Samstag, Juli 27, 2024

Leistung muss sich lohnen! 

Wer arm ist, soll einfach arbeiten gehen, so eine weitverbreitete Ansicht. Daniela Brodesser erklärt anhand von Beispielen, warum das falsch ist und wie die Debatte um Leistung und Faulheit schlecht bezahlte Jobs erst ermöglicht.  

“Sollen sich einen Job suchen! In Österreich muss niemand arm sein! Ist pure Faulheit! Ich seh doch nicht ein solche Menschen von meinem Geld durchzufüttern. Die liegen bequem zuhause vor dem Fernseher während wir arbeiten müssen. Wer arbeitet darf nicht der/die Dumme sein”…

Neiddebatten

Und so weiter. Mal ganz ehrlich, wer hatte nicht schon einmal solche Gedanken, wenn es in Debatten um Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe geht? Wenn gefordert wird, das Arbeitslosengeld etwas zu erhöhen, weil man von einem Tag zum anderen mit etwas mehr als der Hälfte des Einkommens auskommen muss, die Fixkosten aber die gleichen bleiben? Wer hat sich noch nicht dabei ertappt, sich zu ärgern, weil man selbst “fleißig” ist, täglich in die Arbeit pendelt, und dann wird gefordert eine Sozialhilfe zu erhöhen? Was denn noch? Sollen doch bitte einfach arbeiten gehen, wie du auch! Macht dir immerhin auch nicht jeden Tag Spaß und was zur Seite legen wird immer schwieriger, aber ist halt so. Und dann wollen die noch mehr und noch mehr? Frechheit! Kürzen sollte man alles, kann doch nicht sein, dass die mit Sozialhilfe oder Arbeitslosengeld fast mehr bekommen als ich! Schließlich gerät auch niemand mit Arbeit in die Armut!

Genau hier liegt ein großer Denkfehler, nämlich dass Arbeit vor Armut schützt und davor, auf Unterstützungen angewiesen zu sein. 

Arbeit schützt vor Armut, oder?

Da gibt es zum Beispiel Christian. Geschieden, Vater von zwei Kindern, die jeweils zwei Wochen bei der Mutter und zwei Wochen bei ihm sind. Gelernter Elektriker, fast 20 Jahre in diesem Bereich gearbeitet. Dann kamen Depressionen. Aufgewachsen in einem Umfeld, in dem psychische Erkrankungen keine sind, hat er über Jahre versucht, die Depression zu ignorieren. Therapie? Doch nicht für mich, ich brauch das nicht. Zähne zusammenbeißen und durch. Natürlich ging das nicht auf Dauer gut und irgendwann war der Job weg. Schuld daran waren natürlich andere Umstände, niemals eine Depression, die er doch nicht hat…

Vom AMS abhängig sein? Niemals! Sowas gibt es nicht für ihn. Also freie Jobs gegoogelt und Bewerbungen geschrieben. Wer will findet immer was. War zumindest bisher seine Einstellung. Doch selbst nach zwei Monaten kamen entweder Absagen oder gar keine Antworten. Zu weit pendeln war für ihn aber auch nicht möglich wegen der Kinder. Arbeitslos bleiben? Niemals.

Tom bewirbt sich auf eine Stelle als Zusteller. Zwar nur für 20 Stunden, aber besser als zuhause sitzen. Er bekommt den Job. Ist nur vorübergehend, sagt er zu sich selbst. In der zweiten Arbeitswoche kommt sein Chef auf ihn zu. “Wir haben die nächsten Tage extrem viel Arbeit, könntest du ausnahmsweise mehr Stunden machen?”. Natürlich macht er das, nein sagen würde bedeuten Angst um den Job haben zu müssen. Also werden aus angemeldeten 20 Stunden 30. Aber auch drei Wochen später bleibt es bei 30, teilweise sogar 35 Stunden. Irgendwann sucht er das Gespräch mit dem Chef und fragt um eine Erhöhung von Teilzeit auf Vollzeit wenn die Stunden sowieso gearbeitet werden müssen. Die Antwort war ein lautes Lachen sowie der Hinweis dutzend andere würden sich um den Job reißen, er könne jederzeit gehen. 

Nach Dienstschluss sucht Tom nach anderen Jobs, doch in seiner Umgebung ist nichts zu finden und alles andere wäre mit den Kindern nicht vereinbar. Es kommt der Punkt an dem er mit Sozialhilfe aufstocken muss. Weil die Arbeit nicht zum Leben reicht. Und er bemerkt, dass es nichts mit Faulheit zu tun hat, wenn man arm ist. 

Selbst schuld, wer so mies bezahlte Jobs macht

Einzelfall? Schön wäre es. Es gibt nach wie vor zu viele Jobs die von der Stigmatisierung von Armut leben! Die davon leben, dass sich Menschen ausbeuten lassen aus Angst davor, erwerbslos zu sein. Es gibt Vollzeitjobs, die unter der Armutsgefährdungsgrenze liegen und solche, die zwar offiziell Teilzeit sind, aber in denen du meist wesentlich mehr Stunden leisten musst. “Dann such dir was Besseres” ist zwar leicht dahergesagt, aber glaubt wirklich jemand, das würden diese Menschen nicht tun? Niemand möchte Jobs von denen man knapp die Fixkosten stemmen kann, aber sich nicht mal ein Eis mit den Kindern am Wochenende ausgeht. Wirklich niemand. Du machst sie um nicht zuhause zu sitzen und als faul abgestempelt zu werden. 

Wenn wie so oft von Leistung und Eigenverantwortung gesprochen wird, dann sollten wir endlich besser hinsehen, was damit gemeint ist. Denn jene, die arm sind trotz Arbeit, die arm sind aufgrund von Erkrankungen, die aus dem gewohnten Erwerbsleben rausfallen und dank all der Vorurteile Niedrigstlohnjobs annehmen, sind alles andere als faul oder bequem. Wir sollten viel mehr auf jene Unternehmen und Konzerne achten, die davon massiv profitieren. Die davon leben, dass Menschen prekäre Jobs annehmen (müssen). 

Wir sollten uns darauf einigen, dass Arbeit natürlich so viel einbringen muss, damit man gut davon leben kann! Wenn dein erwerbsloser Nachbar samt Zuverdienst mehr hat als du in deinem Vollzeitjob – dann sind weder das Arbeitslosengeld noch die Sozialhilfe zu hoch, sondern das Gehalt von deinem Job zu niedrig. Denn die Sozialhilfe liegt am untersten finanziellen Limit dessen, was ein Mensch in Österreich zum Überleben braucht. All die Debatten und Pressemeldungen rund um Sozialleistungen dienen nur einem Zweck: die Bevölkerung zu verunsichern und Stimmung gegen das untere Einkommensdrittel zu machen. Stimmung gegen Menschen, die weder faul noch bequem sind, die teils durch Erkrankungen oder Erschöpfung aus dem Erwerbsleben rausgefallen sind und dann, dank all der Vorurteile, jeden noch so mies bezahlten Job annehmen, nur um nicht selbst als erwerbslos zu gelten und genau in diese Schublade gesteckt zu werden. Es ist dieses Spalten und die Stigmatisierung von Erwerbslosigkeit die Niedrigstlohnjobs am laufen halten. Und die jegliche Debatte über Leistung und Eigenverantwortung als zynische Ablenkung entlarven!

Titelbild: Christopher Glanzl

Autor

  • Daniela Brodesser

    Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

33 Kommentare

33 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Die Ergebnisse der Pilnacek-Kommission

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!