher braucht die SPÖ neben einer neuen Strategie eine neue Spitze. Das war die Position von Hans Peter Doskozil und Andi Babler.

Doskozil hat Position 2 durchgesetzt. Ohne ihn wäre es weiter geradewegs in eine historische Niederlage gegangen. Andi Babler wollte dasselbe, aber sein damaliges politisches Gewicht hätte wohl nicht für den Wechsel an der Spitze der Partei genügt. Der Aufbruch der SPÖ ist Doskozils Verdienst.

Als sich Rendi-Wagners Sturz abzeichnete, ist Babler aus Doskozils Windschatten getreten und hat seinen eigenen Anspruch auf die Führung der SPÖ angemeldet. Damit hat er die müde Partei in Bewegung gebracht und Tausende motiviert, mitzumachen. Das ist das Verdienst von Babler.

Doskozil stört

In einer offenen, demokratischen Partei würden beide jetzt an ihren Programmen, ihren Strategien und ihren Chancen gemessen werden. Aber genau das passiert in der SPÖ nicht. Dafür gibt es einen Grund, und der heißt nach wie vor „Liesinger SPÖ“. Der Name steht für eine Gruppe, die sich gegen andere in einem zähen Kampf die Macht gesichert hat. Nach wie vor ist der Erhalt der Macht in Wien das treibende Motiv dieser Gruppe. Aus dieser Sicht hält sie Babler für ein überschaubares und Doskozil für ein unnötig großes Risiko. Daher – und nicht aus „politischen“ Gründen – setzt sie auf Babler. Er stört sie nicht. Das reicht.

Andi Babler war erst vor wenigen Wochen bei mir im „Salon Pilz“. Er weiß, dass ich ihn und sein Engagement schätze. Nach wie vor bin ich überzeugt, dass es Babler und Doskozil nur gemeinsam gegen den drohenden Rechtsblock aus Kickl und ÖVP schaffen können. Die politischen Unterschiede zwischen beiden sind gering, beide sind Populisten im guten Sinn des Wortes. Nicht einmal in der Asyl- und Einwanderungspolitik gibt es nennenswerte Differenzen. Aber seit einigen Tagen ist Andi Babler dabei, diese Chance zu zerstören.

Es gibt eine Passage in einem Babler-Interview im „Standard“: „Ich bin in das Match eingestiegen, als die Demontage von Rendi-Wagner schon gelaufen ist. Sie war brutal, ich finde sie skandalös. Wie die Auseinandersetzung geführt wurde, ist auch ein Angriff auf die Frauen in der SPÖ. Aber ich kandidiere, weil es jetzt möglich war. Ich war nicht aktiv an der Demontage der Parteivorsitzenden beteiligt.“

Falsche Tränen

Babler selbst weiß, dass das nicht stimmt. „Die Performance sei desaströs. Die Partei müsse sich programmatisch wie auch personell komplett neu aufstellen.“ Das richtete Babler seiner Parteivorsitzenden schon am 23. Februar 2020 im „Kurier“ aus. Die „Demontage“ von Rendi-Wagner war zu diesem Zeitpunkt alles andere als „gelaufen“. Drei Jahre lang waren Babler und Doskozil die zwei, die die Ablöse der Parteichefin öffentlich vorbereiteten. Doskozil steht dazu. Nur Babler versucht jetzt, mit falschen Tränen am politischen Grab der Vorsitzenden Stimmung und Stimmen unter Wiener Genossen und SPÖ-Frauen zu machen.

Es ist auch nicht notwendig, die burgenländischen Sozialdemokraten im „Standard“-Interview öffentlich zu verhöhnen. „Man kann burgenländische Beteiligungsmöglichkeiten mitdiskutieren. Von der Initiative, die Kindern Skikurse ermöglicht, bis zur Expertise über Biogemüseförderung.“ So sprechen Kandidaten, die sich ihrer Sache zu sicher sind.

Ich weiß nicht, ob Babler das alles zu Ende gedacht hat. Er sollte wissen, dass der große Kurswechsel in der SPÖ erst bevorsteht und auf  massive Widerstände stoßen wird. Nach dem Parteitag ist die SPÖ keine Siegerpartei, sondern im besten Fall eine Partei, die sich ihre letzte Chance bewahrt hat.

Neue Freunde, alte Feinde

Aber Babler ist dabei, die gemeinsame Basis mit Doskozil und seinen Unterstützerinnen zu zerstören. Er riskiert, dass sich Doskozil nach Wochen persönlicher Unterstellungen im Fall einer Niederlage nach Eisenstadt zurückzieht. Sicher, das würde viele freuen: die „Linken“ in der SPÖ, die noch immer nicht zwischen Doskozil und einem Freiheitlichen unterscheiden können, die Liesinger Partie, die Industriellenvereinigung, Raiffeisen, ÖVP und FPÖ.

Sollte Babler gegen Doskozil gewinnen, würde er schnell merken, dass die meisten seiner neuen Freunde wieder seine alten Feinde sind. Aber dann haben sich ÖVP und FPÖ von St. Pölten und Salzburg bis Wien längst geeinigt. Dann ist der blau-türkise Zug auf Schiene. Dann ist es zu spät.

p.s.: In wenigen Monaten werden wir im Blick zurück vielleicht einen Plan ausmachen können: Stufe 1 – Dosko ausschalten: “Der Störenfried muss weg”. Stufe 2 – Babler demontieren: “Mit einem Marxisten gewinnen wir keinen Blumentopf.” Stufe 3: Der “Neue”. Ich kann mir jetzt schon vorstellen, aus welchem Hut er gezogen wird.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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