Samstag, Juli 27, 2024

Halb John Lennon, halb Sterbehilfe

Österreichs Rückwärtsgewandtheit zeigt sich im Großen wie im Kleinen und bleibt meist unwidersprochen. Eine kleine Fallstudie.

Als die SPÖ im Jahr 1988 ihr Hundert-Jahr-Jubiläum in Hainfeld feierte, fehlte einer: Bruno Kreisky. Der Pensionist und Altkanzler schickte aus Mallorca eine Video-Botschaft, in der er die Geschichte des Armenarztes Viktor Adler und des Auslösers seines Engagements für die Rechte der Ziegelarbeiter im Süden Wiens erzählte.

Der Grund für Kreiskys Abwesenheit war eine Verstimmung. Sie galt seinem Nachnachfolger Franz Vranitzky. Vranitzky hatte Kreisky, der in den großen Koalitionen der 50er- und 60er-Jahre zunächst Staatssekretär für auswärtige Angelegenheiten, später erster Außenminister Österreichs gewesen war, düpiert, indem er in der großen Koalition das Außenministerium der ÖVP überließ. Just der stramme Rechtsaußen Alois Mock (eigentlich Sozialpolitiker des ÖAAB und früherer Unterrichtsminister) wurde Außenminister und blieb es für mehr als acht Jahre – länger als Leopold Figl. Und länger als Bruno Kreisky.

Überparteilichkeit

Nun musste die SPÖ in der Großen Koalition der ÖVP selbstverständlich bestimmte Ressorts überlassen. Und ob sie sich aussuchen konnte, welche Ressorts das waren, ist die Frage. Denn Mock übte erheblichen Druck aus. Er präferierte eine Kleine Koalition mit der FPÖ, die kurz davor Jörg Haider zum Obmann gewählt hatte. Der ÖVP-Parteivorstand aber erteilte Mock mehrheitlich eine Absage und stimmte für die Koalition mit der SPÖ.

War Kreiskys Abwesenheit also Attitüde oder legitimer Protest? Diese Frage möchte ich vor dem Hintergrund der Diplomatie erörtern – der Diplomatie, die der Überparteilichkeit und damit dem Respekt vor anderen Staaten und der Wahrung der eigenen Staatsform verpflichtet ist. Kreisky lebte diese Überparteilichkeit als Kanzler: Die drei Außenminister seiner Regierungen waren alle parteilos – also nicht SPÖ-Politiker. Kreisky absolvierte alle Staatsbesuche zusammen mit Politikern der oppositionellen ÖVP – und das im Sinne dessen, was er als bipartisan policy bezeichnete, einer überparteilichen Repräsentation Österreichs nach Außen, wie er sie schon bei den Verhandlungen über den Staatsvertrag und als Oppositionsführer zur Zeit der Niederschlagung des Prager Frühlings gelebt hatte.

Ein diplomatisches No-Go

Kreiskys Pessimismus von 1988 stellt sich aus heutiger Sicht leider als nicht unbegründet heraus. Man kann froh sein, dass er schon tot war, als die Koalition der Liste Kurz und der FPÖ Karin Kneissl das Amt der Außenministerin überließ. Eine Peinlichkeit, die kaum überbietbar scheint. Aber: Der Schein trügt. Mit der regierenden Koalition der Liste Kurz und der Grünen wurde Alexander Schallenberg Außenminister und er ist es – mit einem kurzen Ausflug in die Kanzlerschaft, unter der der angesehene Diplomat Michael Linhart leider nur für ein paar Wochen das Amt des Außenministers übernahm – bis heute.

Nun hat Schallenberg schon durch viele unwürdige Aussagen, die vom Koalitionspartner unwidersprochen blieben, aufhorchen lassen. Einige davon beinhalteten eine klare Parteinahme für Donald Trump und die Republikaner in den Vereinigten Staaten. Ein diplomatisches No-Go. Andere Aktionen Schallenbergs fielen eher durch Skurrilität auf, wie etwa eine Kampagne, die Österreich auf einen atomaren Angriff vorbereitet.

Halb John Lennon, halb Sterbehilfe

Man kann hier – wie schon bei Kneissl – der Parodie und der Satire das Feld überlassen. Aber ich möchte ernsthaft einwenden: Alexander Schallenberg ist Österreichs Außenminister. Er hat als solcher Verpflichtungen dem Staat und den Staatsbürgern gegenüber. Verpflichtungen, die man belächeln kann, die aber dennoch Verpflichtungen sind und bleiben. Rundheraus: Wie Schallenberg sein Amt ausübt, ist skandalös. Objektiv ausgedrückt: Schallenberg überschreitet in seiner Amtsausübung Grenzen des diplomatischen Usus, der seit 1945 von allen seinen Vorgängern eingehalten wurde.

Am Dienstag war ich auf der Auslandskulturtagung, einer jährlichen Veranstaltung, bei der eine Sektion des Außenministeriums ihre Ideen und Leistungen präsentiert. Auf der Bühne dieses Events fehlte Schallenberg nicht. Er war da – in seiner beredten Art, allerdings ohne Botschaft. Das Motto IMAGINE DIGNITY klang halb nach John Lennon und halb nach Sterbehilfe. Den wirklichen Leistungen seines Ministeriums und seiner vielen engagierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hat er damit keinen Dienst erwiesen.

Große Leistungen

Denn: Die Errungenschaften der Auslandskultur und der Österreichischen Kulturforen in aller Welt sind gerade in den letzten zehn Jahren große gewesen. Sie haben es geschafft, sich vom Kitsch der Lipizzaner und Sängerknaben zu befreien und repräsentieren Österreich heute in der Welt als einen Ort, wo Literatur, Kunst und Musik Eigenes und Herzeigbares hervorbringen. Die Auslandskultur und die Österreichischen Kulturforen zeigen es her und kommen mehr denn je ihrer Aufgabe nach. Das ist eine große Leistung in diesem Ministerium und ich behaupte, dass diese Leistung trotz der amtierenden AußenministerInnen vollbracht wurde und nicht wegen der amtierenden AußenministerInnen.

Leider aber hat mir an diesem eigentlich erfreulichen Abend ein kurzer Blick zur Seite den Magen verdorben. Dort, inmitten der vielen VertreterInnen der österreichischen Kultur im Ausland, präsentierten sich die Österreichischen Kulturforen der Nachfolgestaaten Jugoslawiens als KF Agram, KF Laibach und so weiter.

Hier haben wir es mit einer Überschreitung zu tun, einer unsagbaren Frechheit, einer Rückkehr zur Sprache von Monarchie und Kolonialismus, die man bei jedem Kinderbuchautor mit Shitstorms und Verbotsforderungen ahnden würde. Das demokratische Österreich geriert sich sprachlich und in seinem Selbstverständnis als Nachfolger jenes autoritären Reiches, das die Kontrolle über sein eigenes Geschick durch einen von ihm selbst begonnenen Krieg verloren hat. Das ist kein Scherz. Das ist Revisionismus der übelsten Art.

Es ist etwas anderes, ob uns ein selbsternannter Historiker erklärt, dass Gott am dritten Tag der Schöpfung den Kaiser Franz Joseph erschuf und Zagreb eigentlich immer schon Agram hieß, oder ob ein Ministerium einem solchen Weltbild schriftlich und offiziell Ausdruck verleiht. Was kommt als Nächstes? Heißt Namibia bald wieder Deutsch-Südwestafrika? Ist Österreich bald wieder die Ostmark? Düpieren die Römer Margarethe von Maultausch und fordern Innsbruck als Veldidena zurück? Wird Wien wieder Vindobona? Werden die Awaren Gumpoldskirchen und damit auch der Novomatic ihre richtigen Namen zurückgeben?

Verrückt

Es ist Vieles, das in den letzten Jahren verrückt wurde. Diese Verrückungen sind keine Verrücktheiten, sie sind Absicht, geplant, gemacht von Menschen, deren Absichten weder zufällig noch lächerlich sind. Es ist bitterer Ernst. Vieles davon geht zwar nebenher vonstatten, i.e. unbemerkt vom öffentlichen Diskurs. Umso schlimmer! Lassen wir uns nicht davon beirren, dass hier unübersehbar revisionistische Kräfte am Werk sind.

Die Politik der größeren Partei der großen Koalition (und damit auch der SPÖ unter Vranitzky) lief unter dem Motto: Der Klügere gibt nach. Ja, die Klügeren geben nach. Aber nur so lange, bis es keine Klügeren mehr gibt. Insofern hatte Kreisky recht. Und man muss es heute einmal mehr laut und deutlich und täglich und immer wieder und vor allem den Grünen und auch dem Herrn Bundespräsidenten sagen: Ein Außenminister Schallenberg ist eine Schande für einen demokratischen Staat, eine Schande für Österreich.

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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