Samstag, Juli 27, 2024

Von Burgern, Zombies und Menschen

Der Burgerskandal erinnert nicht nur an falsche Marie Antoinette-Zitate, sondern zeigt auch, welches Denken in die einst christlich soziale Partei ÖVP eingekehrt ist. Denn die eigene Verantwortung wird zur Eigenverantwortung anderer.

Das Burgergate ist durch Österreich gerauscht, hat eine Lawine an Memes und Witzen verursacht, Österreichs Ruhm in die weite Welt getragen, daran erinnert, dass Marie Antoinette auch aus Österreich stammte (und falsche Zitate an den bald durchschnittenen Hals geworfen bekam). Die ÖVP hat sich schützend hinter Karl Nehammer versammelt, alle Kritik an seiner verächtlichen Abwertung in selten seltsamer Umkehr als Verachtung und Abwertung bezeichnet, und damit noch ein Schauferl nachgelegt. Es lief also eigentlich alles wie immer.

Zersetzende Schnitzelburger

Diverse Kirchenmenschen übten scharfe Kritik. So weit, so normal in diesen neuen normalen österreichischen Zeiten zwischen Psychopharmaka, Schnitzerlburger und Alkohol. Aber, und das ist natürlich schmerzhaft, wir müssen reden. Wir müssen reden, neues Österreich. Dieses Österreich, in dem Verachtung so salonfähig geworden ist, dass man sich über ihre immer neuen Formen gar nicht mehr wundert. Sie zeigte sich bei dem Burgervideodrama nicht zum ersten und ganz bestimmt nicht zum letzten Mal. Schon wird darauf spekuliert, dass dieses Video der ÖVP nicht schaden wird. Vermutlich. Vielleicht schadet das Video nicht der ÖVP. Aber es schadet der Demokratie, dem Zusammenhalt, der Stimmung in diesem Land. Diese Verachtung rüttelt an den Grundfesten unseres Zusammenlebens. Sie vergiftet. Sie betreibt eine Opfertäterumkehr, weil es billiger ist, das eigene Versagen in eine Verantwortungspflicht der anderen umzudrehen.

Eigenverantwortung anderer

Das Zauberwort dafür heißt Eigenverantwortung. Eigenverantwortung ist an und für sich eine wirklich gute Sache, etwas, das man lernt zu übernehmen, wenn man erwachsen und selbstständig wird, es ist ein klassisches Coming-of-Age. Aber die Politik der christlichsozialen Partei macht einen Zombie daraus, einen schaurigen Wiedergänger, der herhalten muss für das Versagen derer in politischer Verantwortung.  Die Gesellschaft droht durch tiefe Gräben erschüttert zu werden? Mehr Eigenverantwortung! Rasant steigende Mieten, Inflation, Teuerungswelle, das Abrutschen des Mittelstandes (der immer noch diesen Fehler macht zu glauben, zu den oberen Zehntausend zu gehören, weil es dem eigenen Ego einfach mehr schmeichelt)? Eigenverantwortung! Was in der Coronapolitik begann, setzt sich in allen kritischen Bereichen weiter fort. Verantwortet das alles selbst, wir – die Menschen an den Hebeln der Macht – sind für nichts zuständig! Eigenverantwortung ist anders übersetzt ein „Scher dich zum Teufel.“ Besonders hübsch ist es natürlich, wenn es aus den Reihen einer christlichsozialen Partei geschlossen heraustönt. Der Heilige Martin hätte wohl in diesem Sinne gut daran getan, auf die Eigenverantwortung hinzuweisen und wohlig in seinen Mantel gekuschelt von Dannen zu reiten.

Titelbild: Miriam Moné / ZackZack

Autor

  • Julya Rabinowich

    Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.

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