Samstag, Juli 27, 2024

Ein bisserl Marx, Dollfuß oder Hitler

Ist Andreas Babler ein gefährlicher Marxist? Die Frage verrät mehr über die Fragesteller als über die Zukunft der SPÖ. Babler hat kein Problem mit der SPÖ-Vergangenheit, aber dafür drei Probleme mit der Zukunft.

Österreichischen Medien entnehme ich, dass die SPÖ einen „Linken“ zum Vorsitzenden gewählt habe. Falls damit Andreas Babler gemeint ist, befürchte ich ein Missverständnis. Babler ist kein „Linker“, er ist ein klassischer österreichischer Sozialdemokrat. So wie er heute ist, waren früher, in der Generation meiner Eltern, fast alle.

Für sie war es selbstverständlich, dass nicht nur Arbeit, sondern auch Vermögen besteuert wird. Die Vorstellung, dass jemand, der sein Geld „arbeiten“ lässt, vom Finanzminister besser behandelt wird als der, der selbst arbeitet, hätten sie nicht für „rechts“, sondern für verrückt gehalten.

Für sie war es klar, dass die Sozialversicherung den Versicherten gehört. Sie konnten sich nicht vorstellen, dass sich einmal ÖVP und FPÖ zusammentun, die Sozialversicherten enteignen und die Beute den Industriellen zuschieben würden.

Wohnungen waren für sie keine Spekulationsobjekte, sondern eine Lebensnotwendigkeit, die leistbar bleiben musste, so wie eine klassenlose gute Medizin und eine Schule für alle, mit Unis drüber, in denen erstmals auch Arbeiterkinder Chancen hatten.

Damals hätte sich Energiekonzerne und Lebensmittelketten nicht getraut, ihre Kunden zu plündern und mit explodierenden Lebenshaltungskosten in die Armut zu treiben. Andi Babler verspricht derzeit nur eines: dass es wieder so gut wie damals wird.

Dollfuß, Lueger und Hitler

Aber sagen wir einmal, das alles kommt von Marx her. Marx – Babler, und dazwischen Karl Renner und Bruno Kreisky. Das ist die Ahnenkette, die einigen an der Spitze der ÖVP wohl für die Furcht, Österreich könne Nordkorea werden, reicht. Ich verstehe nicht, warum führende Köpfe von ÖVP und FPÖ jetzt eine Ahnenkettendebatte wollen. Sie können dabei nur verlieren. Neben „Lueger – Dollfuß – Kurz – Nehammer“ und „Hitler – Haider – Strache – Kickl“ nimmt sich die rote Ahnengalerie prächtig aus.

Trotzdem starren alle gebannt auf Marx und sein Babler-Enkerl. Niemand fragt sich, ob Nehammer mit einem Dollfuß hinkt und Kickl der Wiedergänger des Führers ist. Warum? Ist es so schrecklich, wenn eine sozialdemokratische Partei sozialdemokratische Politik will? Ist es so schlimm, wenn kleine Einkommen ein bisschen wachsen und aus dem Überlebenskampf Hunderttausender Menschen wieder ein normales Leben wird?

Drei Schwächen…

Bablers Start leidet nicht unter Marxismus, sondern unter drei Schwächen. Zum ersten führt er eine Partei, deren wichtigste Köpfe schmollwinkelsüchtig sind. Monatelang hat Michael Ludwig geschmollt, jetzt kommen die Schmollgeräusche aus Eisenstadt. Die tiefen sachlichen Gräben zwischen Babler, Doskozil, Ludwig und der ÖGB-Führung habe auch ich nicht gefunden. Im Dauerstreit scheint es immer weniger um die sozialdemokratische Wurst und immer mehr um die Leberwurst zu gehen. Wenn damit nicht bald Schluss ist, kann für die SPÖ bei der nächsten Wahl überhaupt Schluss sein.

Das ist Schwäche Nummer eins. Nummer zwei heißt „Zukunft“. Was Babler und seiner Partei fehlt, ist ein Programm, das uns beschreibt, wie in Zeiten von Klimakollaps und Solaraufbruch, ChatGPT und neuer Maschinenwelt und dem drohenden Zerfall politischer und sozialer Systeme Chancen gesucht und neue Wege in ein besseres Leben gefunden werden. Andi Babler ist dabei, Zehntausende Funktionären ihre sozialdemokratische „Würde“ zurückzugeben. Das reicht für einen Start, aber nicht für mehr. Wer Bundeskanzler werden will, muss wissen, wohin er ein Land mitten in Europa führen will.

Schwäche Nummer drei liegt ganz woanders. Babler weiß wie Doskozil, dass eine Regierung mit der ÖVP der SPÖ den Kanzler und einen Platz im alten Sumpf bringen würde. Eine neue Regierung geht nur mit Grünen, Neos und vielleicht einer neuen linken Partei. Die Grünen müssen rechtzeitig auf ihre Beine kommen und brauchen dafür Absprungsgelegenheiten im Parlament. Die kann ihnen eine taktisch kluge SPÖ schaffen.

Die Neos müssen sich selbst entscheiden. Geht es ihnen um Bildung, Europa und den Kampf gegen Korruption – oder um Millionärsschutz um jeden Preis? Diese Entscheidung kann ihnen Babler nicht mit einem Verzicht auf Vermögenssteuern abnehmen. Er kann ihnen nur rechtzeitig klarmachen, dass sie sich zwischen ÖVP und SPÖ entscheiden müssen.

… und eine Stärke

Drei Schwächen sind drei Hausaufgaben. Wenn Babler sie mit seiner Partei schafft, könnte seine größte Stärke zum Tragen kommen: Er kann gegen Herbert Kickl gewinnen. Beide wenden sich an den „kleinen Mann“, Babler vor ihm noch an die Frauen. Aber was bei Kickl als Mischung aus heißer Aggression und kalter Lüge daherkommt, wirkt bei Babler echt. Mit Babler hat Kickl einen Konkurrenten, bei dem er sich deutlich wärmer anziehen muss.

Kommt es zu diesem Duell, hat die SPÖ schon halb gewonnen.

p.s.: Der ÖVP-Generalsekretär hat natürlich recht, dass Österreich nicht Nordkorea werden soll. Bis jetzt gibt es einen einzigen Hinweis auf diese Gefahr: die hundert Prozent, mit denen Karl Nehammer zum Chef der ÖVP gewählt worden ist. Vielleicht sollten diese Stimmen noch einmal ausgezählt werden.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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