Dienstag, Dezember 10, 2024

Unsere Leute – wer sonst?

Die ÖVP schaltet von Klassenkampf auf Kulturkampf. Die SPÖ stellt sich erstmals dagegen. Am Spielfeldrand stehen Kommentatoren und tragen zur Verwirrung bei.

Wien | Armin Wolf hat oft recht. Diesmal nicht. Wenn er die steigende Polarisierung in unserer Gesellschaft beklagt und damit nahelegt, man möge wieder gesittet in die „Mitte“ zurückkehren, übersieht er einiges.

Zum ersten: Die „Polarisierung“ hat eine Ursache, und die heißt „oben“.

Es hat Zeiten gegeben, da waren sich die, die sich als Unternehmer ihren Reichtum erwirtschaftet haben, ihrer Verantwortung bewusst. Das war das „Wirtschaftswunder“, das auch damit zu tun hatte, dass Investitionen in die Realwirtschaft und Kuchenstücke an alle gingen. Die Kuchenstücke der „Großen“ waren größer, aber die Stücke für die Mehrheit der „Kleineren“ reichten für ein gutes Leben, das für viele neu war.

Kuchen für wenige

Heute weigern sich die meisten von denen, die ihre Kuchen nicht erwirtschaftet, sondern geerbt haben, auch nur kleine Stücke davon abzugeben. Auf der anderen, unteren Seite steigt die Armut und erreicht Menschen, die das vor zehn Jahren noch für unmöglich gehalten haben. 300.000 Kinder in Armut, das ist in einem der reichsten Länder der Welt ein Zeichen, dass ein Riss durch eine Gesellschaft geht. Das ist die erste Polarisierung, die von Industriellenvereinigung und ihren Parteien ÖVP, FPÖ und Neos betrieben wird.

Es war vor allem die ÖVP, die diese Polarisierung vorangetrieben hat. Von Immobilienmagnaten bis Zeitungserben waren es die Reichsten und Einflussreichsten, die aus Sicht der Volkspartei „unsere Leute“ waren.

„Unsere Leute“ – wer sonst?

Denen „unten“ reicht es jetzt. Nach Jahren der politischen Lähmung ist die Sozialdemokratie jetzt aufgewacht. Andreas Babler spricht nach langer Zeit wieder etwas Selbstverständliches aus: Wenn die ÖVP alles für „ihre Leute“ tut, dann legen wir uns für „unsere Leute“ ins Zeug. Ich habe bei mir in der Obersteiermark noch niemanden getroffen, der sich dadurch vereinnahmt fühlt. Aber viele spüren, dass sie endlich gemeinsam wieder wer sind – „unsere Leute“, die sich nicht mehr alles nehmen und alles bieten lassen.

Die ÖVP weiß, dass sie ihren sozialen Kampf gegen die Mehrheit der Menschen nicht gewinnen kann. Also macht sie das, was die Rechte von Trump bis Netanjahu und von Putin bis Orbán vorexerziert hat: Sie macht aus dem Klassenkampf einen Kulturkampf. Es geht um „normal“ gegen „abnormal“, um Inländer gegen Ausländer, um Mutter gegen „Emanzen“, um Schweinsbraten gegen Döner. Das ist die zweite Polarisierung. Mit ihr beginnt der Kampf um Vielfalt und Freiheit, um offene Gesellschaft statt geschlossener Anstalt.

Beide Polarisierungen kommen von der Klassenkampfpartei „ÖVP“. Man kann es wie Armin Wolf halten und mit dem Finger auf alle zeigen. Davon profitiert wie in allen Konflikten allerdings nur einer: der Aggressor.

Man kann aber auch das verteidigen, was verloren zu gehen droht: Gerechtigkeit, soziale Sicherheit und Freiheit.

Titelbild: Christopher Glanzl / ZackZack

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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