Dienstag, Oktober 8, 2024

Kurz-Schluss: „Da pfeifen die Löcher!“

Im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts ist Sebastian Kurz in seine eigene Falle gegangen.

Die Hintertür stand weit offen. Bettina Glatz-Kremsner war durch sie ins Freie gegangen. Die frühere Kurz-Stellvertreterin und CASAG-Chefin beichtete Richter Michael Radasztics, sie habe Dinge „nicht gesagt, die ich hätte sagen sollen“. Der Richter überraschte nicht nur die WKStA, weil ihm das Eingeständnis von Fehlern statt Schuld für eine Diversion reichte. Glatz-Kremsner legte für das Gerichts-Schnäppchen 104.000 Euro hin – und war draußen.

Sebastian Kurz weiß inzwischen wohl, dass er an diesem Tag alles falsch gemacht hat. Auftragsgemäß trug sein Anwalt vor, dass die „Kurz-Aussagen richtig waren und mit der Wirklichkeit übereinstimmen“. Schuld, so Kurz, sei nicht er, sondern das „Zusammenspiel zwischen WKStA und Politik“. Den Richter nahm Kurz-Anwalt Otto Dietrich gleich dazu, er müsse ersetzt werden.

Kurz-Schluss 1

Es wäre wahrscheinlich so einfach gewesen: „Herr Rat, Sie können sich nicht vorstellen, wie das ist. Die wollten mich fertig machen und ins Gefängnis bringen, mit jeder einzelnen Frage. Da habe ich Sachen gesagt, die ich nicht sagen hätte sollen“. Radasztics hätte Kurz nicht anders als Glatz-Kremsner behandeln können. Vor dem Gerichtssaal hätte der alte Kurz wohl wieder alles zurechtgeredet: „Meine Damen und Herren, von der Anklage ist nichts mehr übrig. Das Netzwerk ist gescheitert. Ich werde mich jetzt ganz meinem Kind widmen.“ Das Kind, würde sich bald herausstellen, ist nach wie vor die ÖVP.

Aber Kurz ist diesmal von seiner Propagandaschiene nicht rechtzeitig heruntergekommen. Jetzt kommt ein Zeuge nach dem anderen. Hinter den Kulissen hat ein zäher Kampf um Einvernahmetermine begonnen. Vieles deutet darauf hin, dass sich das „kleine“ Kurz-Verfahren bis in den Frühling ziehen wird.

Dann ist die große Kurz-Anklage der WKStA wohl fertig, mit Beweisen, Delikten und Strafen, die weit schwerer als die falschen Zeugenaussagen im U-Ausschuss wiegen. Landeshauptleute, ÖAAB-Spitzen und Raiffeisen-Chefs müssen sich überlegen, ob sie sich von Kurz von einer Anklagebank zur nächsten führen lassen.

Kurz-Schluss 2

Für seine Netanjahu-Nummer braucht Kurz Freisprüche und Geld. Im letzten Jahr hat der Ex-Kanzler zunehmend auf den Immobilien-Oligarchen Renée Benko gesetzt. Aber auch der pfeift aus einem der letzten Löcher. Neueste Meldungen deuten darauf hin, dass Benkos SIGNA am Ende ist:

  • „SIGNA Sports United“ (SSU) hat beim Amtsgericht Bielefeld Insolvenz angemeldet.
  • Schon 2022 musste SIGNA Prime, die Gesellschaft mit den „besten“ SIGNA-Werten, ihre Immobilien um 1,16 Milliarden Euro abwerten.
  •  „News“ veröffentlichte die SIGNA-Bilanz für 2022: „Der Verlust der Signa Holding beläuft sich demnach auf knapp mehr als eine halbe Milliarde Euro.“

In der Bilanz steht etwas, das für Benko noch wichtiger ist: Die „Aufwendungen aus Finanzanlagen“ betrugen 2021 bei SIGNA  49,7 Millionen Euro. 2022 schnellten sie auf mehr als 1,1 Milliarden Euro hoch. „Aufwendungen aus Finanzanlagen“ – das können Kredite, aber auch Abwertungen von Immobilien sein. 2022 brauchte und bekam Benko noch Milliarden. Jetzt braucht er möglicherweise noch mehr – und bekommt wahrscheinlich nichts. Mit EZB-Prüfern im Haus und dem Benko-Abgrund vor Augen haben Banken den Kredithahn zugedreht.

Benko stopft jetzt Benko-Löcher und nicht Kurz. Dazu kommt: Eines der größten Benko-Löcher tut sich bei Raiffeisen auf. Milliarden scheinen – auch durch Nichtbeachtung der internen Risikobegrenzungen – in Gefahr zu sein. Das nächste Jahr wird zeigen, wie weit das Giebelkreuz von Moskau bis Linz bereits unter Wasser steht.

Kurz-Schluss 3

Kurz-Schluss 3 trägt den Namen „Christian Pilnacek“. Mit ihm fehlt der Kopf eines Netzwerks der „Verlässlichen“. Garden von Beschuldigten in ÖVP und FPÖ hatten mit einer Rückkehr des Justiz-„Daschlogers“ gerechnet. Jetzt fehlt dem Netzwerk der Kopf, und zentrale Pilnacek-Getreue wie der Wiener OStA-Chef Hans Fuchs sind offensichtlich mit der Rettung ihrer eigenen Köpfe ausgelastet.

Dazu kommt für Kurz und die ÖVP ab Jänner der nächste U-Ausschuss. Vieles deutet darauf hin, dass von „Benko“ bis „Sigi Wolf“ und „Martin Ho“ einschlägige Kurz-Kapitel von Steuer-Schiebungen bis COVID-Förderungen aufgearbeitet werden.

In der Falle

Sebastian Kurz sitzt in der Falle. Im Gegensatz zu seinem Role-Model „Netanjahu“ hat er keine Hamas, gegen die er so lange Krieg führen kann, bis alle Netanjahu-Verfahren „daschlogn“ sind.

Die Wahl zwischen Kurz und Nehammer wird für die ÖVP damit zur Wahl zwischen Absturz und freiem Fall. Aber vielleicht hat die ÖVP ohnehin nur noch ein Ziel: Dritter bei der Wahl zu werden, damit sie mit Kickl Erster nach Regierungsverhandlungen werden kann. Armin Assinger könnte das gut zusammenfassen: „Da pfeifen die Löcher!“

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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