Mit der Entscheidung für ein Briefkasten-Netzwerk in London geraten Holding Wien und Stadt Wien rund um den Bau der Veranstaltungshalle “WH-Arena” ins Zwielicht. Jetzt kommen zur schiefen Optik rechtliche Turbulenzen.
Beim Bau der „WH-Arena“, der Veranstaltungshalle der „Wien Holding GmbH“, geht es um viel Geld. Schon vor Beginn der Ausschreibung schätzte der Wiener Stadtrechnungshof 2020 die Kosten. Es „wurden in dieser ersten Berechnung die Gesamtkosten mit rund. 742 Millionen Euro – valorisiert bis ins Jahr 2026 – ausgewiesen“.
Bis kurz vor der Entscheidung der Holding war die Londoner „OVG Bristol Ltd“ als Bieterin nicht allein. In der streng geheimen „Tischvorlage WH-Arena“, die dem Holding-Aufsichtsrat am 29. Juni 2023 kurzfristig vorgelegt und ZackZack zugespielt wurde, steht auf Seite 7: „Bieter ist aus dem Bieterkonsortium OVG/Live Nation/Porr“ hervorgegangen.“ Aber inzwischen sind sowohl der Baukonzern „Porr AG“ als auch der internationale Großveranstalter „Live Nation“ nicht mehr an Bord. Die Briefkastenfirma aus London bietet im Alleingang an. Juristen sind der Meinung, dass die österreichische Gewerbeordnung das verbietet.
Trotz der schiefen Optik und offener rechtlicher Probleme entschied der Holding-Aufsichtsrat für „OVG Bristol“. Bis heute ist unklar, wie viele Mitglieder des Aufsichtsrats wussten, wer ihr Favorit „OVG Bristol Ltd“ ist.
1 Pfund-Gesellschaft
„OVG Bristol Limited“ wurde am 18. Mai 2021 in der walisischen Hauptstadt Cardiff gegründet – zeitgerecht für die Ausschreibung der Wiener „WH-Arena“ am 24. November 2021.
Mit einem einzigen britischen Pfund hält sich das Firmenkapital seit der Gründung in engen Grenzen. Für den Firmenzweck – die „Erbringung sonstiger wirtschaftlicher Dienstleistungen für Unternehmen und Privatpersonen“ – ist kaum Substanz da.
Aber “OVG Bristol” scheint nicht viel Kapital zu benötigen. Für das Wirtschaftsjahr bis zum 31. Mai 2022 heißt es in den „Financial Statements“: „Das Unternehmen hat während des Berichtszeitraums keinen Handel betrieben. Das Unternehmen hat keine Einnahmen erzielt und keine Ausgaben getätigt und daher weder Gewinn noch Verlust gemacht.“
In anderen Berichten wird „OVG Bristol“ als „dormant company“ – als „ruhendes Unternehmen, das keine Geschäftstätigkeit ausübt“ – beschrieben. Wer versucht, mit “OVG Bristol” Kontakt aufzunehmen, tut sich schwer, über Unternehmensplattformen eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse zu finden.
Das „ruhende Unternehmen“ ohne Geschäftstätigkeit hat 2021 und 2022 eine Ausnahme gemacht: für die “WH-Arena”.
Am 24. November 2021 verkündete der Wiener Stadtrat Peter Hanke: „Nach intensiven Vorarbeiten haben wir uns entschieden, am Markt nach einem strategischen Partner zu suchen, um die neue Multifunktionsarena unter bestmöglicher Umsetzung der Interessen der Stadt Wien am Puls der Zeit errichten und betreiben zu können“. Das genügte, um den „schlafenden“ Londoner Briefkasten „OVG Bristol“ aufzuwecken – falls die „OVG Bristol Ltd“ nicht ohnehin nur für die Wiener Ausschreibung als “strategischer Briefkasten” eingerichtet worden ist.
Mutter und Tochter „Briefkasten“
„OVG Bristol Ltd“ hat eine Eigentümerin: „OVG Europe Holding Ltd“. Wie „OVG Bristol“ residiert auch „OVG Europe Holding“ in „55 New Bond Street” in London. Und wie “OVG Bristol” verfügt auch die Muttergesellschaft über genau ein Pfund Firmenkapital.
Erst hinter diesem zweiten Briefkasten findet sich ein reales Unternehmen: die „Oak View Group LLC“ aus Los Angeles. Aber sie ist nicht Vertragspartner der “Wien Holding GmbH”. Laut Holding-Geheimpapier fungiert sie nur als „Patronatsgeberin für die technische Leistungsfähigkeit und die finanzielle und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit“.
Ausschluss der Klägerin
Am 31. August 2023 versuchten die Vertreter der Wien Holding bei der Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht Wien zu erklären, warum sie sich auf die Briefkastenfirma als “strategischen Partner” verlassen könnten. Doch die öffentliche Verhandlung reichte ihnen dazu offensichtlich nicht – und sie ersuchten das Gericht, wegen der Wahrung von „Geschäftsgeheimnissen“ ihre Argumente unter Ausschluss der Öffentlichkeit vortragen zu dürfen.
Das Gericht war einverstanden. Prozessbeobachter berichten, wie die Vertreter der Klägerin gegen 13.30 Uhr aus dem Saal gewiesen wurden. Das Gericht blieb mit den Vertretern der Wien Holding mehr als eine Stunde allein. Der Klägerin wurde damit jede Chance genommen, auf die neuen Argumente der Gegenseite einzugehen. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war Beteiligten nicht mehr klar, ob das Gericht in der Lage war, ein faires Verfahren zu gewährleisten.
Stolperstein „Gewerbeordnung“
In der Gerichtsverhandlung wurde klar: Der Entscheidung des Verwaltungsgerichts kommt eine Bedeutung weit über den Anlassfall hinaus zu. Der Grund dafür liegt in Paragraph 14 der Gewerbeordnung. Er verpflichtet Unternehmen aus nicht EU-Staaten, die keinen anderslautenden Staatsvertrag mit Österreich geschlossen haben, für Projekte wie die „WH-Arena“ eine Niederlassung in Österreich zu betreiben.
„OVG Bristol Ltd“ ist kein Unternehmen eines EU-Staats. Großbritannien hat keinen Staatsvertrag mit Österreich, der eine Ausnahme vorsieht. Von der Wiener Holding bis zu den Betreibern des Londoner Briefkastens dürften alle übersehen haben, dass sich nach dem Ausscheiden der österreichischen Porr AG als Konsortialführer für britische Unternehmen wie „OVG Bristol“ nach dem Brexit Entscheidendes geändert hat.
Doch es gibt keine österreichische Niederlassung der „OVG Bristol Ltd“ – und es scheint zweifelhaft, ob die Einrichtung einer weiteren Briefkastenfirma in Österreich etwas daran ändern würde. Gemeinsam mit „OVG Bristol Ltd“ scheint die Wiener Holding jetzt in einer Brexit-Falle zu sitzen – und kann nur hoffen, dass alle Gerichte das günstiger sehen.
Bürgermeister nicht informiert
Das Verwaltungsgericht Wien steht damit vor einer folgenreichen rechtlichen Entscheidung. Gibt es „OVG Bristol Ltd“ und der Wiener Holding recht, fallen Grenzen, die andere österreichische und EU-Unternehmen schützen. Aber die folgenreichere Entscheidung kommt auf die Wiener Politik zu. Spätestens im November 2023 soll der Gemeinderat die letzten notwendigen Beschlüsse fassen.
Doch in Holding und Stadt Wien gärt es. Nicht alle sind mit Hankes „OVG“-Kurs einverstanden, wie ZackZack aus beiden Bereichen erfuhr. Und: Der Entschluss, den Londoner Briefkasten zum „strategischen Partner“ von Holding und Stadt Wien zu machen, war nicht mit Bürgermeister Michael Ludwig abgesprochen.
Intern wird bereits nach dem “Verräter” der geheimen Tischvorlage an ZackZack gesucht. Der verantwortliche Stadtrat Peter Hanke beantwortete bis jetzt keine einzige der ZackZack-Fragen zur erfolgreichen Briefkastenfirma aus London. Die Wiener Holding reagierte mit einer Klagsdrohung – gegen „Unbekannt“.