Morgen beginnt der erste Prozess gegen Sebastian Kurz. Strafrechtlich und politisch ist er ein Vorspiel für Entscheidungen, die 2024 fallen.
Von der Regierungsbank auf die Anklagebank – Sebastian Kurz hat diesen Weg als Ex-Bundeskanzler in kurzer Zeit geschafft. Angeklagter Kurz und seine Anwälte versuchen ab morgen im Wiener Landesgericht, den gestürzten ÖVP-Führer vor seiner ersten Vorstrafe zu bewahren. Dazu gibt ihnen das Strafrecht zwei Möglichkeiten. Aber nur eine davon hilft Kurz wirklich.
Kurz unschuldig
Die Staatsanwaltschaft wirft Kurz „falsche Beweisaussage“ nach Paragraf 288 des Strafgesetzbuches vor. Auf 108 Seiten begründet die WKStA, warum sie Kurz und seine beiden Mitangeklagten – seinen ex-Kabinettschef Bernhard Bonelli und seine ex-Stellvertreterin und CASAG-Chefin Bettina Glatz-Kremsner – vor Gericht stellt.
In ihrem Strafantrag ist die WKStA überzeugt: „KURZ wusste bei seiner Befragung, dass er als Auskunftsperson im Verfahren vor einem Untersuchungsausschuss des Nationalrats aussagte, seine Aussage nicht den tatsächlichen Abläufen und seinem tatsächlichen Kenntnisstand darüber entsprach.“ Kurz verband laut WKStA damit eine Absicht: „Er wollte durch die tatsachenwidrigen Aussagen den unrichtigen Eindruck erwecken, dass er mit der Besetzung des Vorstandes und des Aufsichtsrates der ÖBAG nichts zu tun hatte und er nichts von einer politischen Vereinbarung zu Postenbesetzungen, die MMag. SCHMID und Mag. SCHIEFER verhandelt haben, wisse.“
Die WKStA meint, die Motive von Kurz zu kennen: „Die Falschaussage zielte ausschließlich darauf ab, sich der politischen Verantwortlichkeit zu entziehen und die öffentliche Wahrnehmung seiner Politik nicht zu beschädigen.“
Der unübliche Umfang des Strafantrags macht klar: Die WKStA glaubt, viel gegen Kurz in der Hand zu halten. Aber vielleicht gelingt es Kurz und seinem erfahrenen Anwalt Otto Dietrich, das Gericht von der Unschuld des Ex-Kanzlers zu überzeugen. In diesem Fall hat Kurz die erste Runde gewonnen.
Kurz-Notstand
Es kann aber auch anders kommen. Dann öffnet Paragraf 290 des Strafgesetzbuches Beschuldigten wie Kurz eine letzte Hintertüre: „Der Täter ist nach § 288 Abs. 3 ferner nicht zu bestrafen, wenn sich die Untersuchung des Ausschusses gemäß Art. 53 B-VG gegen ihn gerichtet und er eine falsche Beweisaussage abgelegt hat, um die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung von sich abzuwenden.“
Die WKStA wirft Kurz drei Falschaussagen vor dem Untersuchungsausschuss vor. Beobachter des Verfahrens halten es für durchaus möglich, dass die Kurz-Verteidigung auf diese Linie umschwenken muss. Sebastian Kurz kann ins Treffen führen, dass sich der „ÖVP-Untersuchungsausschuss“ vor allem gegen ihn als Parteichef der ÖVP gerichtet habe. Aber das allein reicht nicht für einen Freispruch. Kurz müsste auch glaubhaft machen, dass er mit seiner Falschaussage vor dem U-Ausschuss die „Gefahr strafrechtlicher Verfolgung“ von sich abwenden wollte.
Wenn er damit das Gericht überzeugt, könnte das für ein weiteres, weit größeres Verfahren Folgen haben. Die WKStA verfolgt den Ex-Kanzler auch in der „Inseratenaffäre“. Hier geht es nicht um Unwahrheiten und Falschaussagen, sondern um Untreue, Bestechung und Bestechlichkeit. Im Zentrum des „großen“ Verfahrens steht Korruption.
Wenn Kurz dem „kleinen“ Verfahren wegen Aussagenotstands entkommt, könnte er mit dem Eingeständnis der „Gefahr strafrechtlicher Verfolgung“ eine Bürde ins „große“ Verfahren mitschleppen. Musste Kanzler Kurz im ÖVP-Untersuchungsausschuss bei wahrheitsgemäßer Aussage ein Strafverfahren befürchten? Und wenn ja, wegen welcher Taten und welcher Delikte? Der letzte Ausweg aus dem Falschaussage-Verfahren könnte damit in eine Doppelmühle führen.
Wahlkampf auf der Anklagebank?
Politisch wird sich Sebastian Kurz weiter als Opfer präsentieren. In seiner ÖVP sind nicht Straftaten, sondern „rote Netzwerke“ für die Verfolgung des Ex-Kanzlers verantwortlich. Für eine mögliche Kurz-Kandidatur steht von Listennamen bis Domains schon einiges bereit. Aber niemand kann mit Sicherheit sagen, ob Kurz in der heißen Phase des Wahlkampfs 2024 nicht auf der nächsten Anklagebank sitzen wird.
Damit bleibt vieles unsicher. Diese Unsicherheit belastet vor allem die ÖVP. Von Nehammer bis Sobotka weiß niemand, was auf die ÖVP zukommt – und wie lange man von ihr noch in der Einzahl reden kann.
Für Sebastian Kurz, Bernhard Bonelli und Bettina Glatz-Kremsner gilt nach wie vor die Unschuldsvermutung.
Titelbild: Auszug Strafantrag WKStA, Christopher Glanzl / ZackZack