Samstag, Juli 27, 2024

Alles Bestens! LG, Ihre ÖVP

Die massive Teuerung setzt den Menschen immer noch zu. Während Armutsbetroffene gerade über die Runden kommen, rückt eine Flugreise auch für die Mittelschicht in immer weitere Ferne. Die Regierung applaudiert sich selbst.

Seit zwei Jahren begleiten uns die Teuerungen. Bereits im Dezember 2021 gab es die ersten Berichte und mahnenden Worte dazu. Der Großteil der Bevölkerung hatte sie damals vorwiegend bei den Treibstoffpreisen wahrgenommen, die um 32,9 % gegenüber dem Vormonat gestiegen waren. Wir erinnern uns alle an die Schlagzeilen und Debatten über Preisbegrenzungen, Förderungen und so weiter. Oder auch an die ersten Warnrufe wegen der hohen Anstiege bei den Gaspreisen, die das Heizen für viele bereits zum Luxus gemacht hatten.

Teuerungen beim täglichen Einkauf (der sogenannte Mikrowarenkorb, also Lebensmittel, Kaffee im Kaffeehaus, Treibstoff) lagen bei plus 3,9% gegenüber dem November 2021, Teuerungen beim Miniwarenkorb (ein Wocheneinkauf inkl. Nahrungsmittel, Dienstleistungen und Treibstoff) hingegen bereits bei plus 10%.

Seit zwei Jahren also sind wir mit massiv steigenden Preisen konfrontiert. Und wenn zu Beginn Armutsbetroffene auf den Anstieg im Lebensmittelbereich aufmerksam gemacht haben, wurden sie mit einem lapidaren “das bildet ihr euch nur ein, das ist nur vorübergehend, das betrifft nur ganz wenige, die das spüren” abgespeist. Weil? Weil es eben eine Schicht betraf, die niemand wahrnimmt. Die vor allem niemand ernst nimmt.

Statistisches Eigenlob

Die offiziellen Zahlen sind nicht dramatisch angestiegen. Der Anteil an Armut in Österreich ist ungefähr gleichgeblieben, was vor allem mit den inflationsangepassten Löhnen und Einmalzahlungen via Gießkanne zu tun hat. Doch diese Zahlen sagen nur, wer mit dem Einkommen über oder unter der Grenze liegt. Sie berücksichtigen nicht, wie viel nach Abzug der Fixkosten noch zum Leben bleibt. Und hier zeigt sich vor allem eines: es sind immer mehr, denen zum Leben zu wenig bleibt. Das geben die Zahlen der Beratungsstellen her, der Sozialmärkte und NGOs, die mit bis zu 50% mehr Anfragen zu kämpfen haben.

Und wie es jenen geht, die schon vor Beginn der Inflation kaum übers Monat kamen….das werden nicht gern gezeigt. Denn Armut, die gibts doch nicht bei uns. Österreich ist doch so gut durch die Krise gekommen. Die Arbeitslosenzahlen steigen, die Wirtschaft schwächelt, aber unser Arbeitsminister findet, wir haben das toll gemacht. Wir? Was hat diese Regierung denn gemacht außer den statistischen Status Quo zu erhalten? Und wohlgemerkt: man darf nicht hinter die Zahlen blicken, denn dann offenbart sich die Realität. In der selbst die Mittelschicht auf Zuschüsse und Unterstützungen angewiesen ist.

Wir haben die Kaufkraft erhalten! LG ihre ÖVP

Die Zahlen für 2023 werden voraussichtlich nicht mehr so rosig sein. Das zeigt sich schon an der Kaufkraft. 50% der Menschen haben an Kaufkraft eingebüßt (ja, ich weiß, die ÖVP rühmt sich damit die Kaufkraft erhalten zu haben, erwähnt aber nur in einem kleinen Beisatz, dass dies für 50% gelte). Die Hälfte der Bevölkerung kann sich also von ihrem Einkommen immer weniger leisten. Logisch, wenn der Großteil davon für Miete, Strom, Heizung, Treibstoff und Lebensmittel draufgeht. Es bleibt nicht mehr viel, um Rücklagen beiseite zu legen.

Das ist der Punkt, der uns alle nervös machen sollte. Viele kommen noch über die Runden weil sie einen Überziehungsrahmen haben, oder weil sie Abos kündigen, das teure Auto gegen ein billigeres tauschen, auf Urlaub verzichten…Aber wie lange können sich Menschen noch einschränken? Wann ist der Punkt erreicht, an dem das Einsparungspotential ein Ende hat? Was erklärt uns dann diese Regierung? Dass sie alles richtig gemacht haben? Dass die Menschen zu unfähig sind, mit Geld umzugehen? Oder dass sie einfach fleißiger sein müssen?

Und während sich eine ÖVP dafür rühmt “erfolgreich” die Inflation halbiert zu haben, stehst du beim Einkauf im Diskonter vor den Eigenmarken und suchst händeringend diese angebliche Erleichterung. Eines können sie, die Schönredner der Volkspartei: selbst größtes Versagen noch als Erfolg verkaufen. Sie reden es sich zumindest ein. Denn das gemeine Fußvolk sieht nichts von einer Erleichterung. Wir sehen nur, dass die Preise ein bisschen weniger massiv ansteigen.

Soziales Fieberthermometer schlägt aus

Vor zwei Jahren wurden viele noch ausgelacht und als Panikmacher*innen betitelt, weil sei die Teuerungen zum Thema gemacht haben. Weil für sie der Anstieg beim Einkauf schon damals massiv spürbar war. 10 Cent hier, 20 Cent dort. Summen, die unseren Regierungsmitgliedern nicht mal auffallen, weil sie so gering erscheinen. Summen jedoch, die für die untere Einkommensschicht ausmachen, was in der letzten Woche des Monats auf den Tisch kommt.

Armutsbetroffene sind nicht umsonst das soziale Fieberthermometer der Gesellschaft. Sie nehmen als erste wahr, wenn sich etwas verändert. Sie spüren jeden Cent. Und sie haben leider Recht behalten. Die Teuerungen werden bis in die Mitte der Gesellschaft spürbar sein. Ich wünschte, wir hätten Unrecht behalten. Wir sind leider mit einer Regierungspartei konfrontiert, die sich nicht eingestehen will, versagt zu haben. Die niemals auch nur einen Fehler zugeben würde. Und das ist etwas, das ich nie verstehen werde. Sich hinzustellen und alles schönreden, während den Menschen die Perspektiven davonschwimmen und das Einsparungspotenzial bald das Maximum erreicht hat. Nicht den Menschen, nicht den Parteien hat das Beschönigen jemals geholfen. Ist es wirklich schon so verpönt auch mal ehrlich zu sagen: ok, wir hätten vieles anders machen sollen, aber wir haben uns verrannt? Ist das tatsächlich so ein Beinbruch? Oder liegt es einfach in der DNA einer ÖVP, niemals eine Schwäche zugeben zu können? Denn Fehler einzugestehen setzt menschliche Größe voraus. Und die fehlt offensichtlich.

Titelbild: Christopher Glanzl

Autor

  • Daniela Brodesser

    Daniela Brodesser macht als Autorin den Teufelskreis der Armut sichtbar und engagiert sich persönlich gegen armutsbedingte Ausgrenzung und Verzweiflung.

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