Samstag, April 27, 2024

Erdoğan und seine Hamas: Vorkrieg in Gaza

Seit Jahren sehen NATO und EU zu, wie der türkische Präsident Erdoğan die Hamas unterstützt. Jetzt gerät auch dieser Konflikt außer Kontrolle.

Ich war selbst – zufällig – beim Ausbruch der zweiten Intifada in Gaza. Die brennenden Reifen, Gasgranaten und vereinzelten Schüsse waren nichts im Vergleich zu dem, was jetzt geschieht. Aber die PLO war auch nichts im Vergleich zu Hamas und Hisbollah.

Diesmal hat Benjamin Netanjahu recht: Der Krieg in Israel und Palästina ist wieder ausgebrochen. Der Angriff der Hamas ist durch nichts, was die Netanjahu-Regierung bisher angerichtet hat, als palästinensische Selbstverteidigung zu rechtfertigen.

Auch für uns wird sich durch den Massenmord an Menschen in Israel einiges ändern, auch, weil vieles nicht mehr so weitergehen kann.

Fast tausend Menschen sind Opfer des größten Terrorangriffs in der Geschichte Israels geworden. Bis vor wenigen Tagen glaubten alle, dass Israel von keinem großen terroristischen Angriff unvorbereitet getroffen werden kann. Von der Westbank bis nach Gaza haben sein Mossad und seine militärische Aufklärung ihre Augen und Ohren überall. Davon war die israelische Öffentlichkeit überzeugt. Diese Gewissheit und die mit ihr verbundene Sicherheit hat der terroristische Überfall der Hamas zerstört.

Wer verantwortlich?

Jetzt fragen sich immer mehr Menschen in Israel, wie das passieren konnte? Warum sie überrascht werden konnten und nicht geschützt waren? Und wer und welche Politik dafür verantwortlich war?

Im Krieg bestimmen Kriegsparteien den Ton. Die politischen Hauptopfer des Anschlags sind in Israel die Menschen, die noch immer das wollen, wofür Jitzchak Rabin ermordet worden ist: eine dauerhafte Friedenslösung. Jetzt haben die, die sich auf beiden Seiten für eine politische Lösung einsetzen, kaum Chancen, gehört zu werden.

In den politischen Führungen gibt es auf beiden Seiten derzeit niemanden, der Frieden will und bereit ist, ihn ernsthaft zu verhandeln. Aber es gibt auch keine klaren Kriegsziele, weil man mit einem Flächenangriff auf Lebensraum und Lebensbedingungen von zwei Millionen Menschen in Gaza nur eines erreicht: dass der Hass noch weiterwächst.

Spirale der Vergeltungen

Trotzdem muss Israel jetzt alles tun, um die Geiseln zu befreien und die Hamas entscheidend zu schwächen und zu isolieren. Aber das ist nicht so einfach.

Der Kampf gegen den Terror ist kein konventioneller Krieg. Der Kampf ist „asymetrisch“, weil hier Militärs meist vergeblich nach Zielen für ihre traditionellen Waffen suchen. Wenn sie die Terroristen nicht treffen können, zerstören sie mit Kampfbombern ihr „Umfeld“ wie den Markt im Flüchtlingslager „Jabaliya“ mitten in Gaza.

Die toten Kinder in Gaza sind dann der Vorwand, noch mehr Zivilisten in Israel anzugreifen – Vergeltung für Vergeltung für Vergeltung. Nach dem Ausbruch eines Krieges dauert es meist lange, bis es auf beiden Seiten genügend Menschen gibt, die bereit sind, aus der Spirale der Vergeltungen auszubrechen.

Teheran und Erdoğan

Die Hamas ist nicht allein. Alle zeigen auf Teheran, aber kaum jemand spricht über Istanbul. Der Iran steht hinter der Hisbollah. Die Türkei ist unter Erdoğan zum Hauptsponsor und zu einem der Hauptstützpunkte der Hamas geworden. Mit türkischen Pässen organisieren Hamas-Terroristen in Istanbul ihre Anschläge und den Cyberwar gegen Israel. Damit unterstützt einer der wichtigsten NATO-Staaten den Hamas-Terror.

Doch von Washington bis Brüssel gibt es nur den Feind in Teheran. Die Rolle der Türkei wird verschwiegen. Damit bleibt das Erdoğan-Regime unbehelligt und kann seine regionalen Kriege weiterführen.

Zwischenkriegszeit

Der Krieg hat erst begonnen. Die Hisbollah ist dabei, die zweite Front zu eröffnen. Die Türkei führt im Norden Syriens und des Iraks Krieg und kontrolliert die kriegerischen Angriffe von Aserbeidschan mit Satelliten.

Serbien bereitet den militärischen Überfall auf den Kosovo vor. Russland versucht, die Ukraine zu zerstören. Immer mehr Brandherde deuten darauf hin, dass wir in einer zweiten Zwischenkriegszeit leben.

In einer Zwischenkriegszeit sieht man lange nur den großen Krieg, der hinter einem liegt. Aber jetzt taucht etwas am Horizont auf. Es kann ein nächster großer Krieg sein, mit einem Flächenbrand im Nahen Osten, mit einem Versuch Russlands, die schwindende westliche Unterstützung für die Ukraine zu nützen.

Beim „Vorkrieg“ dazu ginge es von Kiew bis Gaza auch um Europa. Vor hundert Jahren war das noch der Kontinent am Mittelpunkt der Welt. Heute ist Europa eine Randlage, weit weg von den beiden globalen Hauptakteuren, die quer über den Pazifik gegeneinander wirtschaftlich, politisch und militärisch mobil machen. In ihren Plänen und Entscheidungen wird Europa keine große Bedeutung haben.

Auch deshalb geht es in Tel Aviv und Gaza längst um uns.

Titelbild: – / AFP / picturedesk.com, ADEM ALTAN / AFP / picturedesk.com, Ilia Yefimovich / dpa / picturedesk.com, Montage ZackZack

Peter Pilz
Peter Pilz
Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.
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18 Kommentare

  1. Handshake Eklat
    Nehammer mit Özil auf gleichem Niveau!
    Özil ist nach dem Eklat auf Dauer in die Türkei abgerauscht.
    Darauf kann bei Nehammer nicht einmal Kurz hoffen!

  2. Israel ist in dieser Region eine friedliche kleine Insel mitten im totalen Chaos, während alle versuchen, diese auszulöschen.
    Daher gebührt Israel die volle Unterstützung.

  3. Und wer steht nach Kriegsbeginn sofort auf Erdogans Matte?

    Nehammer, der Schreckenskanzler!

    Es ist nicht zu packen!

    • Fastfood Karli liebt die Abwechslung. Wodka, Palinka, Bier, Vanille Shake und Raki.
      Immer nur Hamburger und Vanilleshake ist auch bei seinen Cobra Beamten nicht beliebt! Manche der Cobra Beamten arbeiten nach wie vor an der Überwindung ihrer Hamburger Kindheitstraumata!
      Auch Nehammer persönlich ist ja bekannt für seine Vorliebe für Alkohol und Psychopharmaka.
      Endlich in Istanbul, Döner und reichlich Raki mit Erdogan!
      Und nicht einmal in der Schlange anstehen, wie bei Ferhat!
      Und genüsslich zum Hamas Terror darf auch eine Shisha als Friedenspfeife nicht fehlen!

  4. “Heute ist Europa eine Randlage… weit weg von den globalen Hauptakteuren..” und Österreich sowieso schon längst kein ernst zunehmender Player auf der internationalen politischen Bühne, anders als vor dem “großen Krieg” am Beginn des 20. Jahrhunderts. Dem Thema Außenpolitik wird folglich auch hier wenig Platz eingeräumt, Symptom dieser Tendenz.
    Und trotzdem sind wir von dem was in Israel passiert mehr betroffen, als wir es vielleicht wahrhaben wollen. Historische Fehler und Verbrechen haben langwierige Folgen, dessen sollten sich alle politischen Entscheidungsträger gestern wie heute bewusst sein.
    Die Gewalt, die gestern von uns gesät wurde, werden wir morgen ernten und die Opfer von gestern sollten es vermeiden sich selbst zu Schuldigen zu machen, auch wenn sie sich heute im Recht glauben. Das sind allerdings moralische Betrachtungen, die meist bei Politikern und Militärs auf taube Ohren stoßen.

    • Die KZs waren keine Besserungsanstalten kraft derer die Opfer von gestern hervorragende Verpflichtungen hätten, sich nicht schuldig zu machen. Diese Verpflichtung trifft alle gleichermaßen möchte ich meinen.

  5. Fest steht:
    – dass das Prozedere zur Gründung und die Etablierung des Staates Israel mMn von Anfang an eine Steissgeburt war.
    – dass in dieser Region von Anfang an alle gegeneinander ausgespielt wurden aus übergordnet weltpolitischem Ideologiedenken heraus
    – dass dieser Dauerkonflikt (mal mehr, mal weniger grausam) unter dem gemeinsamen Dach der Religion steht
    – dass in dieser Region aber primär weltliche (Hinter)Gründe (Öl, Gas, aber auch Eisen und Kupfer, Blei und Zink, Chrom- und Manganerze, natürlich auch die geopolitische Lage als “Grenze” zwischen Orient und Okzident) als Konfliktstoff-Gewebe ausschlaggebend sind – daher in globaler Interessenslage
    – dass in dieser Region immer noch überwiegend antiquiertes, dynastisches Stammesdenken politisches Denken maßgeblich beeinflusst
    – dass aus “Glauben” separiert kulturelle Identität entsteht, die in der Realität (angeblich) von anderen trennt
    – dass !jede Glaubensrichtung in dieser Region Teile von anderen assimilierte – miteinander also einander weitgehend ähneln
    – solange Transzendenz menschlich friedfertige Kooperation verhindern kann, muss der “Mensch” durch diese Grausamkeiten in seiner Entwicklung
    – Fakt ist auch, dass !jedesmal, wenn eine “Friedensmöglichkeit” auch nur im Raum steht / besser stehen !könnte, unmittelbar radikale Kräfte mit Gewaltakten offenkundig dagegen arbeiten…

    Mir persönlich ist dieser “Gordische Knoten”, weil mir so kulturfremd, unmöglich zu analysieren, geschweige denn rationalisieren…

  6. Nicht zu vergessen der neue freundliche Gaslieferant der EU:
    Einer der wichtigsten Geldgeber und ausländischen Verbündeten für die Hamas ist Katar. Der Emir besuchte 2012 als erstes Staatsoberhaupt überhaupt die Hamas-Führung in Gaza. Der kleine Golfstaat hat bislang mehr als 1,5 Milliarden Euro überwiesen.
    (und Deutschland auch nicht zu vergessen)

  7. Diesen Konflikt wird man nur dann nachhaltig und endgültig abstellen können, wenn man ihn von Beginn an nochmals evaluiert und dann allen Opfern daraus eine entsprechende Würdigung erteilt, aber auch entsprechende Entschädigung zahlt.
    Man stelle sich einmal vor, man hätte das nach dem zweiten Weltkrieg nicht so gemacht?

  8. Das tragische an diesen Kämpfen wird werden, wenn Israel dort aufräumt und die Jihadisten nach Europa flüchten werden zu ihren Cousins und dann ihren Irrsinn von hier aus betreiben werden.

  9. ich bin schon dabei, wenn man das morden der hamas entsprechend verurteilt.
    und ich bin auch dabei, wenn man jene, die das verteidigen auf deren irrsinn aufmerksam macht.

    israels regierung hat angeblich aus ägypten geheimdienstliche warnungen erhalten, dass “etwas großes” bevorstehe, aber offensichtlich nicht ernst genommen. ich glaub auch, dass diese rechte regierung nicht in der lage ist den konflikt zu lösen. in keiner weise.

    was ma auch so liest:
    More reports coming in that some Israel Defense Forces reservists who were called up are confronted with empty warehouses & lack of basic equipment including helmets and kevlar vests.

    ob das alles was mit dem bibi zu tun hat?
    ich glaub ja, da wird ganz viel unschuldsvermutung im lauf der zeit ans tageslicht kommen.

    „Ich weiß schon, meine Damen und Herren, das alles ist sehr kompliziert so wie diese Welt, in der wir leben und handeln, und die Gesellschaft, in der wir uns entfalten wollen. Haben wir daher den Mut, mehr als bisher auf diese Kompliziertheit hinzuweisen; zuzu­geben, daß es perfekte Lösungen für alles und für jeden in einer pluralistischen Demokratie gar nicht geben kann.“
    fred sinowatz – 31.5.1983

    mE der meist unterschätze politiker dieses landes.
    für diese aussage erntete er das, was man heute einen shitstorm nennt.

    seither ist nix einfacher geworden – im gegenteil
    wie man auch an der aktuellen situation in israel sieht.

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