Samstag, Juli 27, 2024

Liebe Grüne, STELLT EUCH AUF DIE FÜSSE!

Heute schreibe ich über und dann auch an die Grünen. Weil es höchste Eisenbahn ist.

Karl Nehammer trägt drei schwere Lose: das Ahnungslos, das Planlos und das Hilflos. Das beschert ihm das vierte und das fünfte Los: das Chancenlos und das Hoffnungslos. Jahrelang hat er sich an alles, was er zu fassen bekam, geklammert. Jetzt verliert er den letzten Halt. Niemand muss Karl Nehammer stürzen. Es reicht, dass ihm der Richtige auf die Schulter klopft.

Aber was ist mit den Grünen? Das fragen mich immer mehr ZackZack-Leserinnen und Leser, manche mit dem Zusatz „Typisch, vor der eigenen Tür kehrt er nicht“. Also probiere ich es, am besten mit einer Vorgeschichte, die den politischen Teil der Antwort auf eine letzte Frage liefert: Warum lassen die Grünen zu, dass sich Nehammer an sie klammert?

Von Hainburg bis Kurz

Die Geschichte der Grünen lässt sich grob in vier Kapitel gliedern:

  • die außerparlamentarische Vorgeschichte mit ihren Höhepunkten in Zwentendorf und Hainburg;
  • die fundamentale Grün-Opposition im Nationalrat;
  • die regierungsfähigen Grünen;
  • die Grünen unter und nach Kurz.

Jeder dieser Etappen ging ein heftiger Streit um die Weichenstellung voraus. Nicht alle wollten in den Nationalrat. Eine Mehrheit der Partei akzeptierte 2003 nur widerwillig die ersten Regierungsverhandlungen in Wien und Linz. Für die Wende zur ÖVP musste die Partei politisch ab 2016 gesäubert werden.

In 37 Jahren ist aus der widerspenstigsten Partei die bravste geworden. 1986 trafen einander auf grünen Kongressen Aktivistinnen. Heute versammeln sich dort Mandatare und bezahlte Mitarbeiter. 1986 hatten wir nichts zu verlieren. 2023 steht viel an Posten, Ämtern und Parteivermögen auf dem Spiel. Unter Van der Bellen haben die Grünen das Bravsein gelernt. Heute haben sie vergessen, dass es auch anders geht.

Anführer statt Führer

Das erklärt, warum alle zögern und im Zweifel den Mund halten. Aber es erklärt nicht, warum sich die Grünen nach jeder Provokation der ÖVP noch enger an den absaufenden Kanzler fesseln. Das hat einen anderen Grund: Die Grünen haben seit Jahren keine politische Führung.

Werner Kogler war einer der besten Abgeordneten. Dazu war er ein Kämpfer, wie die Grünen nicht viele hatten. Er war stolz darauf, „Nummer zwei“ zu sein, weil er wusste, dass „Nummer eins“ etwas verlangte, was er nicht besaß: klare politische Ziele und die Mittel, sie strategisch zu verfolgen. Werner Kogler ist ein Anführer, aber kein Führer. Das ist der Hauptgrund, warum er gegen Sebastian Kurz keine Chance hatte.

Wie Unternehmen werden politische Parteien gerne mit Schiffen verglichen. Wer einen Rundgang durch das grüne Schiff macht, findet das Führungspersonal in der Küche, im Restaurant und die ersten schon im Rettungsboot. Die Kapitänsbrücke steht leer. Alles scheint zu funktionieren, bis auf die Möglichkeit einer Kursänderung.

Fenster zu

Als sich vor drei Jahren ein politisches Fenster öffnete, hatten es die Grünen mit Neuwahlen in der Hand. Erstmals gab es die realistische Chance auf eine rot-grün-pinke Mehrheit. Irgendwer bei den Grünen machte das Fenster zu.

Aus der Distanz sieht man genau, wenn sich die grüne Führung wieder über eine rote Linie drängen lässt. Aus nächste Nähe ist es von Kinder-Abschiebungen bis zu offenen ÖVP-Koalitionsbrüchen immer nur eine „einzelne Entscheidung“, für die man nicht „das Ganze“ aufs Spiel setzen möchte. Wenn Strategie und Führung fehlen, bestimmen die „einzelnen Entscheidungen“ die Richtung. Dabei gilt eine Regel: Die Entscheidungen fallen in der ÖVP. Die Grünen fallen nur um.

Bis zum Schluss

Jetzt, im Niedergang, kommt etwas Persönliches dazu. Der Weg von Johannes Rauch führt aus dem Sozialministerium wohl in die Pension. Werner Kogler wird es kaum ein weiteres Mal schaffen. Nehammer kann sich darauf verlassen, dass beide bis zum letzten Moment bleiben wollen. Der Rest des Führungspersonals spielt kaum eine Rolle.

Am Ende ist dann Schluss. Der Weg aus der Regierungsunterwürfigkeit führt in die Niederlage. Für einen Ökobund der ÖVP gibt es wahrscheinlich nicht viele Stimmen.

So, das war jetzt der Versuch einer Erklärung. Aber zum Schluss kommt trotzdem noch ein persönlicher Appell:

Liebe Grüne, habt ihr vergessen, dass ihr gebraucht werdet? Für die ökologische Wende und für alles andere auch? Ihr wisst jetzt aus nächster Nähe, dass das mit der ÖVP nicht geht. Also steht doch endlich auf und tut das, was euch groß gemacht hat: streiten, mit dem schwächsten Kanzler der Zweiten Republik. Er braucht euch und nicht ihr ihn.

Setzt ihm ein paar Fristen, für das Klimaschutzgesetz und für die Beseitigung der Kinderarmut. Und bereitet euch dann endlich vor, auf die Wahl zwischen FPÖVP auf der einen und den Sozis, den Neos und euch auf der besseren Seite.

Stellt euch auf die Füße, dazu sind sie da.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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