Dienstag, Dezember 10, 2024

Unter Wirklichkeitsskeptikern

Klimakatastrophe. Dürre, Mega-Hitze, und nun die große Flut. Aber der Kanzler findet, die Angst vor der „Untergangsapokalypse“ ist unser Hauptfeind.

Im Osten haben wir einen Juli mit einer drei Wochen praktisch ununterbrochenen Hitzewelle erlebt. Manchmal bis 36 Grad, manchmal bisschen darunter. In den Schlafzimmern hatte es auch Nachts bis zu 28 Grad, außer man hat eine Klimaanlage. Außerhalb der Städte stöhnte die Landwirtschaft über Dürre, Hitze und Hagel, und die Hagelversicherung stöhnte natürlich auch und schätzte einen Schaden von rund 500 Millionen Euro durch die ganzen Wetterereignisse des letzten halben Jahres, von dem späten Frost, der die Marillen killte, bis zur monatelangen Trockenheit. Fast übergangslos ging es flott ins Extremwetterereignis, kaum regnet es einmal, gießt es in Kübeln vom Himmeln, halb Kärnten, die Steiermark, das Burgenland und vor allem Slowenien stehen unter Wasser und es gibt Spezialsendungen im Fernsehen. Da ein Extrem, dort ein Extrem. Zwischenzeitlich schieben sich Eisschollen durch die Fußgängerzonen. Wehrschütz, der Tausendsassa, hat es aus den Schützengräben des Donbas in die überschwemmten Gebiete des Balkan geschafft. Wahrscheinlich ist er gerudert.

Normalität gesucht

Wenn sich die Mikl-Leitners so für die Normalität einsetzen, können die nicht mal etwas für normales Wetter tun?

Die Meere und Ozeane sind so heiß wie nie. Damit gibt es auch mehr Regenwasser in der Atmosphäre und Sturmfluten. Das alles geht schneller, als der landläufige Durchschnittspessimist erwartet hätte. Ehrlich gesagt hatte ich mich darauf eingestellt, dass ich das alles nicht mehr erleben werde, da hätte ich mich besser vorher akkurater informiert. Die Grenze, ab der etwa ein Arbeitssommer in der Stadt für Fiftysomethings wie mich nicht mehr überlebbar ist, ist mit einem Mal so absehbar wie das Sixty vor dem -somethings. Die brennenden Wälder von Kanada, Rhodos, Korfu habe ich erwähnt? Die Touristen, die das Hab und Gut ins Hotelzimmer abstellten und sich dann mit einem kleinen Handgepäck in Sicherheit bringen mussten? Oder die abenteuerlichen Nächte an den Flughäfen von Palermo bis sonstwo, wo Heerscharen von Gestrandeten in ungekühlten Hallen das Beste daraus machten, also eben stoisch abwarteten und sich gegenseitig halfen.

Sprechverbot der Leugner

Der Sommer 2023 ist der, bei dem die Klimakatastrophe erstmals so richtig akut da ist, und nur mehr ausgewachsene Knallköpfe machen ihre Leugnungs-Witze. Wo wir in zehn Jahren stehen, kann man einigermaßen erahnen.

Dafür haben wir einen Kanzler, der unter Berufung auf einen schrillen ultrakonservativen US-Gewährmann nicht die Klimakatastrophe als Gefahr charakterisiert, sondern eine „Untergangsapokalypse“. Das ist natürlich eine schöne Deppenidiotie, um das in der Diktion des Kanzlerdarstellers zu formulieren. Nicht die Tatsache, dass wir demnächst gekocht werden, wird angeprangert, sondern der angebliche „Alarmismus“. Der rechte mediale Mainstream hat das getan, was er in seinem hysterischen Wahn immer anderen vorwirft, nämlich ein Sprechverbot verhängt: Es ist schon nicht mehr möglich, die Wirklichkeit zu beschreiben und das, was auf uns zukommt. Das wird dann gleich als „Alarmismus“ veräppelt. Aber wenn eine Katastrophe auf uns zukommt, wäre es vielleicht von Vorteil, die nicht zu leugnen, sondern Pläne zu machen, um sie wenigstens irgendwie zu meistern.

Aber hier schreien sie „Don`t look up“ und sagen, das wäre normal.

Bald wird es verboten sein, eine Katastrophe eine Katastrophe zu nennen. Dabei sei es durchaus angebracht, „existenzielle Bedrohungen“ auch „existenzielle Bedrohungen“ zu nennen, wie Joseph Gepp unlängst im „Standard“ schrieb.

Unsinnige Vergleiche

Gewiss hat es früher auch schon heftige Temperaturschwankungen gegeben. Nur gab es da kein menschliches Leben und die Frühformen des Lebens sind zu 85 Prozent gekillt worden. In den vergangen 2000 Jahren schwankte die globale Durchschnittstemperatur nur um einige wenige Zehntel-Grad, größere Ausschläge waren regional begrenzt und entfalteten sich allmählich, nicht plötzlich. Ein globaler Anstieg von 1,5 Grad (und das ist bekanntlich nur das optimistische Idealziel, das wir sowieso nicht mehr erreichen werden), ist von einer vollends anderen Dimension. Klar, „die Menschheit“, wird dadurch nicht aussterben (wahrscheinlich), aber die „Gattung“ stirbt auch nicht aus, wenn von den acht Milliarden nur mehr sechs, vier, zwei oder eine Milliarde übrigbleibt und die Verbliebenen sich um den letzten Rest an Lebenschancen bekriegen.

Um die allgemein eingemahnte 1,5-Grad-Grenze zu halten, „müssen wir in sechseinhalb Jahren die globalen Emissionen halbieren. Dafür müssen sie jährlich um sieben Prozent sinken. Bislang sind sie fast nur gewachsen. Wie kann man da davon sprechen, man dürfe nichts überstürzen?“, fragt Bernhard Pötter in der taz.

Jeder weiß nach diesem Sommer, dass es die Klimakatastrophe gibt. Wer sie jetzt noch abstreitet oder mit dem Schlaumeierargument kommt, dass es immer im Sommer warm war, und gelegentlich auch Überschwemmungen gab, der lebt, das muss leider in aller Härte gesagt werden so weit jenseits der Realitäten, dass man sich fragt, wie solche Leute überhaupt noch einigermaßen lebenstüchtig ihren Alltag bewältigen können. Dass sie noch schaffen, sich eine Unterhose gerade anzuziehen oder Schnürsenkel zuzubinden – ein Wunder. Die Herrschaften halten zwar bekanntlich nicht viel von der Wissenschaft, sollten aber dringend von der Forschung unter die Lupe genommen werden.

Alternative Fakten & verhöhnender Humor

Klar gab es auch 2019 Feuerwehreinsätze wegen Extremwetterereignissen. Aber heute gibt es eben vier Mal mehr.

Geradezu von religiöser Verbohrtheit ist der Wahn, die Wirklichkeit leugnen zu müssen. Nach den Hitzewochen glaubte etwa FPÖ-Clown Harald Vilimsky, es wäre eine besonders raffinierte propagandistische Tat, einen Regenschutzmantel zu posten, mit dem Zusatz „Hitzeschutzmantel Sommer 2023“.

Ho-Ho-Ho, wir klopfen uns vor Lachen auf die Schenkel.

Die Betroffenen in den überschwemmten Gebieten finden den Humor sicher extrem witzig.

Bestimmt startet die FPÖ demnächst ein Volksbegehren „gegen die Wasser- und Regen-Hysterie“. Kickl wird den Leuten mit den überschwemmten Kellern und Häusern wahrscheinlich dann erklären, dass ihre Häuser gar nicht unter Wasser standen, sondern ihnen das nur vom lügnerischen öffentlich-rechtlichen Rundfunk eingeredet worden ist und dass eine Sturzflut ja auch nur ein harmloses Rinnsal sei, also kein Grund zur Sorge.

Aber Achtung. In überschwemmten Häusern gibt es meist reichliche Vorräte an nassen Fetzen. Man hört, die könne man ganz nützlich einsetzen.

Titelbild: Thomas König/ZackZack

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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