René Benkos Signa hat ein Kartenhaus aus Schulden und Vermögen errichtet. Ein Bilderbuch-Beispiel des Blender-Kapitalismus.
Das Imperium René Benkos ist dem Vernehmen nach am Kollabieren, auch wenn streng besehen heute eher die Insolvenz als der Konkurs droht. Insolvenz tritt dann ein, wenn ein Unternehmen seine unmittelbaren Zahlungsverpflichtungen nicht mehr erfüllen kann, Konkurs, wenn es überschuldet ist. Ein Unternehmen, das unmittelbare Zahlungsverpflichtungen von einer halben Milliarde nicht erfüllen kann, aber auf Immobilienwerten von 20 Milliarden sitzt, ist nicht unbedingt überschuldet. Aber so einfach ist es in der Welt des Investments, der Kreditaufnahme und der Werteproduktion nicht.
Schulden, so die pausbäckige Morallehre der schwäbischen Hausfrau, habe man tunlichst zu vermeiden. Sich zu verschulden sei verwegen, riskant, gefährlich, wird mit charakterlich zweifelhaften Eigenschaften wie „Spielernatur“ oder ähnliches verbunden, und ist oft sogar als moralisch verdammenswert angesehen. Wer chronisch schuldig bleibt, ist, wie der Name schon sagt: schuldig. Schuld ist Schande. Noch vor 150 Jahren kam, wer seine Außenstände nicht begleichen konnte, in den Schuldturm. Das war Gefängnisstrafe mit verschärfter Scham.
Reichtum ist immer auf Schulden gebaut
Aber Schulden sind nichts Schlechtes. Denn jeder Wohlstand ist auf Schulden gebaut. Faktisch jeder Investition, die den Wohlstand vermehrt, geht die Kreditaufnahme voraus.
Die Möglichkeit von systematischer Verschuldung hat die Reichtumsproduktion des modernen Kapitalismus erst möglich gemacht. Über weite Strecken der Menschheitsgeschichte hat sich der materielle Wohlstand etwa alle 600 bis 1000 Jahre verdoppelt. In den vergangenen beiden Jahrhunderten hat er sich alle 40 Jahre verdoppelt. Dazwischen lag die Erfindung des Geschäftskredits. Kredit heißt, dass ich nicht nur das, was ich mir vorher erspart habe, zu investieren vermag, sondern dass ich Investitionskapital erhalten kann, alleine für die Aussicht künftiger Erträge. Für den Ökonomen Joseph Schumpeter war die Erfindung des umfassenden Kreditsystems daher ein Schlüssel zur Erklärung des fantastischen Erfolges des Kapitalismus. Man kann sich nicht reich sparen, man kann sich nur reich investieren.
Kredite, Zahlungsversprechen und Vermögen
Dabei ist schwer zu unterscheiden, wo die vernünftige Investition endet und die filouhafte Bedenkenlosigkeit beginnt. Wenn jemand Schulden macht, werden zunächst einmal alle reicher. Es ist eine der Seltsamkeiten der Finanzwirtschaft, die für den Laien intuitiv schwer verständlich ist. Den Schulden des einen steht die Kreditvergabe der anderen gegenüber. Vergibt etwa die Bank Kredite an Herrn Benko, wird die Bank reicher, denn die Zahlungsverpflichtungen von ersterem verbuchen auf der Bankseite als „Vermögen“ (solange Herr Benko zahlen kann). Und Herr Benko kauft um die Gelder Immobilien – oder baut neue – die an Wert gewinnen oder mehr wert sind als die investierte Summe.
Solange das so läuft, ist alles gut.
Nun kann man diese Operationen auf weitblickendere Art nach der Fasson des „ehrbaren Kaufmannes“ machen, also ohne zu hohe Risiken aufzutürmen, oder man kann das auf aggressivere Weise tun. Aggressiv heißt: Man nimmt sehr viele Kredite auf, kauft damit sehr viele Immobilien, baut sehr viele Bürotürme, und wenn zeitgleich die Immobilienpreise explodieren, dann steigen auch noch die Werte in den Büchern. Besitzt man sehr viele Immobilien, deren Werte dauernd in den Himmel steigen, dann kann man immer mehr Kredite aufnehmen, um neue Immobilien zu kaufen, und diese mit den immer wertvolleren Immobilien besichern. Das Spiel geht auf, solange die Immobilienpreise steigen und solange die Kreditkosten wegen niedriger Zinsen außergewöhnlich günstig sind. Wenn man sehr aggressiv vorgegangen ist, fiktiven hohen Buchwerten (die sich ändern können) sehr hohe Kreditvolumina gegenüberstehen, dann reicht schon die Veränderung einer Variable, dass das Kartenhaus zusammenbricht. Also: Wenn etwa die Zinsen steigen. Oder: Wenn die Immobilienpreise einbrechen. Oder: Wenn die Konjunktur abschmiert und man keine Firmen mehr findet, die astronomische Mieten für die Bürotürme bezahlen.
Eine Art Ponzischema
Und jeder weiß: Es ändert sich nie eine Variable alleine. Ändert sich eine, ändern sich gleich mehrere. Steigen die Zinsen, werden Immobilieninvestitionen teurer, also sinken auch die Grundstückspreise. Dann können sogar bei gesunden Unternehmen die Verbindlichkeiten das Vermögen schnell übersteigen, einfach weil das Vermögen sinkt.
Das Geschäftsmodell kann dann einerseits buchhalterisch korrekt sein, und andererseits dennoch ein Ponzischema (Charles Ponzi betrog 1920 Anleger um mehrere Millionen US-Dollar), nur wenig nachhaltiger als ein Kettenbrief.
Nun ist im Kapitalismus eine Insolvenz nicht unbedingt etwas, das einen in Verruf bringen muss: Geschäftsideen können scheitern, ein kommerzielles Modell muss nicht aufgehen, das Marktumfeld kann sich ändern. Wer billigen Strom aus Gas erzeugt und dann steigen die Gaspreise wegen eines Krieges, der kann schnell pleitegehen. Wer ein Produkt hat, das „In“ ist, hat hohe Einnahmen, und kann damit seine Fixkosten zahlen, will dann niemand mehr das Produkt kaufen (weil es nicht mehr „hip“ ist), kann er in die Insolvenz schlittern. Das ist normal. Kein Drama.
Wer aber sein Geschäftsmodell so anlegt, dass es offenkundig nur bei außergewöhnlichen Marktlagen über Wasser bleibt –etwa, wenn die Zinsen außergewöhnlich niedrig sind und auf den innerstädtischen Immobilienmärkten Goldgräber-Hausse herrscht –, der wird sich freilich bohrende Fragen stellen lassen müssen.
Die Welt der „Erfolgsmenschen“
Im zeitgenössischen Kapitalismus kommt dann auch noch Blenderei hinzu. Nicht alleine die Zahlen in den Büchern überzeugen die Geschäftspartner, sondern ob du „Erfolg“ auch darstellen kannst. Den „Erfolg“ verkörperst du, indem du dich etwa mit „erfolgreichen Menschen“ umgibst. Das symbolische Kapital zahlt ein in das Portfolio des materiellen Kapitals. Der Erfolgreiche X umgibt sich mit dem Erfolgreichen Y, und die zugeschriebene Gerissenheit des einen färbt auf den anderen ab und vice versa. In der Bussi-Bussi-Gesellschaft der Schlawiner, Schlaucherln, Hintenherumdreher und „ganz wichtigen Leute“ ist die Begegnung von Leuten, die allesamt Erfolg darstellen, ein Win-Win-Geschäft für alle im Netzwerk.
In der Erfolgs- und Wettbewerbsgesellschaft ist der „Erfolgsmensch“ zur phänotypischen Figur geworden. Der Erfolgsmensch ist ja nicht bloß, wie der geniale Pianist, der kunstfertige Handwerker oder der geniale Mittelfeldregisseur im Fussball in irgendetwas besonders gut – ja, solche Art von präzise definierbarem Können hat er meist nicht nötig –, sondern er ist vor allem erfolgreich darin, erfolgreich zu sein. In einer fluiden, oft entmaterialisierten Ökonomie, in der viel auf Image beruht, ist der erfolgreich, der es versteht, erfolgreich als erfolgreich zu erscheinen. Erfolg ist heute, wie das der Soziologe Sighard Neckel formuliert, eine „Zuschreibungskategorie und entsteht im Medium der Wertungen Dritter. Erfolge müssen auffallend sein und möglichst frappant dargestellt werden.“ Neckel spricht von einer „performativen Ökonomie“. Erfolg ist da primär Habitus. Hat man die Körpersprache, die einen als Erfolgreichen ausweist? Die lässige Selbstverständlichkeit, die von Unverschämtheit schwer zu unterscheiden ist? Diese Körperhaltung und die Ausstrahlung sind heute der Schlüssel zum Erfolg, nicht das Können in irgendeinem Fachbereich. Wer Erfolg ausstrahlt, der wird Erfolg haben, so lautet das Gesetz: Wer hat, dem wird gegeben.
Bis dann eben einmal der Bluff zusammen bricht.
Titelbild: Miriam Moné