FPÖ-Chef Herbert Kickl fühlte sich im ORF Sommergespräch offenkundig nicht ganz wohl. Doch das muss er auch nicht. Denn journalistisch hart geführte Fernsehinterviews sind eine demokratische Grundsäule und keine stimmungsvolle Inszenierung, so Fritz Hausjell.
„Vielleicht verschlägt’s mich ja dann am Ende dann auch in die journalistische Ecke. Und da kann es ja auch einmal sein, dass ich Sie zu einem Interview einlade“, meinte Herbert Kickl am Beginn des ORF-Sommergesprächs zur Interviewerin Susanne Schnabl. Vorerst bleibe er aber in der Politik, versprach der FPÖ-Chef. Das ist gut so, denn sein Verständnis von Journalismus ist doch wenig entwickelt, auch wenn er vor sehr vielen Jahren einmal bei mir am Wiener Publizistik-Institut studiert hat, wie er mir vor einigen Jahren versichert hatte.
Holpriger Start im „Verhörzimmer“
Der Tonfall beim Sommergespräch ist ruhig. Doch mit der architekturkritischen Bemerkung zur angeblich unpassenden Lokalitätswahl des ORF bläst Kickl zum ersten heftigen Angriff, den er mit Lämmchenstimme vorträgt: „ Aber es hat natürlich auch a bissal – ich formulier’s vielleicht jetzt etwas direkt, wie es meine Art ist – den herben Charme eines Stasi-Verhörzimmers.“
Schnabl darauf freundlich: „Waren Sie schon einmal in einem? Ich nämlich nicht.“
Kickl: „Nein. Ich hab‘ gegoogelt und da gibt es Bilder davon. Aber Sie können mir glauben, das schaut wirklich so ähnlich aus.“
Schnabl: „Naja. Im Parlament. Wenn Sie es sagen.“
Stille. Kickl greift zum Wasserglas. Nippt. Dreht seinen Kopf nach links, blickt direkt in die Kamera und sagt dann: „Des schneiden’s jetzt aber net aussa, gell!“
Kein Wohlfühlambiente
Der Vorwurf Kickls, der ORF könnte aus dem voraufgezeichneten „Sommergespräch“ ihm wichtige Passagen herausschneiden, kommt im nachfolgenden Interview noch mehrmals. Was das Publikum am Montagabend auf ORF 2 zu sehen bekam, war einmal mehr ORF-Bashing (der ist nicht einmal in der Lage, eine passende Location für die „Sommergespräche“ zu finden). Das hat davor schon Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger nach dem Gespräch auf Instagram kritisiert: “Ein bisschen düster und schräg ausgeleuchtet. Wie bei einem Verhör in einem Spionagethriller.”
„Spionagethriller? Pah!“, könnte Kickl im Freundeskreis darauf gemeint haben. „Stasi-Verhörzimmer“, das pfeife wirklich. Da schwingt politischer Druck von „Links“ im DDR-Stil mit.
Es stellt sich die Frage, ob die politischen Eliten in der medialen Ausleuchtung ein wenig zu verwöhnt sind. Wenn wir Inhalte quasi „natur pur“ bekommen wollen, dann schadet es gar nicht, wenn die Bilder von den handelnden politischen Akteur*innen realitätsnäher rüberkommen. Die Fokussierung auf die Gesprächspartner ist übrigens eine erfreuliche journalistische Gegenstrategie zur Ambiente-Inszenierung, die nicht nur die Politik, sondern auch viele Medien gerne haben. Die karge Bühne wird fernsehjournalistisch gerade (wieder)entdeckt. Der ORF hat das diesen Jänner beispielsweise mit der Blackbox in der Präsidentschaftskanzlei beim Interview zum Antritt der zweiten Amtsperiode von Alexander Van der Bellen gemacht.
Freiwilligkeit
Weil auch mancher Journalist das Wording der Politik distanzlos übernimmt, vielleicht eine kleine Anmerkung, warum der Begriff “Verhör” derart unpassend ist, selbst für härtest geführte Interviews. Herr Kickl sowie alle Interviewgäste können jederzeit ein Gespräch mit Journalist*innen beenden. Bei einem Verhör können Sie indes nicht jederzeit aufstehen und gehen. Das konnte man weder bei der Stasi, noch bei der Gestapo. Nicht einmal bei der österreichischen Staatspolizei, wenn ich mich an eine Rechercheerfahrung als junger Journalist im Jahr 1980 richtig erinnere, wo ich wegen Verdachts der „Erspähung eines Staatsgeheimnisses zu Spionagezwecken“ verhört wurde. Ich hatte damals auf der Kärntner Koralm das gerade in Bau befindliche Luftraumüberwachungssystem „Goldhaube“ erkundet.
Nazi-Vergleiche
Ende April 2019, kurz vor Veröffentlichung des Ibiza-Videos, regierte Türkis-Blau. Die FPÖ agierte selbstbewusst und massiv gegen kritischen Journalismus, wenn er Verhältnisse in ihren Reihen ausleuchtete. Im Zuge des EU-Wahlkampfes konfrontierte Armin Wolf in der „ZIB 2“ FPÖ-EU-Kandidat Harald Vilimsky mit verschiedenen Sachverhalten. Vilimskys FPÖ-Kollegin Ursula Stenzel, damals nichtamtsführende Wiener Stadträtin (und ehemals ZiB-Moderatorin), verglich Wolfs Fragen mit dem Volksgerichtshof der Nazis. Norbert Steger, für die FPÖ im ORF-Stiftungsrat damals dessen Vorsitzender, sekundierte: „Dass sich ein ORF- Moderator zu so einem staatsanwaltlichen Verhörton hinreißen lässt – der kann ja in einem Volksgerichtshof auftreten.“ Er legte Wolf „Auszeit“ nahe. Etliche Politiker*innen forderten Konsequenzen für den inhaltlich dummen und geschmacklosen Vergleich. Doch Stenzel blieb, Steger zog ebenso keine Konsequenzen.
Der “Heute Journal”-Anchor Claus Kleber von der ARD hatte einige Wochen davor, im Februar 2019, in einer Laudatio über Armin Wolf und seine Interviews folgendes gesagt:
“Man hat Armin Wolf den Vorwurf gemacht, seine Interviews fühlten sich wie Verhöre an. Wissen Sie was: Da ist was dran. Es sind höfliche Verhöre, wenn es sowas gibt, mit Einstecktuch sozusagen. Aber Verhöre. Nur muss einer, der sich anschickt, die Politik eines Landes zu bestimmen, das schon aushalten. Das ist dann auch nicht Abendunterhaltung, auch wenn es sehr unterhaltend werden kann. Das ist eine Säule demokratischer Ordnung.”
Demokratische Reife
Ein Politiker wie Herbert Kickl, der stolz darauf ist, direkt zu formulieren und den starken Mann zu mimen, sollte mit hart geführten Interviews eigentlich eine Freude haben, weil sie auf Augenhöhe stattfinden. Politiker*innen, die weinerlich Journalismus als Stasi- und Volksgerichtshof-Verhöre denunzieren, haben – milde gesagt – wenig demokratische Reife, weil sie die Bedeutung des Journalismus in der liberalen Demokratie nicht ausreichend verstanden haben. Will Kickl einst in den Journalismus wechseln, hat er jedenfalls noch viele Lektionen vor sich.
Titelbild: Screenshot Twitter ORF Sommergespräch