Heute bringe ich die packendsten Passagen aus drei lang erwarteten Reden. Sie haben nur einen Nachteil: Sie sind noch nicht gehalten worden.
Wie in der Physik und in der Mathematik gibt es auch in der Politik Gesetze. Von besonderer Bedeutung ist hierzulande der Hauptsatz über die Herkunft der Warmluft: „Wer nichts zu sagen hat, hat viel zu reden.“
Diese Reden werden vor allem zu Sylvester, bei Klausuren und bei Festspielen gehalten. Dabei ist immer ein Teil der Rede der interessanteste: der Teil, der nicht gehalten worden ist. Weil sie die Hauptlast der Warmluftreden tragen, bringe ich jetzt Auszüge aus den nicht gehaltenen Teilen der Bregenzer und Salzburger Reden des Bundespräsidenten, des Vizekanzlers und seines Chefs.
Es gibt Grenzen
In Bregenz hat Alexander Van der Bellen mit dem „Populismus“ abgerechnet. Seine nicht gehaltene Rede gipfelte in folgenden Satz: „In der Politik gibt es Grenzen. Es geht nicht darum, ob sie rot, grün, blau, schwarz oder türkis sind. Es geht darum, dass wir alle wissen: Wer diese Grenzen überschreitet, gehört nicht mehr zu uns.“
Einige hätten schon geahnt, was sich am Rednerpult zusammenbraut: „Eine dieser Grenzen umschließt das gemeinsame Europa. Wer es verlässt, verlässt auch uns. Wer mit „starken Männern“ Demokratien und Rechtsstaaten schwächt, wer aus Budapest oder Belgrad „Brüssel“ bekämpft, darf keine Unterstützung aus Wien erhalten. Wenn jemand Österreich in einen Dreibund gegen die EU führen will, werde ich als Bundespräsident nicht zusehen.“
Sogar Karl Nehammer hätte gewusst, dass es um Viktor Orbán, Aleksandar Vučić und den dritten Dreibund-Gipfel, zu dem ihnen Nehammer als Bundeskanzler am 6. Juli 2023 in Wien den Teppich ausgerollt hatte, ging.
Heuernte im Jänner
Werner Kogler hätte in Salzburg nahtlos an seinen ehemaligen Parteichef angeschlossen: „Meine Damen und Herren, wir müssen da ja nicht mehr herumreden. Auch wenn man im Dienstwagen bei den Festspielen vorfährt, merkt man ja, dass es draußen ganz anders ist. Unsere Fichtenwälder sterben, in zehn Jahren werden wir im Jänner auf den Schipisten die Heuernte einfahren, weil uns die Sommerernte vertrocknet ist, und kein Kind wird uns mehr glauben, dass es einmal Schneemänner gegeben hat.“
An diesem Punkt hätte Kogler eine Kunstpause eingelegt und sich dann direkt an seinen Chef gewandt: „So ist das, und es ist vielleicht schon zu spät, vielleicht aber auch nicht. Und deshalb, lieber Karl Nehammer, ein offenes Wort: Du musst dich entscheiden: entweder Klimaschutz sofort und mit uns oder so weitermachen wie bisher, aber ohne uns. Entscheide dich, aber denk daran: Es geht nicht nur um deine und meine Zukunft als Politiker, sondern darum, ob wir alle überhaupt noch eine Zukunft haben.“
„Ich trete zurück“
Mit diesen Reden hätte Van der Bellen und Kogler eines der Hauptgesetze der Politik befolgt: dass der gewinnt, der sich bewegt, oder, wie es Kogler in der noch nicht gehaltenen Rede so schön zitiert hätte: „Es gibt nichts Gutes – außer man tut es!“
Damit bin ich beim Dritten, bei Karl Nehammer. Seine erste bedeutende und nicht gehaltene Rede besteht nur aus einem Satz: „Ich trete zurück“. Aber es scheint derzeit niemanden zu geben, der sie ihm schreibt.