Samstag, April 27, 2024

Was das mit uns macht

Das jüdische Leben ist von den Tagen nach dem 7. Oktober erschüttert – und das weltweit. Julya Rabinowich beschreibt klug und lebensnah, wie sich das jüdische Leben an einem Tag schlagartig verändert hat. Mitten in Österreich.

Nach und nach kommen Geiseln frei, nach und nach werden die Umstände ihrer Entführung klarer werden. Wenn die Asche sich senkt, wird man wissen, wer überlebt hat. Einige von ihnen wussten nicht einmal, was sich nach ihrer Entführung abgespielt hat, manche erfahren erst jetzt, dass es keinen Ort gibt, an den eine Rückkehr möglich wäre. Die Vergangenheit ist unerreichbar, sie ist vergangen. Ein Trauma. Und die Juden und Jüdinnen weltweit? In Europa? In Österreich?

Sie müssen in der neuen Zeit leben lernen. Ein jüdischer Kollege berichtet, dass die Buchhändlerin bei seiner Lesung nicht bereit war, vor Ort zu bleiben. Sie schob nur die Kiste mit den Büchern in den Saal und verschwand, aus Sorge vor einem Anschlag. Die Lesung eines anderen wurde gleich abgesagt – aus Sicherheitsgründen. Es sind kleine Ereignisse, die aber ein großes Ganzes zusammenfügen. Etwas ist gebrochen, wenn nicht zerbrochen.

Nehmen wir ein kleines Beispiel, werden wir konkret, eine literarische Übung, aber es passiert so, im Kleinen, im Realen. Nehmen wir die fiktive Frau Gold. Es gibt viele Frau Golds dieser Tage.

Frau Esther Gold will spazieren gehen, sie liebt ausgedehnte Spaziergänge, es ist sonnig und noch fast sommerlich warm, obwohl der Herbst zu Ende geht, Frau Gold ist selbst im Herbst ihres Lebens angelangt und will sich glauben machen, dass noch Sommer ist. Als sie schon aus der Tür ist und die Hausschlüssel in ihrem roten Handtäschchen verstaut, klingelt das Telefon – ihre Tochter, schon zum dritten Mal. Frau Gold ist genervt, die Tochter ist besserwisserisch, streng, sie versucht das Leben der Mutter in geordnete Bahnen zu pressen, während das Naturell der Mutter ein Sturm ist, manchmal im Wasserglas. Was will sie schon wieder, die strenge Tochter? Die Tochter ist außer sich. Sie schreit. Frau Gold hält den Hörer mit abgespreizten Fingern weg von ihrem beohrringten Ohr. Sie bittet die Tochter, sich zu beruhigen. Auf der Treppe machen ihre hohen Absätze Geräusche, sie mag es, wenn ihr Auftreten sie vorab ankündigt. Manche Männer wenden ihre Köpfe auf das beschwingte Stakkato hin, bis sie ihr Gesicht sehen, dann blicken sie wieder weg. Das Visuelle hat das Angekündigte nicht gehalten. Manchmal kränkt sie das. Manchmal ist es ihr egal. Die Schuhe sind schön und ihre Füße schmerzen erst nach längerer Zeit. Das muss genügen für Vergnügen.

Sie dürfe nicht raus jetzt, schreit die Tochter. Aber warum, das Wetter ist doch so schön! Die Tochter schreit, dass Hamas-Anhänger Gewalt gegen jüdisches Leben angekündigt haben. Heute. Jetzt. Sie solle zu Hause bleiben! Aber es ist ihr gutes Recht, spazieren zu gehen, wehrt sich Frau Gold. Sie habe mit Israels Politik nichts zu tun! Sie ist doch Österreicherin! Das sei jetzt egal, schreit die Tochter. Wie man nur so unvernünftig sein kann! Sie will aber auf ihr Konzert gehen, beharrt Frau Gold. Sie hat sich seit Wochen darauf gefreut. „Das Konzert ist aus Sicherheitsgründen abgesagt,“ sagt die Tochter. Und dann weint sie.

Frau Gold schweigt. Die weinende Tochter ist verwirrend und ungewohnt.  Ihre eigene Mutter, erinnert sich Frau Gold, hat nie geweint. Nie Angst gezeigt. Aber auch nichts erzählt, nicht von ihrer Kindheit. Nichts von der Dunkelheit, die sie mit sich herumtrug wie einen Mantel, der sie verbarg, vielleicht schützte. Frau Gold hat ihr Leben lang versucht, diesen Mantel nicht anzuziehen. Als sie auf der Straße steht, hört sie laute, aggressive Stimmen. Sieht erhobene Fäuste. Etwas Altes, Klammes steigt ihre Kehle hoch. Sie weicht ins Haus zurück und versperrt die Tür.

Das ist die Realität, die über europäische Juden und Jüdinnen zusammenschlägt. Das ist unser gegenwärtiges Leben.


Titelbild: Miriam Moné

Julya Rabinowich
Julya Rabinowich
Julya Rabinowich ist eine der bedeutendsten österreichischen Autorinnen. Bei uns blickt sie in die Abgründe der Republik.
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4 Kommentare

  1. Ihre Argumente sind nachvollziehbar und die israelischen Hamas-Opfer sind unglaublichem körperlichem und psychischen Druck ausgesetzt. Dass dieser Hamas-Mörder-Überfall volle Verurteilung verdient, keine Frage.

    Ich möchte nur festhalten, dass dies nicht nur auf der einen Seite Leid auslöst.

    Denn ihr Argument: *… manche erfahren erst jetzt, dass es keinen Ort gibt, an den eine Rückkehr möglich wäre. Die Vergangenheit ist unerreichbar, sie ist vergangen. Ein Trauma… ” gilt genauso für die palästinensische ZIVILbevölkerung.

    Aber die Leiden dieser Gruppe und die Zerstörung ihres Wohnraumes durch die israelische Armee im Gazastreifen wird in der westlichen Welt aufgrund der Aggressivität der Hamas als nebensächlich dargestellt. Die israelische Aggression gegenüber der zivilen Gaza Bevölkerung ist den westlichen Journalisten, auch ihnen Frau Rabinowich, nicht einmal einen Nebensatz wert.

    Das sagt auch viel über die Wertung des Westens dieses Konflikts aus – und vielleicht auch über die jahrzehntelangen Einseitigkeit unserer Wahrnehmung.

    • dem ist nichts hinzuzufügen. sehr einseitige betrachtungsweise in ALLEN Medien. und wenn man das äussert ist man in der sekunde ein nazi und judenhasser

  2. Was das mit uns macht?
    Als Österreicher, ohne Glaubensbekenntnis, darf ich ihnen Verständnis und Solidarität bekunden.
    In den letzten Jahren ist hier in Wien die Zahl derer, deren Ziel darin besteht, die Österreicher zu verdrängen, bedrohlich gestiegen. Ihre Gesinnung bringen diese Proponenten der Multikulturellen Gesellschaft häufig dadurch zum Ausdruck, daß sie Österreichern vor die Füße spucken!
    In den letzten 3 Jahren wurde ich grundlos mehrmals massiv bedroht, und das auf freiem Feld, rund um Oberlaa. Es handelte sich um syrische, kettenschwingende Jugendliche, diese zeichnen sich besonders darin aus, daß sie in der Horde besonders aggressiv auftreten. Vor etwa 3 Wochen eine weitere grundlose Attacke beim Radfahren, mit faustgroßen Stein, der meinen Kopf nur knapp verfehlte. … Wir wissen, daß sich Frauen generell ab Einbruch der Dunkelheit in Wien nicht mehr sicher fühlen. Ganze Stadtteile Bezirke, früher soziale Brennpunkte, verkommen zu Ghettos! Drogenhändler, deren Grundsicherung der Steuerzahler berappt, dealen offen in Verkehrsmitteln und der ganzen Stadt.
    Es genügt schon, als Fußgänger als Österreicher erkannt zu werden, um von den angesprochenen Horden vom Gehsteig gedrängt zu werden. Wiederum sind davon Frauen und schwächere besonders betroffen. Rücksichtslosigkeit auch gegenüber gebrechlichen Älteren Menschen. … Das ist der Alltag in dieser Stadt. Die Polizei ist schon sehr lange überfordert. Die laxe Justiz bestärkt diese Gewalttäter nahezu täglich darin, sich uns, in ihrer Gewalt und ihrem Fundamentalismus, überlegen zu fühlen. Das Wort Asyl hat die Rechtsstaatlichkeit außer Kraft gesetzt!
    Zumindest Vizebürgermeister Wiederkehr hat die in Wien gescheiterte Integration klar angesprochen. Auch für einen Neos Politiker eine Umkehr und bemerkenswerte, von der Realität erzwungene, Reaktion.
    Was das mit uns macht? Verlust von Lebensqualität und Verlust von Vertrauen in Staat und Zukunft. Mir persönlich reicht es, ab nächstem Jahr werde ich, priviligiert, vom sicheren Ausland aus, den meiner Meinung nach unumkehrbaren Niedergang der Stadt Wien verfolgen.

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