Ein Geständnis bringt es ans Licht. Nun ist klar, wer an der Einstellung der Buslinie 75A, an den Wahlsiegen von Ronald Reagan und am Ende der Wiener Zeitung Schuld trägt: “Ich”, sagt Daniel Wisser.
Wien | »Die Ursache allen Übels bin ich selbst«, sagte Thomas Bernhard im Jahr 1986 in einem ausführlichen Gespräch mit Krista Fleischmann. Ein Interview, das Geschichte geschrieben hat, wie es Literatur im Fernsehen heute nur mehr selten vermag. Warum ist das so? Ich gestehe offen: Ich bin daran schuld.
Ich begann zu arbeiten und richtete meine Firmen zugrunde
Als ich Anfang der Siebzigerjahre in den Kindergarten kam, wurde mir nach wenigen Wochen mitgeteilt, dass der Kindergarten bald geschlossen werden müsse. Er wurde zwar – nachdem wir monatelang in einer provisorischen Unterbringung betreut worden waren – an anderer Stelle wieder eröffnet; aber ich hatte damals das Gefühl, dass er nicht mehr derselbe war. Es ging weiter, aber nur irgendwie.
Als sich dasselbe Szenario in der Volksschule wiederholte, war ich sicher, dass es an mir lag. Ausweichquartiere, Provisorien, Einstellungen, Umzüge, Pleiten – ich zog sie an wie die Fliegen. Nein: Ich verursachte sie. Ich begann mein Germanistikstudium in Wien noch in den Institutsräumen in der Hanuschgasse, doch die Hanuschgasse wurde natürlich bald aufgelöst. Als ich 1989 nach Wien zog, besuchte ich als erstes Kino das Albert-Kino im achten Bezirk. Kurz darauf war es Geschichte. Statt des Kinos zog dort ein McDonald’s ein. Ich begann zu arbeiten und richtete die Firmen, die mich anstellten, zugrunde.
Weniger Verbrechen
2004 nahm ich eine Stelle in der IT der BAWAG PSK an. Doch schon bald kam der REFCO-Skandal, andere Skandale folgten und die Bank wurde verkauft. Schuld daran war ich. Ich bin für den Abriss des Südbahnhofs verantwortlich, für die Konsum-Pleite, beide Wahlsiege von Ronald Reagan, die Einstellung der Buslinie 75A nach Erdberg und ich habe die Buchhandlung Gerold am Graben auf dem Gewissen. Das Weinhaus Aellig in der Quellenstraße, in dem der legendäre Herr Wickerl regierte, musste wegen mir schließen, und dem Pluto wurde der Planetenstatus aberkannt. Jetzt habe ich noch dazu das Ende der Wiener Zeitung verschuldet. Und ich höre mit Sorge von der Sorge um das Weiterbestehen von ZackZack.
Viele behaupten, Schuld sei ein katholisches Konzept. Es ist aber bemerkenswert, wie großzügig besonders katholische Österreicher oder österreichische Katholiken damit umgehen. Anders gesagt: Hätten manche von Österreichs großen Konservativen und Katholiken Vorbildfunktion, so gäbe es in diesem Land viel weniger Verbrechen – nicht, weil die Verbrechen nicht begangen würden, sondern weil sie nicht bestraft würden.
Herrliche Zeiten für Ladendiebe
Die ORF-Politanalytikerin, Unternehmerin und Ministerin Sophie Karmasin etwa wurde von der Anklage des Betrugs freigesprochen, weil sie rechtswidrig erhaltene Bezüge zurückgezahlt und damit tätige Reue gezeigt habe. So urteilte ein österreichisches Gericht. Es brechen herrliche Zeiten für Ladendiebe an. Alles, was sie tun müssen, wenn sie ertappt werden, ist, die entwendeten Artikel in tätiger Reue wieder auf ihren Platz ins Regal zurückzulegen. Sie können sich jederzeit auf den Präzedenzfall Karmasin berufen. Ich hätte damit große Freude, denn an jedem Ladendieb, der gar keiner ist, weil er ja tätige Reue zeigt, bin ich somit nicht schuld.
Je größer die Summen sind, um die eine österreichische Politikerin oder ein österreichischer Politiker die Steuerzahlenden betrogen hat, desto kleiner die Strafen. Der Ablass, der seit 1562 überhaupt gratis ist, wird schnell erteilt. Die Kirche ist besonders großzügig und gnädig, wenn es um Kindesmissbrauch und Mittäterschaft beim Massenmord der Nationalsozialisten geht. Sie hat – das muss man ihr lassen – nicht das Vergehen im Auge, sondern die Nähe des Menschen zu Gott.
Als ich sieben war, erklärte mir unser katholischer Pfarrer die Beichte: Der Mensch sei mit Gott verbunden wie mit einem unsichtbaren Seil; durch die Sünde würde das Seil gekappt und die Verbindung zu Gott getrennt. Bei der Beichte aber würden beide Enden wieder verknotet. Was geschähe aber beim Verknoten? Das Seil würde dadurch kürzer und der sündige Mensch sei nach der Beichte Gott näher als zuvor. Ich überlegte und fragte den Pfarrer, ob also häufiges Sündigen und darauffolgendes Beichten der beste Weg wäre, um Gott näher zu kommen. Für diese Frage erhielt ich eine Ohrfeige.
Der Optimismus der Achtundsechziger
Ich bin natürlich selbst schuld an dieser Ohrfeige. Ich habe sie ausgelöst, durch den naiven Versuch, eine Gesetzmäßigkeit festzustellen, die mir Gewissheit gibt. Und das ist wohl der grundlegende Fehler meiner Haltung, einer in meiner Generation zu stark verbreiteten Haltung. Viele Menschen meiner Generation sind in dem Glauben aufgewachsen, Demokratie, Aufklärung, Freiheit, Bildung und Fortschritt würden stets steigen und wachsen. Alles wird immer besser, ohne dass man etwas dafür tun muss – dieser naive Optimismus der Achtundsechziger hielt auch noch nach 1979 an, als die Weltpolitik längst keinen Anlass mehr dazu gab.
Erst jetzt, in der Zeit, in der die Gegner der Demokratie den selbstherrlichen Westen erobern und ihn nach unten ziehen ins Bodenlose, sind die Aporien der Freiheits- und Friedens- und Ökologiebewegungen, die viel heterogener sind, als man angenommen hat, besser zu erkennen. Sie wurden nicht bemerkt, als diese Bewegungen Feinde des Establishments waren. Jetzt, wo viele von ihren Mitgliedern dem Establishment angehören, entlarven sie sich.
Broken Hearts Are for Assholes
Doch daraus darf man keine falsche Schlüsse ziehen. Der allgemeine und verallgemeinernde Befund, alles sei immer so gewesen wie jetzt, ist falsch. Er ist sachlich falsch. Und er ist moralisch falsch. Das ehrliche und aufrichtige Mitwirken jedes Einzelnen an der Gesellschaft, ist das Einzige, was die Gesellschaft braucht. Sich schweigend, verbittert, zynisch oder mit gebrochenem Herzen zurückzuziehen, nützt niemandem, am wenigsten dem, der sich zurückzieht. Broken Hearts Are for Assholes, sang Frank Zappa einst.
Ich möchte mich nicht nur nicht zurückziehen. Ich möchte auch, dass ich einmal – nur ein einziges Mal – nicht an einem Unheil schuld bin. Ich möchte, dass ZackZack weiterlebt. Wir haben so viele wichtige Medien verloren, wie die Wiener Zeitung. Andere, wie das profil – das einmal das wichtigste Medium bei der Aufarbeitung von Korruption, Skandalen und bei der Bewältigung der österreichischen NS-Vergangenheit war – sind heute parteinahe Medien geworden. Wir wissen, was von ihnen zu erwarten ist: Nichts.
Demokratische Kontrolle
Es mag in dieser kurzen Zeit viele Fehler, Schwierigkeiten, Blödheiten und Tollpatschigkeiten bei ZackZack gegeben haben. Es hat aber entscheidende Beiträge geliefert. Entscheidende Beiträge etwa dazu, dass wir erfahren haben, was Frau Karmasin mit unserem Steuergeld gemacht hat. Das ist demokratische Kontrolle durch die vierte Gewalt.
Wenn es ZackZack nicht mehr geben sollte, ist das für Österreich ein Übel. Die Ursache allen Übels bin ich selbst. Ich würde also auch in diesem Fall die Schuld auf mich nehmen. Dann bleibt mir nur mehr, der ÖVP beizutreten. Das wir diese Partei nicht überleben.
Titelbild: ZackZack/Miriam Mone