Samstag, Juli 27, 2024

SPÖ-Wahlchaos: „Sie können nicht einmal bis elf zählen“

Der „kleine Fehler“ um die eine Stimme wurde schon am SPÖ-Parteitag entdeckt. Hätten Delegierte auf ein korrektes Ergebnis bestanden, wäre der verheerende große Fehler wahrscheinlich verhindert worden.

Am Samstag, den 3. Juni, ließ die SPÖ in Linz wählen. Ihre Wahlkommission hatte Urnen in elf „Wahlstraßen“ aufstellen lassen. Neben jeder einzelnen waren Kontrollore der beiden Lager postiert. Ludwig-Aufpasser standen neben Doskozil-Aufpassern. Die Aufgabe von Kommission und Aufpassern war denkbar einfach: Sie sollten pro „Wahlstraße“ rund 55 Stimmen aus den grauen Urnen entnehmen und dann aus- und zusammenzählen. An dieser Aufgabe sind sie gescheitert.

Um 14.30 Uhr wurde gewählt. 603 Delegierte stellten sich an. Der einzige Wahlgang war schnell vorbei. Die Urnen der elf Wahlstraßen wurden geöffnet, die Stimmzettel gezählt. Elf Protokolle wurden verfasst und unterschrieben. Dann wurden die einzelnen Ergebnisse einem Mitarbeiter diktiert. Er sollte sie in eine Excel-Tabelle eingeben. Heute weiß niemand mehr, warum, weil es bei vielen SPÖ-Wahlen weit einfacher gegangen war: die Teilergebnisse addieren, prüfen, ob die Gesamtsumme der abgegebenen Stimmen mit der Summe der drei Teilergebnisse – Stimmen für Babler, Stimmen für Doskozil, ungültige Stimmen – übereinstimmt, dann alles noch einmal, und wenn zwei Mal dasselbe Ergebnis herauskommt, dieses an das Präsidium weiterleiten.

Alarm im „Wiener Sektor“

Dabei gibt es eine Grundregel: Wenn die Summen nicht übereinstimmen, ist es zu einem Fehler gekommen. Er muss gesucht werden, weil die Größe der Abweichung nichts über die Größe des Fehlers aussagt – und weil nur ein fehlerloses Ergebnis korrekt ist.

Um 15.32 Uhr wurde das Ergebnisses verkündet. Im „Wiener Sektor“, so berichten zwei Delegierte, fiel sofort auf, dass die Zahlen nicht stimmen konnten. Auf der Rückfahrt vom Parteitag erfuhren Doskozil-Vertraute von Parteifreunden aus der Hauptstadt in einer Autobahn-Raststätte, dass die Wiener einen Fehler entdeckt hätten.

Kurz nach der Verlautbarung des Ergebnisses war der kleine Fehler mit der einen Stimme im „Wiener Sektor“ bekannt. Aber der große Fehler, der aus dem Sieger einen Verlierer und aus dem Verlierer den Sieger gemacht hatte, hätte schon an den Urnen entdeckt werden müssen. „Wenn Babler acht von elf Wahlstraßen gewinnt, kann am Ende nicht Doskozil der Sieger sein“, berichtet mir ein Delegierter, dem der kleine Fehler sofort aufgefallen war.

Trotzdem wurde weitergemacht. Als in Rekordzeit ein Ergebnis verkündet wurde, wussten nur wenige, dass es falsch sein musste. Aber keiner ahnte, wie falsch es wirklich war. Das war auch der Grund, warum die Ludwig-Aufpasser trotz ihre tiefen Abneigung gegen Sieger Doskozil keinen Alarm schlugen.

Alle waren froh, dass sie den langen Streit um den Vorsitz hinter sich hatten. Fast alle hatten mit einem Doskozil-Sieg gerechnet. Ob Babler mit einer Stimme mehr verloren hatte, war einigen offensichtlich egal.

Nachschau in der Löwelstraße

Am Sonntag wurden aus dem kleinen Fehler Gerüchte. Was war los mit der einen Stimme? Warum gab es kein korrektes Ergebnis? Die Stimmzettel lagen in der Wiener Parteizentrale. Aber die Sonntagsruhe ist der Partei heilig. Erst Montag früh, so erzählt ein Delegierter, hätten Parteiangestellte den Stimmensack geöffnet und nachgezählt. Als feststand, dass Babler und Doskozil verwechselt worden seien, habe Michaela Grubesa als Vorsitzende der Wahlkommission Doskozil und Babler verständigt. Dann war Andreas Babler der elfte Bundesparteivorsitzende der SPÖ.

Die Geschichte des hartnäckigen ORF-Redakteurs, der im Alleingang den Fehler gefunden hatte, half. Sie lenkte vom letzten Schaden ab: von Delegierten, die vom Fehler längst wussten und nicht alles taten, um die wichtigste Wahl der SPÖ mit einem korrekten Ergebnis zu beenden.

Zweiter Parteitag?

Über den kleinen Fehler hätte die Wahlkommission noch am Parteitag den großen Fehler gefunden. Jetzt beraten Ludwig & Co., ob ein falsches Ergebnis, das auf einem Parteitag verkündet worden ist, vom Parteivorstand korrigiert werden kann – oder ob ein weiterer Parteitag einberufen werden muss. Das SPÖ-Statut gibt darauf keine klare Antwort.

Das Chaos in der SPÖ nährt Gerüchte. Aber eines steht auch bei Doskozil-Anhängern außer Streit: Hätten die Ludwig-Genossen am Parteitag einen Babler-Sieg vermutet, hätten sie um ihn gekämpft. So bleibt ihnen der Vorwurf, nicht einmal bis elf zählen zu können. In der Löwelstraße erinnert man sich an bessere Zeiten: „Mit dem Kopietz wäre uns das nicht passiert“.

Intern tröstet man sich mit einem Witz: Auch beim ÖVP-Parteitag sei es zu einem Fehler gekommen. Demnächst werde die ÖVP das Ergebnis korrigieren: „Nehammer: 0 Prozent, keiner: 100 Prozent“. Das Lachen hält sich in Grenzen.

Titelbild: HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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