Samstag, Juli 27, 2024

Die Ankündigungspolitik der Regierung und ihre Folgen

Wenn Juli zu August oder gar September wird und die Konsequenzen alle anderen tragen müssen, außer die Verantwortlichen selbst! Dann wirds Zeit für ein Überdenken der Kommunikation.

Wien | Manche werden sich noch gut erinnern, als Anfang Juni großartig der 60-Euro-Kinderzuschuss verkündet wurde. “Grünes Licht für das Paket gegen Kinderarmut” war vonseiten der Parlamentskorrespondenz zu lesen.

Das Paket gegen Kinderarmut gibt Hoffnung…


Für all jene Menschen mit zu geringem Einkommen, für jene, die auf Sozialhilfe angewiesen, erwerbslos oder Working Poor sind, sollte es ab Juli 2023 60 Euro mehr pro Kind geben um die Teuerungen ein wenig abfedern zu können. So weit, so gut. Ein kleiner Schritt in Richtung Bekämpfung der Kinderarmut, die in Österreich leider immer noch viel zu hoch ist. Mehr als 353.000 (22%!) Kinder und Jugendliche leben in Familien mit einem Einkommen unter der Armutsgefährdungsschwelle. Was das bedeutet, kennen viele zu gut. Dinge wie eine Projektwoche, Schiwoche, aber auch die neue Schultasche, der Laptop, der für die Schule benötigt wird, sind eine finanzielle Herausforderung und lassen sich oft nur stemmen, indem bei dem einzigen gespart wird, das noch eingespart werden kann: bei den Lebensmitteln. Aufgrund der Teuerungen der letzten Monate ist aber selbst hier das Einsparungspotential gleich Null und jene, die bisher schon schwer über die Runden gekommen sind, wissen inzwischen meist ab Mitte des Monats nicht mehr, wie es sich ausgehen soll.

Hoffnung, die nach hinten los geht…

So auch Chiara, eine Mutter aus Oberösterreich. Sie und ihre beiden Kinder leben unter dieser Armutsgefährdungsgrenze. Chiara arbeitet Teilzeit in einem Supermarkt, mehr ist nicht möglich. Die Nachmittagsbetreuung endet um 16 Uhr, freitags sogar schon um 13 Uhr. Verwandte hat sie keine in der Nähe, die die Betreuung an den Randzeiten übernehmen könnten. Chiara schiebt immer wieder Rechnungen, oft bis zu dem Tag, an dem das Urlaubsgeld kommt. Bisher ging das meistens gut. Doch seit einem Jahr geht sich nicht mal mehr das aus. Die Teuerungen, egal ob bei der Miete, beim Strom, der Heizung sowie bei den Lebensmitteln haben ihr ein Loch ins Budget gerissen, das sie nicht mehr aufholen kann. Auch nicht mit dem Urlaubsgeld. Sie war also unglaublich froh über die Ankündigung, ab Juli 60 Euro mehr pro Kind zu haben. Und hat deswegen Ende Juni die offene Stromrechnung überwiesen. Im Glauben, in einer, spätestens zwei Wochen 120 Euro mehr am Konto zu haben. Um den 9. Juli hat sie mir geschrieben. “Weißt du zufällig wann dieser Kinderzuschlag kommt”? Sie war nicht die einzige. Im Gegenteil, etliche hatten sich gemeldet und gefragt.

Manche werden nun sagen – naja, man soll halt nicht mehr ausgeben als man hat…Stimmt eigentlich. Aber wer ständig am oder unterm Limit lebt, jeden Cent dreimal umdrehen muss, Rechnungen schiebt, nimmt jeden zusätzlichen Euro um offene Rechnungen zu bezahlen. Hab‘ ich selbst auch so gemacht. Man vertraut immerhin darauf was Regierung und Medien berichten. Und wenn‘s heißt ab Juli, dann rechnet man ab Juli damit, auch wenn der Auszahlungszeitraum länger ist.
Diesem Irrglauben bin ich übrigens bereits selbst unterlegen und stand mehr als 14 Tage ohne einen Cent am Konto da. Antwort vom zuständigen Amt damals: Sie bekommen es doch sowieso rückwirkend, dann leihen Sie sich einfach etwas oder nehmen Sie einen Überbrückungskredit. Als ob armutsbetroffenen Menschen einen Kredit bekommen würden.

Also hab‘ ich diesmal auch nachgefragt, einfach, weil ich weiß wie es Menschen in dieser Situation belastet. Auskunft: es wird rückwirkend ab August ausbezahlt. Weil immer erst im Nachhinein bezahlt wird. Gut. Hatte ich mir fast gedacht. Aber nur weil mich die ganze Thematik rund um Zuschüsse, Beihilfen und Unterstützungsleistungen seit Jahren beschäftigen und ich mich intensiv damit auseinandersetze. Alle anderen lesen und hören “ab Juli” und rechnen damit.

Es bräuchte endlich mehr Wissen über die Alltagsprobleme…

Zurück zu Chiara: für sie und etliche andere haben einige zusammengelegt, um ihr über das Monat zu helfen. Doch erstens sollte das nicht ständig Aufgabe der Zivilgesellschaft sein und zweitens wäre das alles nicht notwendig gewesen, hätte es eine eindeutige, verständliche Kommunikation gegeben. Eine, bei der alle wissen, wann sie frühestens mit diesem Zuschuss rechnen können. Denn was passiert, wenn auch im August nicht ausbezahlt wird, weil es möglicherweise aufwendiger ist als gedacht? Wäre nicht zum ersten Mal in diesem Land. Die Teuerungen stehen deshalb nicht still, im Gegenteil. Die Preise steigen noch immer, langsamer, aber weiter und weiter. Noch länger diese Zeit zu überbrücken ist nicht mehr mit sparen zu vergleichen, sondern inzwischen eine organisatorische Meisterleistung. Das wissen inzwischen fast alle und spüren vor allem jene mit Kindern.

…statt Ankündigungspolitik und verfehlte Kommunikation

Diese Menschen durch unbedachte Kommunikation hoffen zu lassen, nur damit sie dann noch mehr zu kämpfen haben, ist weit entfernt von armutssensibel. Ich unterstelle ihnen nicht, es bewusst so kommuniziert zu haben, es fehlt einfach der Bezug zur Alltagsrealität von Menschen, die finanziell so knapp aufgestellt sind, dass jeder Euro wichtig ist. Es fehlt das Wissen, was passiert, wenn man schon dringend auf eine Erleichterung wartet, diese aber dann einfach nicht kommen will. Sowas kann man verkraften wenn Ressourcen vorhanden sind oder die Zeiten nicht dermaßen instabil wären. Es stellt immerhin bereits die bisherige Mittelschicht vor komplett neue Belastungsproben, man kann sich also vorstellen, dass die Kräfte bei denen, die bereits unter der Armutsgefährdungsgrenze leben, bald am Ende sind.

Für die Zukunft wäre es wünschenswert, bei Ankündigungen auch die Folgen mitzudenken. Nämlich die Folgen für jene, für die diese Regierung arbeitet: für uns alle!

Titelbild: Christopher Glanzl

Autor

  • Daniela Brodesser

    Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.

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