Samstag, Juli 27, 2024

Erdoğan und seine Hamas: Vorkrieg in Gaza

Seit Jahren sehen NATO und EU zu, wie der türkische Präsident Erdoğan die Hamas unterstützt. Jetzt gerät auch dieser Konflikt außer Kontrolle.

Ich war selbst – zufällig – beim Ausbruch der zweiten Intifada in Gaza. Die brennenden Reifen, Gasgranaten und vereinzelten Schüsse waren nichts im Vergleich zu dem, was jetzt geschieht. Aber die PLO war auch nichts im Vergleich zu Hamas und Hisbollah.

Diesmal hat Benjamin Netanjahu recht: Der Krieg in Israel und Palästina ist wieder ausgebrochen. Der Angriff der Hamas ist durch nichts, was die Netanjahu-Regierung bisher angerichtet hat, als palästinensische Selbstverteidigung zu rechtfertigen.

Auch für uns wird sich durch den Massenmord an Menschen in Israel einiges ändern, auch, weil vieles nicht mehr so weitergehen kann.

Fast tausend Menschen sind Opfer des größten Terrorangriffs in der Geschichte Israels geworden. Bis vor wenigen Tagen glaubten alle, dass Israel von keinem großen terroristischen Angriff unvorbereitet getroffen werden kann. Von der Westbank bis nach Gaza haben sein Mossad und seine militärische Aufklärung ihre Augen und Ohren überall. Davon war die israelische Öffentlichkeit überzeugt. Diese Gewissheit und die mit ihr verbundene Sicherheit hat der terroristische Überfall der Hamas zerstört.

Wer verantwortlich?

Jetzt fragen sich immer mehr Menschen in Israel, wie das passieren konnte? Warum sie überrascht werden konnten und nicht geschützt waren? Und wer und welche Politik dafür verantwortlich war?

Im Krieg bestimmen Kriegsparteien den Ton. Die politischen Hauptopfer des Anschlags sind in Israel die Menschen, die noch immer das wollen, wofür Jitzchak Rabin ermordet worden ist: eine dauerhafte Friedenslösung. Jetzt haben die, die sich auf beiden Seiten für eine politische Lösung einsetzen, kaum Chancen, gehört zu werden.

In den politischen Führungen gibt es auf beiden Seiten derzeit niemanden, der Frieden will und bereit ist, ihn ernsthaft zu verhandeln. Aber es gibt auch keine klaren Kriegsziele, weil man mit einem Flächenangriff auf Lebensraum und Lebensbedingungen von zwei Millionen Menschen in Gaza nur eines erreicht: dass der Hass noch weiterwächst.

Spirale der Vergeltungen

Trotzdem muss Israel jetzt alles tun, um die Geiseln zu befreien und die Hamas entscheidend zu schwächen und zu isolieren. Aber das ist nicht so einfach.

Der Kampf gegen den Terror ist kein konventioneller Krieg. Der Kampf ist „asymetrisch“, weil hier Militärs meist vergeblich nach Zielen für ihre traditionellen Waffen suchen. Wenn sie die Terroristen nicht treffen können, zerstören sie mit Kampfbombern ihr „Umfeld“ wie den Markt im Flüchtlingslager „Jabaliya“ mitten in Gaza.

Die toten Kinder in Gaza sind dann der Vorwand, noch mehr Zivilisten in Israel anzugreifen – Vergeltung für Vergeltung für Vergeltung. Nach dem Ausbruch eines Krieges dauert es meist lange, bis es auf beiden Seiten genügend Menschen gibt, die bereit sind, aus der Spirale der Vergeltungen auszubrechen.

Teheran und Erdoğan

Die Hamas ist nicht allein. Alle zeigen auf Teheran, aber kaum jemand spricht über Istanbul. Der Iran steht hinter der Hisbollah. Die Türkei ist unter Erdoğan zum Hauptsponsor und zu einem der Hauptstützpunkte der Hamas geworden. Mit türkischen Pässen organisieren Hamas-Terroristen in Istanbul ihre Anschläge und den Cyberwar gegen Israel. Damit unterstützt einer der wichtigsten NATO-Staaten den Hamas-Terror.

Doch von Washington bis Brüssel gibt es nur den Feind in Teheran. Die Rolle der Türkei wird verschwiegen. Damit bleibt das Erdoğan-Regime unbehelligt und kann seine regionalen Kriege weiterführen.

Zwischenkriegszeit

Der Krieg hat erst begonnen. Die Hisbollah ist dabei, die zweite Front zu eröffnen. Die Türkei führt im Norden Syriens und des Iraks Krieg und kontrolliert die kriegerischen Angriffe von Aserbeidschan mit Satelliten.

Serbien bereitet den militärischen Überfall auf den Kosovo vor. Russland versucht, die Ukraine zu zerstören. Immer mehr Brandherde deuten darauf hin, dass wir in einer zweiten Zwischenkriegszeit leben.

In einer Zwischenkriegszeit sieht man lange nur den großen Krieg, der hinter einem liegt. Aber jetzt taucht etwas am Horizont auf. Es kann ein nächster großer Krieg sein, mit einem Flächenbrand im Nahen Osten, mit einem Versuch Russlands, die schwindende westliche Unterstützung für die Ukraine zu nützen.

Beim „Vorkrieg“ dazu ginge es von Kiew bis Gaza auch um Europa. Vor hundert Jahren war das noch der Kontinent am Mittelpunkt der Welt. Heute ist Europa eine Randlage, weit weg von den beiden globalen Hauptakteuren, die quer über den Pazifik gegeneinander wirtschaftlich, politisch und militärisch mobil machen. In ihren Plänen und Entscheidungen wird Europa keine große Bedeutung haben.

Auch deshalb geht es in Tel Aviv und Gaza längst um uns.

Titelbild: – / AFP / picturedesk.com, ADEM ALTAN / AFP / picturedesk.com, Ilia Yefimovich / dpa / picturedesk.com, Montage ZackZack

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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