Donnerstag, Oktober 10, 2024

Ununtertroffen

Die Salzburger Festspiele dieses Jahres sind schon vergessen, bevor sie begonnen haben. Die Eröffnungsredner haben ein Bild des in Österreich »Normalen« beschworen: des Verschweigens und des Zudeckens.

Ein Kultur-Festival, dessen Highlight das viertklassige Stück eines drittklassigen Autors ist, jährt sich auch heuer wieder: die Salzburger Festspiele. Für Politgranden und Reiche, die im Sportwagen anreisen, hatte es auch eine hochkarätige Eröffnung zu bieten. Die Prominenz, die hier am Wort war, hat es tunlichst vermieden, politische und ökonomische Missstände zu benennen. Die Redner haben alle Erwartungen untertroffen.

Das war auch erwartbar gewesen. Der Intendant der Festspiele hat ja schon vor einiger Zeit jede politische Kritik an den regierenden Parteien als »Empörungsritual« und »gedankliche Schlichtheit« abqualifiziert. Und so ist er auch ein guter Gastgeber für eine Stafette von Reden, die ein klares Bild des gegenwärtigen Österreich abgeben: Verlogenheit und Feigheit.

Zudecken und Schweigen

Dabei müssten nicht alle diese Redner feig sein. Da haben wir etwa einen Bundespräsidenten in seiner zweiten und somit letzten Amtszeit. Ein Mann, der absolut nichts zu verlieren hätte, wenn er Kritik übte. Doch leider tritt genau das ein, was wir aus der österreichischen Geschichte nur allzu gut kennen: Es wird zugedeckt und verschwiegen und alle jene, die unangenehme Wahrheiten aussprechen, werden zur »Abrüstung der Sprache« aufgerufen.

Im Gegenteil: Die Sprache muss aufgerüstet werden, treffsicherer und genauer werden. Über die antidemokratischen und antisemitischen Neigungen der Gründungsväter der Salzburger Festspiele gäbe es viel zu sagen. Ebenso über die langjährige Finanzierung dieser Festspiele durch Oligarchen, die heute als personae non gratae gelten – zumindest offiziell. Mit alldem könnte man sich auseinandersetzen, stattdessen breitet man den Mantel der sogenannten Normalität über alles. Es ist nur eine Scheinnormalität.

Eine dicke Zuckerschicht

In meinem Roman 0 1 2, der im September erscheinen wird, gibt es eine Stelle, die einem Kulturveranstalter, der den Text schon vorab gelesen hat, besonders gefallen hat, weil sie zu einer aktuellen Debatte passt. Sie lautet: »So war das Leben früher in diesem Land. Es gab keine Freiheit. Die Nazis waren immer noch da. Nur waren sie nach dem Krieg wieder Katholiken und Sozialisten und Pfarrer, Lehrer und Polizisten und nannten sich normale Menschen

Er schrieb mir, das sei ein »seherischer Satz«. Und tatsächlich wurde er im Oktober 2020 geschrieben. Ich glaube aber, dass dieser Satz auch sehr allgemein gültig ist. Und wenn die sogenannte Kultur nicht in der Lage ist, die Gesellschaft von unten zu betrachten, dann überzieht man eben, wie es Jahrzehnte lang üblich war, als man mit Lipizzanern, Sängerknaben und Heimatfilmen die wirkliche Kunst in Österreich zugedeckt hat, das Land und Salzburg mit einer dicken Zuckerschicht.

Die Gesellschaft von unten sehen

Dabei gab es eine Zeit in diesem Land, in der ORF-Generalintendanten und Festspiel-IntendantInnen zeitgenössischen SchriftstellerInnen, KünstlerInnen und FilmemacherInnen eine Bühne geboten haben. Man kann über diese Werke diskutieren, wie über jedes einzelne Kunstwerk, jedes Stück oder jeden Film zu diskutieren ist – aber die Möglichkeit gab es. Heute überzieht der ORF sein Programm mit Sing- und Tanzwettbewerben (ich würde noch eine Casting-Show für Schnitzelbraten vorschlagen), um die Möglichkeit, die soziale Realität Teil seines Programms werden zu lassen, gleich von vorneherein auszuschließen.

Dabei gab es einmal eine Zeit in diesem Land, die in meine Jugend fällt, in der man beständig zu Diskussionen eingeladen wurde, wo es um die Menschen in der dritten Welt, um ArbeiterInnen, Obdachlose, von der Armut betroffene Kinder und generell um sozial schwache und bedrohte Menschen ging. Ich will nicht sagen, dass nicht vieles an diesen Diskussionen naiv war. Aber immerhin war der Wille da, die Gesellschaft von unten zu betrachten. Man hat Bücher gelesen und Filme angeschaut, um sich mit sozialen Unterschieden und Ausgrenzung und ihrer Überwindung zu beschäftigen. Davon ist heute keine Rede mehr.

Woanders umschauen

Kunst, Kultur und das Engagement für soziale Gleichheit, müssen trotzdem überleben. Sie überleben nicht, weil es die Salzburger Festspiele und Herrn Vizekanzler Kogler gibt, sondern sie überleben, obwohl es die Salzburger Festspiele und Herrn Vizekanzler Kogler gibt. Das wird immer schwieriger, weil es weniger Medien gibt, die darüber berichten. Es wird aber auch immer notwendiger, weil der Widerspruch, das Benennen von Missständen und Verfehlungen und das Aufmerksam-Machen auf das, was von der Scheinnormalität verdeckt wird, immer wichtiger werden.

Die Leiter der Salzburger Festspiele können aufatmen – diese Festspiele sind schon vergessen, seit sie begonnen haben. Genau das war die Intention. Die schwarz-braun-blaue Regierung in Salzburg ist schon nach wenigen Tagen ganz normal. Und das wollen wir ja sein: ganz normale Menschen. Die Staffel der drittklassigen Eröffnungsredner, die mit viertklassigen Reden aufgetreten sind, hat diese Normalität bekräftigt (wobei ich Haslauer als fünftklassig bezeichnen würde). In dieser Normalität braucht man nach Kultur nicht zu suchen und schon gar nicht nach Kunst. Da muss man sich schon woanders umschauen.

Titelbild: Miriam Moné / ZackZack

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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