Samstag, Juli 27, 2024

Propagandavideos in ZiB1: Bis dato keine Aufklärung

Der ORF bebilderte einen Beitrag mit zwei Videos aus russischen Propagandakanälen, die etwas ganz anderes als das Berichtete darstellten. Fragen zur Genese beantwortet der Sender nicht.

Der ORF ist in seinen Hauptabendnachrichten – vor mehr als einer Million Zusehern – „russischer Propaganda voll in die Falle“ getappt. So drastisch formuliert es Factchecker Andre Wolf vom Medienwatchblog „mimikama“.

Irreführende Videos und Fake News

Worum geht’s? In einem ZiB1-Beitrag vom Dienstag (15.8.) bebilderte die Redaktion einen Beitrag über Korruption in der Ukraine mit zwei Videos, die nichts mit dem Berichtsthema zu tun haben. Sie stammen vielmehr direkt aus russischen Propagandakanälen, die schon länger mit dem Thema Zwangsmobilisierungen Stimmung gegen die Ukraine machen. Der ZiB1-Beitrag ist von Christian Wehrschütz, der immer wieder wegen seiner Berichterstattung in der Kritik steht.

Das erste der Videos zeigt keine Zwangsrekrutierung auf offener Straße, sondern die Verhaftung eines russischen Geheimdienstagenten in Odessa. Das zweite Video zeigt nicht die vom ORF behauptete Zwangsrekrutierung an einer ukrainischen Universität, sondern stammt von einem ukrainischen Grenzposten. Ein Twitter-User hatte auf die falsche Bebilderung hingewiesen, kurz darauf kamen Faktenchecks von der ukrainischen Nachrichtenagentur Ukrinform und eben von mimikama.

„Das Verschleiern von Fakten, das Umpacken von Ereignissen in einen neuen, oft irreführenden Kontext, ist keine neue Taktik“, schreibt mimikama zum ORF-Falschbericht. Und weiter: „In der heutigen digitalen Welt haben solche Manipulationen ein nie dagewesenes Potenzial. Ein falsch kontextualisiertes Video kann sich viral verbreiten und Zehntausende, wenn nicht Millionen erreichen, bevor es überhaupt als Fake identifiziert wird.

ORF-Korrespondent Wehrschütz selbst schrieb, es sei sein „erster Fehler in 23 Jahren als Korrespondent“. Er habe Videos „aus seriöser Quelle“ verwendet und diese nicht „zusätzlich überprüft.“

Das erste Mal, dass der vielfach preisgekrönte – zuletzt mit dem Fernsehpreis ROMY und dem Goldenen Ehrenkreuz der Republik –  Wehrschütz prorussische Falschmeldungen verbreitet, war es jedenfalls mit Sicherheit nicht. 2022 berichtete er vom Tod eines Scharfschützen in der Ukraine, die Behauptung war jedoch frei erfunden. Darauf wiesen etwa die Faktenchecker von „Correctiv“ hin.

Zurück zum aktuellen Fall: Wie kann es sein, dass Beiträge über das derzeit wichtigste außenpolitische Thema offenbar ungeprüft auf Sendung gehen? Auf die eindeutigen Faktenchecks hingewiesen, antwortete der ORF zunächst gestern am späten Nachmittag:

„Dem ORF russische Propaganda bzw. russlandfreundliche Berichterstattung zu unterstellen ist absurd und richtet sich von selbst. Die angesprochenen Videos, die auch von einer Vielzahl europäischer TV-Sender gezeigt wurden, hat der ORF über eine verlässliche und vertrauenswürdige Quelle erhalten.“

Und weiter: „Zusätzliche Recherchen lassen bis zum jetzigen Zeitpunkt keinen Zweifel an der Echtheit der Bilder bzw. der darin gezeigten Inhalte aufkommen. Selbstverständlich gilt: Sollten sich die Videos als Teil des „Informations-Krieges“ herausstellen, wird der ORF dies in seinen Nachrichtenformaten benennen und darüber berichten.

Die Fragen von ZackZack beantwortete der ORF nicht. Wenige Stunden später ruderte das Medienhaus zurück und schrieb auf Twitter: „Weiterführende Recherchen des ORF und eine nochmalige Überprüfung haben ergeben, dass die angesprochenen Videos aus der Ukraine nicht den transportierten Inhalten entsprechen, was der ORF außerordentlich bedauert.“

Eine Richtigstellung in den ORF-Nachrichten blieb Donnerstagabend noch aus, eine solche wurde aber in Aussicht gestellt.

Eine umfassende Aufklärung ist das ORF-Statement natürlich nicht, die meisten Fragen bleiben weiterhin offen. ZackZack schickte eine Anfrage an den ORF. Wir wollten wissen, warum der ORF in seiner ersten Reaktion die Kritik herunterspielte, wie dieser Fehler passieren konnte, wie Quellen beim ORF grundsätzlich überprüft werden, welche Prüfinstanzen es beim ORF gibt. Außerdem wollten wir wissen, wie der Rundfunk nun mit dem Fall umgehe und welche Folgen er für die eigenen Redaktionen und insbesondere Wehrschütz hat?

Keine Antworten

Sämtliche Fragen wurden von der Presseabteilung ignoriert, daraufhin kam ein vorgefertigtes Statement:

Wir haben nachgefragt, neuerlich um Beantwortung der Anfrage gebeten. Die Antwort kam unmittelbar danach:


Wir schickten Freitagmittag eine weitere Anfrage, an die Pressestelle sowie an Dieter Bornemann, Vorsitzender des Redakteursrats, sowie an die ORF-Generaldirektion. Bis Redaktionsschluss kam keine Antwort zurück.

Auffällige Vergangenheit

Die Probleme rund um Wehrschütz‘ Berichterstattung reichen schon jahrelang zurück: Bereits 2019 wurde Wehrschütz von den ukrainischen Behörden mit einem Einreiseverbot belegt. Dieses wurde erst durch Intervention des österreichischen Außenministeriums wieder fallengelassen. Offizielle Begründung der Ukraine war ein illegaler Grenzübertritt, den Wehrschütz jedoch dementierte. Die Rede war aber auch von „antiukrainischer Propaganda“ des ORF-Korrespondenten.

Dies kam nicht überraschend, denn bereits im Zuge des Euromaidan, der Annexion der Krim und des russischen Überfalls im Donbass in der Vergangenheit fiel Wehrschütz immer wieder mit prorussischen oder antiwestlichen Framings auf, rund um den „ukrainischen Bürgerkrieg“ und „prorussische Rebellen“. Diese Formulierungen entsprachen der russischen Propaganda und hielten und halten einem faktischen Blick kaum Stand.

Auch Jahre später, am 26. Februar 2022, zwei Tage nach der großangelegten russischen Invasion, postete er eine problematische Illustration auf seinem Facebook-Kanal. Es ist eine Szenenfolge aus „Tom & Jerry“, die aufgrund ihrer Beschriftung eine Kriegsschuld der NATO andeutet.

Wehrschütz will sich vorauseilend distanzieren: „Natürlich ist dies keine Rechtfertigung für den Krieg, nur damit das völlig klar war“, überschrieb er den Cartoon. Auf spätere Kritik hin erklärte er, der Cartoon sei „keine Schuldzuweisung“ gewesen. „Die Nato hat Russland aufgeganselt – und dann die Ukraine im Regen stehen lassen“, zitiert ihn der „Standard“.  

Es ist bei weitem nicht der einzige Fall, der Zweifel an Wehrschütz‘ Objektivität aufkommen lässt. In einem Aufsager über die gefundenen Massengräber von Butscha, von der ganzen Welt zu dem Zeitpunkt verurteilt, forderte er eine „seriöse Untersuchung“, wie viele tatsächlich die Opfer von Kriegsverbrechen geworden sind. Beim russischen Angriff auf den Bahnhof Kramatorsk, bei dem mehr als 50 Menschen starben, sprach Wehrschütz von „Grautönen“ und sinngemäß von einem ebenso möglichen Zufallstreffer.

Es gibt viele weitere Beispiele, deren Nachweis aufgrund der Siebentage-Regelung der ORF-Mediathek jedoch oft schwierig ist. Dem Vernehmen nach ist jedenfalls ORF-intern der Unmut über ihn seit Jahren groß. Warum etwa Wehrschütz fast im Alleingang die gesamte Berichterstattung aus der Ukraine bestreitet, können viele nicht nachvollziehen. Auch dies hätten wir gern vom ORF erfahren.  

Appelle an ORF und Medienpolitik

Henrike Brandstötter, Mediensprecherin der NEOS, forderte auf ZackZack-Anfrage vom ORF höhere journalistische Standards ein: „Der ORF nimmt sich sehr ernst, dementsprechend sollten auch sehr hohe journalistische Standards gelten“. Sie sprach von einer „Unternehmenskrise und Vertrauenskrise die hier geschaffen wird und die hier passiert. Vielleicht sollte der ORF seine internen Informationsprozesse hinterfragen.“ Die NEOS-Politikerin erinnerte zudem an die Terrornacht in Wien 2021: „auch da war der ORF dabei und hat journalistische Standards verletzt“

Fritz Hausjell, Direktor von Reporter ohne Grenzen und stellvertretender Institutsvorstand am Institut für Publizistik und Kommunikationswissenschaft an der Universität Wien, nimmt den Fall zum Anlass, um auf die Schwächung des seriösen Journalismus in Österreich hinzuweisen: „Der Journalismus in Österreich ist geschwächt, wir haben sehr viel weniger Menschen die im Journalismus arbeiten, denn wir haben eine Medienpolitik erlebt, die systematisch auf eine Schwächung des echten Journalismus hinausgelaufen ist. Deshalb sind wir im Pressefreiheitsindex um einige Stufen heruntergerasselt.“

Durch einen „erheblichen Strukturwandel“ in der Öffentlichkeit, in der PR-Strategien und Propaganda über neue Kanäle immer leichter ihren Weg in die Öffentlichkeit finden, brauche es daher immer dringender eine „Selbstbehauptung des klassischen Journalismus“. Und, so Hausjell: „Es gibt ohnehin genügend Ebenen, die Scheinwelten erzeugen, zum Beispiel PR-Maschinerien, mittelmäßiger Journalismus und Propaganda. Die Fähigkeit der meisten Bürgerinnen, das alles auseinanderzuhalten, ist limitiert.“ Wie man am aktuellen Fall sieht, sind auch Medien nicht vor schwerwiegenden Fehlern gefeit.

Titelbild: Twittervideo Fella_IA_X25

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Weiterführende Links:

https://www.mimikama.org/orf-falle-der-desinformation/

https://www.ukrinform.ua/rubric-factcheck/3749424-avstrijske-tb-u-suzeti-pro-mobilizaciu-ukrainciv-vikoristalo-2-videofejki.html

https://www.derstandard.at/story/2000137009854/christian-wehrschuetz-klagte-schriftsteller-wegen-twitter-vorwurfs-er-verbreite-russische

Autor

  • Florian Bayer

    Ist freier Journalist in Wien und beschäftigt sich neben Osteuropa auch mit den politischen Abgründen Österreichs. Zu wenige gibt es davon ja nicht.

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