Samstag, Juli 27, 2024

Der Panzer-Jackpot

Das Bundesheer hat den 16 Milliarden-Regierungs-Jackpot der Regierung geknackt. Jetzt beginnt das große Shoppen. Debatten darüber sind unerwünscht. Der Sprecher von Verteidigungsministerin Klaudia Tanner greift den ORF an.

Aus Bächen werden Sturzfluten. Sie reißen Straßen und Häuser weg. Österreich investiert in Kampfpanzer.

Die nächste COVID-Welle wird Abteilungen und vielleicht ganze Spitäler mitreißen. Sie wird im Herbst erwartet. Österreich investiert in Artillerie.

Mehr als 200.000 Kinder sitzen – meist mit alleinerziehenden Müttern – in der Armutsfalle. Immer mehr Menschen enden in Altersarmut. Österreich investiert in Eurofighter.

Niemand weiß, wie der Kampf um das Überleben unserer Spitäler finanziert wird. Niemand weiß, woher das Geld für genug Pflege kommen soll. Für den – jederzeit gewinnbaren – Kampf gegen Kinderarmut fehlt das Geld.

„Verzweifelter ORF“

Im Verteidigungsministerium weiß man, dass man öffentliche Debatten über den Milliarden-Jackpot nur verlieren kann. Als mich die ZiB 2 am Sonntag als Vorsitzenden des letzten Eurofighter-U-Ausschusses nach der Sinnhaftigkeit der Investitionen fragte, startete Michael Bauer als Sprecher der Verteidigungsministerin einen Angriff auf den ORF: „Der ORF sucht verzweifelt Politiker, die die Nachrüstung des Bundesheeres kritisieren.“

Bundesheerbauer in der Scheinwelt

„Man kann ja eine Zeit lang in einer Scheinwelt leben. Irgendwann sollte man aber in der Realität ankommen.“ Als Tanner-Sprecher hat Michael Bauer damit unfreiwillig präzise beschrieben, was bei ihm im Haus gerade passiert. Anstelle eines Plans hat seine Ministerin mehr als 16 Milliarden Euro und einen Einkaufszettel.

16,6 Milliarden sind viel Geld. Man muss schon einen besonders guten Grund haben, dieses Geld nicht für Pflege, Spitäler und Schulen, sondern für militärische Beschaffungen auszugeben. Gibt es diesen guten Grund?

Heer desolat

Auf den ersten Blick sieht man: Das Bundesheer ist, was seine Ausrüstung betrifft, in einem traurigen Zustand. Lastwagen und Transportflugzeuge sind ebenso schrottreif wie Kampfpanzer und Artillerie. Die wenigen flugfähigen Eurofighter schaffen ein paar Red Bull-Luftshows. Ersatzteile werden seit Jahren den Jets selbst entnommen, weil niemand mehr Ersatzteile für die Tranche 1 herstellt.

Dieser Zustand ist nichts Neues. Neu ist nur, dass die Verteidigungsministerin mit dem Ukraine-Krieg eine Chance sieht, einen Einkaufszettel vollzuschreiben. Auf dem Zettel stehen alle Wünsche – aber kein Plan. Das sieht man zuerst am Detail.

Kampfpanzer ohne Feind

Mit Geldern des „Aufbauplans“ sollen 56 Kampfpanzer „Leopard“ modernisiert werden – aber wozu? Welchem Angriff will sich Österreich mit Kampfpanzern entgegenstellen? Österreich ist von NATO- und EU-Staaten umgeben. Auch aus der Schweiz und Liechtenstein droht kein Panzerangriff. Es ist wie mit Schneepflügen in der Sahara: Natürlich ist denkbar, dass sich vieles ändert. Putins Panzerarmeen können Kurs auf St. Pölten nehmen, und in der Sahara kann das Wetter radikal umschlagen. Aber bis aus Ungarn und Tschechien wieder russische Panzerspitzen werden könnten, sind 56 „Leopard“ trotz teurer Kampfwertsteigerung längst Schrott.

Wir können es uns nicht aussuchen – aber anders als Finnland, Polen und die baltischen Republiken ist Österreich kein Frontstaat. Der Putin-Jet, der Kurs auf Wien nimmt, wird nicht von österreichischen Eurofightern, sondern von polnischen F-16 oder FA-50 abgeschossen werden.

Gunstlage genießen?

Für Österreich stellt sich eine andere Frage: Sollen wir unsere Gunstlage genießen und die Garantie militärischer Sicherheit anderen überlassen? Sollen wir einfach der NATO beitreten und Teil des US-Blocks werden? Oder sollen wir uns am europäischen Sicherheitsprojekt der Zukunft beteiligen? Es heißt „EU“ und „gemeinsame europäische Verteidigung“. Dort wird es keine Trittbrettfahrer geben, sondern nur Staaten, die nach ihren Fähigkeiten Beiträge leisten.

Europa hat sich noch immer nicht entschieden, ob seine Sicherheit eine Angelegenheit der USA oder eine gemeinsame europäische Aufgabe ist. Erst wenn diese Frage geklärt ist, machen Brüsseler Einkaufslisten Sinn.

Transport und Aufklärung

Also jetzt nichts investieren? Auch das wird nicht gehen. Damit unser Heer vom Katastrophenschutz bis zu den Auslandseinsätzen der UNO leistungsfähig bleibt, braucht es Infrastruktur, moderne Kommunikation, Personenausrüstungen und Kapazitäten für den Transport am Boden und in der Luft. Unabhängig von militärischen Bedrohungen muss die C-130 durch ein modernes Transportflugzeug ersetzt werden, dazu kommen Hubschrauber und gepanzerte und ungepanzerte Mannschaftsfahrzeuge.

Aber Eurofighter aufrüsten? Aus der fast waffenlosen Lachnummer eine Lachnummer mit Nachtsicht und Waffen machen? Mit Amraam-Luft-Luft-Raketen kampfbereit auf die Putin-Jets warten? Uns mit Kampfpanzern und Artillerie gegen befreundete Nachbarn schützen?

Gunst der Stunde

Das Verteidigungsbudget soll bis 2026 von 2,7 auf 4,7 Milliarden Euro steigen. Kein anderes Ressort bekommt um 74 Prozent mehr. Und kaum ein anderes Ressort weiß weniger, was man mit den Milliarden Vernünftiges anstellen kann.

Heeres-Propagandachef Bauer präsentiert auf Twitter stolz die Beute.

Grafik: Bundesheer

Man kann den Militärs kaum vorwerfen, dass sie die Gunst der Ukraine-Stunde genützt haben. Der Vorwurf geht an die Politik: Sie setzt die falschen Prioritäten.

Titelbild: EVA MANHART / APA / picturedesk.com

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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