Samstag, Juli 27, 2024

Was Babler braucht: Die Weisheit von Kreisky

Hannes Androsch gibt Andreas Babler einen guten Rat. Er heißt „Kreisky“.

Wenn man den Zustand des Regierens beschreiben will, beginnt man am besten bei Jörg Haider, dem Original. Heinz Strache war der erste Haider-Imitator. Herbert Kickl ist der erste Strache-Imitator. Karl Nehammer regiert als Kickl-Imitator. Das Niveau sinkt bei jedem Imitatorenwechsel verlässlich eine Treppenstufe nach unten. Die Imitatoren inszenieren sich selbst als Treppenwitze. Ein bekannter Redakteur der „Krone“ unterscheidet daher sachkundig zwischen „Volkskanzler“ und „Vollkanzler“. Mehr ist dazu nicht zu sagen.

Bei der Opposition liegen Dinge und Führungen komplizierter. Die Grünen sind nicht mehr das, was sie waren, und die Neos noch immer nicht das, was sie werden wollten. Also schreibe ich noch einmal über die SPÖ, auch, weil es einen Sinn und ihr Parteichef politisches Gespür hat.

Das hat sich vor wenigen Tagen gezeigt, als Andreas Babler erste klare Worte zum Treiben seines Vorgängers im Benko-Kartenhaus fand: „Ich finde das moralisch nicht in Ordnung“. Wenn der Gusenbauer-Sumpf genauer ausgeleuchtet ist, wird Babler dem Benko-Spezi Victor Adler-Plakette und Parteimitgliedschaft abnehmen müssen.

„… nicht am Rand …“

Als Herausgeber der „Kleinen Zeitung“ fragte Hubert Patterer Kreiskys Vizekanzler Hannes Androsch: „Stört es Sie, dass Babler sich ständig auf Kreisky beruft?“ Androsch antwortete mit einem Rat an Babler: „Das ist gut so, aber er sollte sich auch an die Weisheit dahinter halten, und eine Weisheit von Kreisky war, dass man eine Mehrheit – und wir haben dreimal die Absolute erreicht – in der Mitte gewinnt, nicht am Rand.“

Androschs Rat ist gut und bedarf einer Ergänzung: Bruno Kreisky ist politisch weit links von Andreas Babler gestanden. Kreisky sah die Welt, wie sie der große Austromarxist Otto Bauer beschrieben hatte. Viele verkürzen die Kreisky-Geschichte auf den Entschluss des Wiener Großbürgers, Bürgerliche auf seinem Weg „ein Stück mitzunehmen“ und dafür beim politischen Auftreten nach rechts zu rücken. Dieser taktische Stellungswechsel ist die „Schlauheit“ der Kreisky-Geschichte. Seine „Weisheit“ hieß „Zukunft“.

Als Bruno Kreisky 1970 mit seiner Minderheitsregierung das Jahrzehnt absoluter Mehrheiten für die SPÖ einleitete, versprach er ein neues Österreich. Ich war damals 16 und bereit, für Kreiskys Wehrdienst-Versprechen „6 Monate sind genug“ auf die Kapfenberger Straßen zu gehen. Die anderen Versprechen waren weit wichtiger: Gleichbehandlungsgesetz für alle Frauen und Fristenlösung beim Schwangerschaftsabbruch; Vollbeschäftigung durch gezielte Wirtschaftsförderung; neue Arbeitsverfassung; Öffnung der Universitäten und ein Wissenschaftsministerium; Reformen von Familienrecht und Strafrecht; und eine Außenpolitik, die auch für den Nahen Osten alte Fronten durchbrach.

Errungenschaften und Zukunft

Im Gegensatz zu Kreisky ist Andreas Babler ein klassischer Sozialdemokrat. Politisch steht er „rechts“ von Kreisky, dort, wo seine Partei seit Jahrzehnten „Errungenschaften“ verteidigt. Wenn unverschämt von unten nach oben umverteilt wird, den Arbeitnehmerinnen die Kontrolle über ihre Sozialversicherung einfach weggenommen und den Unternehmern zugeschanzt wird, mit dem dringend für Spitäler benötigten Geld Kampfpanzer modernisiert werden, muss vieles von ÖGB und SPÖ verteidigt werden. Aber die tief eingegrabenen Verteidigungslinien verstellen leicht den Blick auf das, was Kreisky gesehen hat: den großen wirtschaftlichen und sozialen Wandel, den Parteien wie die SPÖ gestalten müssen.

Wie wird die Arbeitswelt mit AI aussehen? Wie schafft man Alternativen zu asozialen Medien von „X“ bis TikTok ? Wie geht ein Staat von den Wohnungen bis zu den Pensionen mit der kommenden Medizin, die Lebenserwartungen sprunghaft um Jahrzehnte steigern wird, um? Wie kann man aus dem Forschungs-Auswanderungsland „Österreich“ ein Einwanderungsland machen? Wie holt sich Österreich von klimaneutraler Wirtschaft bis zur Gesamtumstellung auf öffentlichen Verkehr statt roter Laternen Marktführerschaften? Und vor allem: Wie stellt man sicher, dass die knappen Mittel des Budgets nicht nur in das Stopfen alter Löcher, sondern in die Entwicklung neuer Chancen fließen?

Dazu kommt: Wie sorgt man dafür, dass die Richtigen einwandern und die Richtigen ausgewiesen werden? Wie bekämpft man Korruption und ihre kriminelle Mutterpartei „ÖVP“?

Reiner Parteitisch

Im besten Fall sind das alles Errungenschaften der Zukunft. Babler hat die Chance, sie zu seinem Programm zu machen. Aber zuerst braucht er einen reinen Parteitisch, an dem weder rote Schrebergarten-Spekulanten noch Benko-Mitschneider Platz haben.

Dann wartet das Duell mit Kickl. Der FPÖ-Chef kann es nur als Schlammschlacht gewinnen. Bablers Chance liegt dort, wo Kreisky alles gewonnen hat: im Programm „Zukunft“. Kickl ist der Lautsprecher des Problems. Babler muss über den Schatten seiner Partei springen, um Träger der Lösung zu werden.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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