Freitag, April 26, 2024

„Normal Denken“ – der Mikl-Leitner-Plan

Johanna Mikl-Leitner hat einen Plan. Statt Armut soll „Gendern“ bekämpft werden. So hofft die neue Schwesterpartei der FPÖ, ihren Klassenkampf als Kulturkampf zu gewinnen.

Wien | Alles läuft nach Plan. Am 28. Juni 2023 gibt Johanna Mikl-Leitner als Landeschefin der ÖVP die neue Linie aus. Der „Miteinander-Kurs sei beendet“, die ÖVP werde ab sofort „mehr Kante zeigen“ – und zwar „für die Normaldenkenden in der Mitte der Gesellschaft“. Den Wandel zur Sprachmutter der Menschen, die nicht gendern wollen, erklärt sie im „Standard“: „Für die normal denkende Mitte der Gesellschaft hat eine derartige Frage keine Priorität. Die Mitte sagt: Findet eine pragmatische, einheitliche Regelung und beschäftigt euch mit den wichtigen Themen.“

Die Provokation gelingt, Gendern ist plötzlich das „wichtige Thema“. Alle, die einen Schrägstrich oder einen kleinen Stern mitten im Hauptwort wollen, fühlen sich betroffen – und sind empört. Man könnte das jetzt einfach als die wöchentliche Provokation, mit der die ÖVP von ihren existenzbedrohenden Problemen ablenkt, abtun. Aber diesmal ist es mehr. Der Appell an die „normal denkende Mitte“ ist Kernstück eines durchdachten und chancenreichen Plans.

Mitte verloren

Um ihn zu verstehen, muss man sich in die ÖVP versetzen. Wie geht es einer Partei, die von der Regierungsbank immer öfter auf die ihr reservierten Plätze auf der Anklagebank blickt? Wie geht es einer Parteiführung, der immer weniger Wählerinnen und Wähler und immer mehr Staatsanwälte folgen? Und wie geht es einer Partei, die an den rechten Rand abgerutscht ist und sich dort immer verzweifelter an die FPÖ klammert?

Die ÖVP hat die politische Mitte verloren. Mit Rekordinflation, Wuchermieten und der Entschlossenheit, Millionäre auf Kosten der Mehrheit zu schützen, zerstört sie das Fundament, das einmal christlich-sozial war. Mit dem Kampf gegen Sternchen und Geschlechtervielfalt versucht sie etwas, was von den USA bis nach Ungarn funktioniert: eine neue Mitte zu erfinden – die Mitte der „Normalen“. Für rechte Parteien ist das nichts Neues. Wenn sie dabei sind, einen Klassenkampf um die Verteilung von Arbeit, Einkommen und Lebenschancen zu verlieren, sind sie bereit, an seiner Stelle einen Kulturkampf zu führen.

Sprachpolizei

Um ihren Kulturkampf gewinnen zu können, braucht die ÖVP passende „Feinde“. Die bieten sich an, in Form einer Sprachpolizei, die Wörter wie Ausweise kontrolliert und mit ständig neuen Wörter-Sanktionslisten Sprachlinien zieht.

Auch viele Frauen außerhalb der Sprachzirkel verstehen nicht, was hier passiert. Nach mehr als hundert Jahren ist der Kampf um die Gleichberechtigung der Frauen kein Minderheitsthema mehr. Aber von den Pflegerinnen in den Spitälern bis zu den Frauen an den Supermarktkassen warten Hunderttausende darauf, dass sie besser leben können. Viele alleinerziehende Frauen arbeiten schwer und wissen dabei, dass sie nicht aus eigener Kraft aus der Armutsfalle kommen.

Grünes Dilemma

Genau das ist das Dilemma der Grünen. Spitzen der Partei wie Sigi Maurer kommen genau aus den Zirkeln, in denen der Kampf gegen „weiße Männer“ mit Verve geführt wurde. Jetzt sitzen Maurer & Co. in einer Koalition mit der Partei, die jedem Versuch für mehr Geschlechtergerechtigkeit türkise Riegel vorschiebt. Das hat zu einer seltsamen Arbeitsteilung geführt: Die grünen Spitzen schwenken Regenbogenfahnen und die ÖVP sorgt dafür, dass nichts passiert.

Mikl-Leitner weiß, dass sie den Kampf um die sozialen Rechte der Frauen nicht gewinnen könnte. Wer jetzt also ihrer Einladung folgt und mit ÖVP und FPÖ nicht um Löhne und Kindergartenplätze, sondern nur um Gendern und das „normale Denken“ streitet, hat eines nicht verstanden: Emanzipation und soziale Gerechtigkeit gehören zusammen. Wer sie trennt, verliert beide.

Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com, ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com, Montage ZackZack

Peter Pilz
Peter Pilz
Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.
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30 Kommentare

  1. Die Einheitspartei ÖVFPÖ ist so jenseitig, dass man nicht weiß bei der Aussage welcher ihrer Mitarbeiter*Innen man mit dem Kopfschütteln anfangen und bei welchem man aufhören soll.

    Leider ermöglichen aber die wohl weit über 100 Leute alleine im BKA bzw. als von der FPÖVP aber so was von ununabhängige Berater dass der Pöbel/Boulevard/asoziale Medien mit “Shit” geflutet werden um von deren täglichem Wahnsinn abzulenken.

    Kurz vor dem nächsten Wahltag wird dann alle zwei Wochen vor der drohenden Umvolkung, davor, dass linkslinke Ökokommunisten die ganze Welt aufnehmen und vor Haschtrafiken überall voller wunderschöner MarxistInnen (yeah babiez!!) gewarnt.

  2. Ist bei der MiLei eigentlich sicher, dass sie eine Frau ist? Ich meine ja nur, welche normal denkende Frau aus der Mitte der Gesellschaft möchte nicht als solche auch im Sprachgebrauch vorkommen? Oder kommt die MiLei gar nicht aus der Mitte der Gesellschaft? Ist die MiLei am Ende gar nicht der kleine Mann und Ottonormalverbraucher für den sie sich ausgibt???

      • Ja, total irre. Das Ausmaß ist horrend und der Bürgermeister schneidet an jeder Stelle mit. Jetzt erst versteh ich den Begriff “Schnittstelle” wirklich in allen Dimensionen.

        In einer Regierung ist die Schnittstelle jene, die unterschiedliche Bereiche verbindet. Bei einer Herrschaft ist die Schnittstelle jene, bei der der Herrscher mitschneidet.

    • “tolle lage”, direkt im rücken die S5 zwischen Stockerau und Krems :-), Strassenlärm inklusive

    • Das ist nichts gegen die Grundstücksdeals die das Land OÖ macht. Ohlsdorf! 18 ha Wald gerodet nach Umwidmung in Betriebsbaugebiet samt satten Gewinnen für einen ohnehin sehr gut betuchten Herren der angeblich damit 600 Arbeitsplätze für das Gemeinwohl schaffen wollte und jetzt will dort gar niemand bauen.

  3. Wer nichts zu sagen hat, wer keine Perspektive hat und dennoch Gehör finden will, macht negative campaigning: Da geht es nicht nur um das Schlechtmachen von Personen oder Parteien, auch, aber nicht nur. Es geht ums Schlechtmachen von allem, was irgendwie Sinn machen könnte: Klimaschutz ist schlecht, kostet ja nur, schränkt Freiheit ein etc. Waffen für ein Land, das einer gewalttätigen Invasion ausgesetzt ist, sind schlecht, die kosten ja nur, und das Ergebnis stehe ja eh schon fest etc. Eine autofreie City ist schlecht, weil sie einem das Gefühl nimmt Herr der Welt zu sein, man müsse dann zu Fuß gehen wie der Pöbel etc. Gleichstellung der Geschlechter ist schlecht, weil da könnte ja jeder kommen, das wär ja abnormal, was die verlangen. Arbeitszeiten und Arbeitsbedingungen, die einem so viel Kraft lassen, dass man sich selbst und andere noch spüren kann, sind schlecht, weil das nur kostet und nichts bringt. Gerechte Entlohnung ist schlecht, weil “bei uns ja eh noch niemand verhungern muss”. Sexuelle Diversität ist schlecht, weil wenn sie sichtbar wird von allen, dann sieht ja jeder, dass niemand normal ist. Vermögenssteuern sind schlecht, weil die dann erpressen tun mit Abwanderung. Bleiben sie hier ohne was zu zahlen, hat man auch nix davon, aber egal, die Steuern sind schlecht, wenn es um Reiche geht.

    Die Liste ist beliebig erweiterbar, weil die Themen tatsächlich beliebig sind. Alles wird dadurch beliebig, und genau das ist das Ziel von negative campaigning. Erst wenn alles beliebig geworden ist, ist es auch egal, wenn man auf jemanden eindrischt, Krieg führt oder Menschen schlecht macht, sie absticht oder etc. Es ist ja ALLES beliebig dann, also kann man nach Belieben tun und lassen, was man will: wenn man kann. Beliebigkeit schaffen, ist ein Instrument perspektivloser Mächtiger.

    Beliebig wird etwas nur dann, wenn alles schlechtgemacht wurde. Dass nur Negatives aufgetischt wird, das bleibt an den Mächtigen aber hängen. Das kriegen sie, wenn sie damit mal durchgedrungen sind, nicht mehr los. Das können sie nur mit Angstmache (siehe RU) gegen die eigenen Leute unter dem Deckel halten. Wir stehen heute da, wo RU vor 20 Jahren begonnen hat – und das ohne Not.

    Es hat keinen Sinn gegen Kickl, Sickl, Mickl und Pickl oder Dickl und Wickl etwas zu sagen, weil das ohnehin auch negative Herangehensweise ist, ein Platz, den schon gewisse Parteien besetzt haben. Man spielte ihnen dadurch nur in die Hände, man wäre ebenso negativ, und am Ende “sind alle Politiker, Journalisten gleich”, man förderte nur die Beliebgkeit.

    Wenn der gesamte Diskurs rundherum nur mehr negativ (verseucht) ist, kann man sich nur abheben, indem man neue Lebenswelten entwirft und diese positiv emotionalisiert. Dann werden die negativen Kampagnenreiter ausreiten und draufschlagen. Und da muss man kreativ drauf antworten, damit die neuen Lebenswelten greifbar werden: und zum Greifen nahe. Das ist keine leichte Aufgabe. Aber das ist genau das, was wir als Demokratien brauchen. Zukunftsperspektiven und Lebenswelten, auf die wir uns freuen können.

      • Ham mir a bissl im Wiki nachgschaut und a gscheits Wort gfundn. Die Leit san begeistert. Ein Oxy……, so ein interessantes Tierchen.

        • muss dich enttäuschen, ich kannte das wort auch ohne wiki, aber sichtlich musstest du nachsehen was das bedeutet

  4. Auch ohne FPÖ und ÖVP verzichte ich aufs gendern, der größte Schwachsinn des letzten Jahrzehnts. Wer sonst keine Sorgen hat…..

  5. Danke für diesen, wieder einmal, gut recherchierten und pointierten Artikel. Diese ÖVP ist in Grunde schon lange unwählber und führt Österreich immer weiter an den braunen Rand einer düsteren Vergangenheit. Mit Angst-Mache-Parolen und Kirchturm(Festungs)-Phrasen kann man leicht unbedarfte Gemüter zur Wahlurne locken …. Und dann? Wenn alles Steuergeld verprasst und alle ÖVP-Granden und “Freunde” gut versorgt sind? Gehen wir Österreicher*innen dann wieder mit Stöcken und Pflastersteinen aufeinander los und hauen irgendeinem Neduj die Fensterscheiben ein weil er sich als Feindbild gut hergibt? …..
    …. Nun müssen wir Wähler*innen klar handeln und Österreich scharf nach links lenken – damit wir vielleicht wieder zu einer “normalen” mitte kommen!!

    • Die Wähler:innen sind arm dran. Entscheiden! Nicht nur Putin hat seine Trollfabriken. Die CDU hat sich jetzt den Maderthaner ins Boot geholt, ja der der zuvor die türkisen Wahlpropagandadingens veranstaltet hat. Hat man damals noch auf die Daten von wirecard zugegriffen, um zielgenau zu manipulieren, werden im nächsten Wahlkampf, der schon begonnen hat, die Daten von pornhub abgegriffen, um treffsicher bei den Weichteilen ansetzen zu können. Daten sind, einmal im Wirtschaftskreislauf angekommen, wie Geld, sie stinken nicht und jeder kann so tun, als wüsste er nicht, wo sie herkommen, nur weil sie zuvor wie im Karussellgeschäft im Kreis gewandert sind. Sprich: Die geschätzten “Entscheidungsträger:innen” werden bei den Eiern gepackt um genau das zu wählen, was ihnen schlecht tut. Die Trollgardisten kriegen die Daten und wissen also, wie sie wen ansprechen müssen, damit “das eine geht”. Dazu werden intime Sujets erarbeitet, weil das Denken dann am wenigsten zu sagen hat.

      Solange Propaganda, also Kommunikation mt unlauteren Mitteln (unter der Bewusstseinsschwelle), erlaubt ist, kann die Wähler:in nichts dafür. Sie wird nur durchs Dorf getrieben “wia a Sau”. Und ja, die Trollgardisten beeinflussen und manipulieren, sie geben sich ja nie zuvor als Parteianhänger aus, dass man nur ja nicht vorher wissen könnt, aus welchem Eck die kommen. Aber am Ende sind sie dann beim Einsackeln dabei. Trollgardisten sind Diskursdreher, sobald sich der Diskurs um gewünschte Themen (siehe Gendern) dreht, klingen auch die darin liegenden Argumente logisch.

    • @Dealer
      Vollste Zustimmung. Als ob eine Frau was davon hätte wen die deutsche Sprache verhunzt wird. Zeigen eh alle bloß noch den Vogel ab der Verblödung der Linksparteien.

      • In Tirol wollen sie keine neue Gipfelkreuze mehr auf den Bergen, davor aber nun (als Ersatz?) Windräder?
        Entspricht das nun eher der Normalität, oder eher dem Gegenteil?

  6. Die normal denkende Mitte? Geht die von Mikl Leitner repräsentierte neue Volkspartei davon aus dass mittelständige “normale” Leute eine Partei wählen die nichts Anderes im Sinn hat als unsere Eliten zu forcieren, die dabei ist allen Übrigen die Luft zum Atmen zu nehmen? Diese kühne Hoffnung könnte berechtigt sein da viele von diesem Klientel anscheinend nichts weiter brauchen als Feindbilder die ihnen die ÖVP täglich auf dem Silbertablett serviert. Am brauchbarsten sind da aus Sicht von Milei und co. natürlich Feindbilder die ihnen traditionell im Weg stehen. Also kritische Geister die mit von der ÖVP vorgegebenen “normalen Denken” und Obrigkeitshörigkeit nichts anzufangen wissen.

  7. Mittlerweile nutz fast jeder Politiker eine “smartWatch” mit Watt/h Tabelle. Beste Leistung tracker.

    Am besten mindestens Lohn für alle parlamentaria, alles über diese Summe wird in budget gespendet.

  8. Dir Sorgen der ÖVP. …….
    ML kämpft für die” Besitzenden” alles andere ist der Dame egal, solange Spenden fließen.

  9. “Normalität” ist eine Frage
    des Konsens, keine Plage
    sozialer Emanzipation
    geschlechtsspezifischer Konstitution
    denn auch “!Ränder” werden so “normal”
    gendern ist dann kein Fanal
    und wenn “normal” ist nur die “Mitte”
    wird “konservativ” zur schrägen Sitte…
    “Normalitäten” also definieren
    nur um Mankos zu kaschieren
    Deutungshoheit generieren
    erscheint im Spin beliebig billig
    orthotox Diskursunwillig…

  10. ich bin ja so froh, dass ich nicht normal bin.

    das war schon immer so.
    und alles was so ganz normal ist, ist mir ohnehin sehr suspekt.

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