Samstag, Juli 27, 2024

Die Sprache ist verräterisch

Apologeten der ÖVP warnen vor Herbert Kickl und übernehmen gleichzeitig seine Rhetorik: Ein Tiefpunkt der österreichischen Innenpolitikberichterstattung ist erreicht.

Wien | Wenn autoritäre Systeme beginnen, andere Gesellschaften oder die eigene Gesellschaft zu bekämpfen, fingieren sie immer einen Angriff und tarnen ihre Attacke als Verteidigung. So ist es im Großen und so ist es im Kleinen. Hitler hat seinen Angriff auf Polen als »Zurückschießen« ausgegeben und damit auf eine uralte Finte totalitärer Rhetorik zurückgegriffen. Die ÖVP – seit der Übernahme durch Gerald Fleischmann – heckt stets ähnliche Strategien aus. Ob die ÖVP angeblich von Hackern angegriffen wird oder angeblich von der Justiz attackiert wird; stets liegt hier eine bewusste Verkehrung vor und stets wird mit den vermeintlichen Nachrichten von etwas anderem abgelenkt. Dieses andere ausfindig zu machen und zu benennen wäre die Aufgabe des Journalismus. Wäre.

Jetzt gibt es eine erneute Attacke – nicht auf die ÖVP, sondern auf ganz Österreich: Schnitzel soll verboten werden. Wo das von wem geäußert wurde, ist gänzlich unbekannt. Aber wir kennen die Antwort darauf – und zwar in Form eines Videos, in dem Kanzler Nehammer Schnitzelessen gegen jene verteidigt, die es verbieten wollen. Die gibt es zwar nicht, aber Nehammer kommt bald darauf zu sprechen, worum es ihm eigentlich geht: Klima-Aktivisten und Identitäre gleichzusetzen; linke Politik, die sich um Solidarität und Bekämpfung von Armut bemüht mit der der Rechtspopulisten, mit denen Nehammers Partei drei Mal im Bund regiert hat und aktuell in etlichen Bundesländern regiert, gleichzusetzen.

Kickl-Gegner glänzen mit Kickl-Rhetorik

Das ist eine Lachnummer. Leider aber unterbleibt in den österreichischen Medien eine Analyse dieser mit Abstand dümmsten Rede eines österreichischen Bundeskanzlers. Nehammer und vor allem Fleischmann scheinen ratlos und ideenlos. In Zeiten, in denen die Inflation in Österreich weit über der im Euro-Raum liegt und galoppierende Preise die Menschen vor die Frage stellen, ob sie sich ein Schnitzel, solange es noch erlaubt ist, in einem Gasthaus noch leisten können, scheint die Ablenkungsmasche immer weniger zu wirken.

Und auch in parteipolitischen Fragen hat sich Nehammer in Widersprüche verstrickt. Die ÖVP kann niemandem mehr erklären, wieso irgendjemand anderer als sie selbst schuld daran sein soll, dass sie vor Wahlen eine Koalition mit der FPÖ ausschließt, um sie nach der Wahl einzugehen. Ihr Frust entlädt sich an der SPÖ. Haben sie die Sozialdemokraten zuerst zu einer marxistischen Partei erklärt, so ist es nur der Linksradikalismus in diesem Land, der von ihr ausgeht, die niederösterreichische ÖVP stört und nicht »normal« ist.

Der Namenswitz als tiefster Untergriff

Klima-Aktivisten werden mit Identitären gleichgesetzt. Und wurden zuvor bei der sogenannten »Marxismus-Debatte« in demagogischer Manier Marx, Lenin und Stalin verwechselt oder in einen Topf geworfen, so ist nun soziales Engagement und politischer Aktionismus auf einer Stufe mit dem Radikalismus jener Partei, mit der die ÖVP in etlichen Bundesländern regiert und die nächste Koalition auf Bundesebene vorbereitet.

Die Lachnummer wird unlustig, wenn man die Berichterstattung darüber liest: Die Medien analysieren Nehammers Video nicht, sie legen in seinem Sinne nach. Dabei bedienen sich gerade die, die immer vor Herbert Kickl warnen, nun der Rhetorik just jenes verhassten FPÖ-Obmanns. In einer Wiederauflage des letztklassigen Namenswitzes über Ariel Muzicant, titeln zwei AutorInnen des „Standard“ einen Artikel über die SPÖ namens Turmbau zu Babler. Ein tiefer Untergriff. Sind wir bei exxpress.at gelandet?

Verräterische Sprache

Nein, wir sind dort gelandet, wo die von Fleischmann orbanisierte Medienlandschaft früher einmal ankommen musste: Selbst liberale Medien verwenden nun die Sprache der Rechtspopulisten. »Die Sprache ist ja verräterisch. In der Politik verräterischer als sonstwo«, sagte Bruno Kreisky einmal über Alexander Götz.

Ein Medium, das ständig vor der angeblichen »Spaltung der Gesellschaft« spricht, schreibt nicht nur eine Partei nieder, die seit 1986 die Koalition mit der FPÖ kategorisch abgelehnt hat. Nein, dabei wird zu einer Sprache gegriffen, die in einem Qualitätsmedium nichts verloren hat. Ich muss angesichts dieses unappetitlichen Artikels sagen: Ich bin froh, dass die Gesellschaft gespalten ist.

Dem rechten Trend entgegenstellen

Zweimal hat der Faschismus in diesem Land die Demokratie vernichtet, Abertausende Menschenschicksale hat er auf dem Gewissen. Da bin ich froh, wenn es in diesem Land noch Anti-Faschisten gibt, die sich dem rechten Trend entgegenstellen und zurecht fordern, dass man Rechtspopulisten keinen Zentimeter nachgibt – nicht in Gedanken, nicht in der Sprache und nicht in Taten.

Ich zähle mich auch zu ihnen. Und wenn ich deswegen nicht »normal«, sondern für die ÖVP und ihre Schreiberlinge »radikal« bin, so begreife ich diesen Radikalismus als ehrenhaft. Auch Namenswitze kann man gerne über mich machen. Ich bin sie seit meiner Kindergartenzeit gewohnt. Und ich ertrage sie inzwischen mit Gleichmut.

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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