Samstag, Juli 27, 2024

Teil 3: Skopje-Mails: Aktion „Unternehmensservice“

Mitten in der Glücksspiel-Mail-Affäre bietet das Außenministerium den österreichischen Botschafter als Bauernopfer an. Die Vertuschung läuft – aber ein Mail verrät viel über die Mitwisser rund um Minister Schallenberg. Alle Fäden laufen in einem Büro zusammen: in der „Abteilung Unternehemsservice“.

Wien | Seit „ZackZack“ die Glücksspiel-Interventionen des österreichischen Botschafters in Skopje veröffentlicht hat, versuchen Kabinett und Pressestelle von Außenminister Schallenberg, die Geschichte unter Kontrolle zu bekommen. Auch Schallenberg und sein Team wissen, dass einiges falsch gelaufen ist. Doch der Minister ist nicht bereit, seine Verantwortung persönlich zu übernehmen. Jetzt gibt es einen Sündenbock: Georg Woutsas, der Botschafter, der in wenigen Wochen aus Skopje nach Wien zurückbeordert wird.

Auf „ZackZack“-Anfrage erklärte eine BMEIA-Sprecherin noch am 5. Juli um 13.18 Uhr:

13.18: Die Ihnen vorliegenden Briefe wurden ohne vorherige Abstimmung mit dem Außenministerium in Wien versendet, was falsch war. Darauf wurde der Botschafter kurz darauf auch ausdrücklich hingewiesen.“

Kurz darauf wurde das Ministerium in einer offiziellen Aussendung noch deutlicher: „Das Außenministerium distanziert sich vollinhaltlich von den unangemessenen Interventionsversuchen des österreichischen Botschafters in Skopje.“ Aber die Distanzierung kommt um vier Monate zu spät. Die Geschichte des Schallenberg-Ministeriums, das nichts wusste und nur das Beste für Glücksspielgefährdete und Schulkinder wollte, hat einen Haken: Sie ist falsch.

Dammbruch bei Geheimhaltung

Am 23. Februar 2023 schrieb Woutsas seinen ersten Glücksspiels-Interventionsbrief an den nordmazedonischen Premierminister Dimitar Kovachevski und forderte ihn auf, Konzerne wie Novomatic und CASAG von den geplanten Schutzzonen um Schulen auszunehmen. Vier Tage später sandte er denselben Brief an 21 Abgeordnete des nordmazedonischen Parlaments.

Am 1. März war es mit der Geheimhaltung vorbei. Das mazedonische Magazin „360 Grad“ berichtete – und stellte um 18.08 Uhr Kopien der Woutsas-Interventionen online.

Andere Medien wie „Faktor“, „Centar“, „Republika“ und „Denar“ griffen die Geschichte auf. Woutsas sammelte die Berichte und tat das, was die Regeln des Außenministeriums für solche Fälle vorsehen: Er ließ Wien informieren.

Zu diesem Zeitpunkt war an der Spitze des Schallenberg-Ministeriums das außergewöhnliche Ausmaß der Intervention bekannt. Doch das einzige, was von Wien als Rüge nach Skopje zurückkam, war: Woutsas hätte die Intervention „abstimmen“ müssen. Jetzt, vier Monate später, wird vom Außenministerium behauptet, man habe Woutsas bereits damals wegen des Inhalts der Mails abgemahnt. Aber verlässliche Quellen im Ministerium und Botschaft legen nahe, dass diese Behauptung falsch ist.

Kritik am Inhalt der Intervention scheint es im März 2023 keine gegeben zu haben, aus einem einfachen Grund: Woutsas lag mit seinen Drohungen gegen mehr Spielerschutz voll auf Linie des Ressorts.

Unternehmensservice

Eine unscheinbare Abteilung des Außenministeriums ist bei Aktionen für österreichische Konzerne die Drehscheibe: Abteilung III.8 „Unternehmensservice“. Am 29. Mai 2017 meldete das Außenministerium stolz: „Auf Initiative von Bundesminister Sebastian Kurz baut das Bundesministerium für Europa, Integration und Äußeres seit 2015 verstärkt die Serviceleistungen für die österreichische Wirtschaft aus.“ In der Auflistung der Kurz-Initiative stand die neue Abteilung „Unternehmensservice“ an erster Stelle. 

Kurz hatte die Abteilung als Interventions-Instrument für Wirtschaftskammer und Industriellenvereinigung schaffen lassen. Unter der Führung der Diplomatin Ulrike Ritzinger wird noch heute kein Zweifel am Ziel gelassen: „Immer dann, wenn die Lösung eines Problems nur über diplomatische oder politische Intervention herbeigeführt werden kann, kommt das Außenministerium ins Spiel. Dabei geht es vorrangig um Aufträge im staatsnahen Bereich, um Rechtsvorhaben und Gesetze eines Gastlandes, die für österreichische Firmen nachteilig sein könnten, oder um sanktionsrelevante Fragen.“/

Rechtsvorhaben und Gesetze eines Gastlandes, die für österreichische Firmen nachteilig sein könnten“ – genau darum hat sich Botschafter Woutsas gekümmert. Der drohende Schutz von Spielern und Schulkindern wurde als „nachteilig für österreichische Firmen“ im Glücksspiel gesehen.

Egal ob es um Gesetzesvorhaben oder Gerichtsverfahren geht – die Abteilung lenkt und kontrolliert die Interventionen im Namen der Republik. Auch im Fall „Glücksspiel“ war die Abteilung III.8 die Leitstelle. Woutsas intervenierte, drohte und berichtete. Der Botschafter machte seinen Job, so wie es die geltenden Kurz-Regeln vorschreiben.

Mail aus Skopje

Am 3. März 2023 berichtete die österreichische Botschaft unter dem Titel ÖB Skopje; Pressebericht; Schreiben von HMC an PM Kovachevski und das Parlament betr. das neue Glücksspielgesetz“. Eine „Medienmappe“, in der Artikel aus neun mazedonischen Medien aufgelistet waren, legte die Botschaft bei. Ab diesem Tag wussten die Empfänger von den verfänglichen Mails und den Droh-Mails der Botschaft. Aber wer waren die Empfänger?

Im Außenministerium ging das Botschafts-Mail aus Skopje an

  • drei Schallenberg-Mitarbeiterinnen im Kabinett – darunter die stellvertretende Kabinettschefin und persönliche Sprecherin des Ministers Claudia Türtscher
  • das Büro von Generalsekretär Peter Launsky-Tieffenthal
  • die Presseabteilung I.3
  • die Abteilung II.4 (OSZE und Europarat)
  • und die Wirtschaftsabteilungen III.6, III.7 und III.8

Nehammer, Edtstadler…

Aber der Verteiler war weit größer. Neben den türkisen Spitzenbeamten des Außenministeriums ging das Glücksspiel-Mail aus Skopje auch an das Bundeskanzleramt und dort an:

  • Barbara Kaudel-Jensen (Kabinett des Bundeskanzlers, Leitung der Sektion IV: EU, Internationales und Grundsatzfragen) und ihren Stellvertreter Franz Wirtenberger
  • Edtstadler-Kabinettschef Clemens Mayr-Harting und weitere Referenten.

Doch das war nicht alles. Das Mail bekamen auch

  • ein außenpolitischer Berater von Nationalratspräsident Sobotka
  • und Kabinettsmitarbeiter in Finanzministerium, Verteidigungsministerium und Innenministerium.

Sie alle waren über die Aktion und die medialen Reaktionen in Skopje informiert. Das ist wohl auch der Grund, warum Anfang März vom Außenminister und seinem Generalsekretär bis zu den Kabinetten von Bundeskanzler Nehammer und Europaministerin Edtstadler niemand etwas an den Glücksspiels-Interventionsmails auszusetzen hatte.

Allein auslöffeln

Sofort nach der ersten ZackZack-Anfrage am 5. Juli 2023 hat man Woutsas fallen lassen. Seine Amtszeit in Skopje läuft in drei Wochen aus. Dann wird er zurück nach Wien beordert. Dort soll er die Glücksspielsuppe, die von einem ganzen Ministerium gekocht wurde, allein auslöffeln.

Außenminister Schallenberg lässt inzwischen ausrichten, dass er für Spielerschutz sei. Nur – in Nordmazedonien weiß niemand davon. Das Außenministerium hat Premierminister Dimitar Kovachevski bis heute nicht informiert, dass die österreichische Drohung mit politischen Interventionen und Millionenklagen nicht mehr aufrecht ist. Schallenbergs Presseabteilung gibt das auch gegenüber „ZackZack“ zu: „Die Inhalte des Schreibens waren in Gesprächen des Außenministeriums mit Vertretern Nordmazedoniens, mit dem Österreich bekanntlich einen engen, regelmäßigen Austausch pflegt, kein Thema.“

Für Emil Brix, den Direktor der diplomatischen Akademie Wien, ist nach wie vor klar, dass Lobbying „sicher nicht zu den Aufgabengebieten eines österreichischen Botschafters im Ausland“ gehöre. Natürlich müsse man sich für österreichische Unternehmen einsetzen, aber „nur im Rahmen eines rechtsstaatlichen Systems“, erklärte der ehemalige Botschafter in London und Moskau im Ö1-Mittagsjournal. Brix kritisiert, dass „hier über die Annäherung von Nordmazedonien an die EU auch noch zumindest indirekt versucht wurde, Druck auszuüben“.

Bis zur Amtsübernahme von Sebastian Kurz war das im Außenministerium allen klar. Aber seit damals ist auch im Außenamt vieles anders.

Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com, GEORG HOCHMUTH / APA / picturedesk.com, HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com, Montage ZackZack

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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