Samstag, April 27, 2024

Daumen rauf oder Daumen runter

Mit seiner binären Kritik-Kultur unterscheidet die Medienlandschaft in Österreich böse Feinde und gute Helden. Ihre Helden wie Karl-Heinz Grasser, Sebastian Kurz, René Benko sind heute verurteilt, am Ende, bankrott. Mehr denn je braucht Österreich jetzt dialektische und intelligente politische Analyse statt Boulevardisierung.

Sie haben es schon wieder getan. Wer? Die Österreicherinnen und Österreicher – also: wir. Was? Wir haben schon wieder durch Bejubelung Heilige zu Lebzeiten geschaffen. Und die Heiligen haben wieder nicht gehalten, was wir uns von ihnen versprochen haben. Es ist nicht nötig, die Fälle Kurz oder Benko hier zu diskutieren. Es ist nötig, die Qualität politischer Analyse in Österreich zu diskutieren.

Die sogenannten sozialen Netzwerke haben längst eine Kritik-Kultur geschaffen, die gerade für Fußballfans ausreicht und die Ehrlichkeit, Dialektik und Wirklichkeitssinn mit ihrer binären Logik unter sich begräbt: Daumen rauf oder Daumen runter.

Schluss mit der Jubelkultur!

Daumen rauf oder Daumen runter. Unter diesem Motto laufen Berichterstattung und sogenannte Kritik in Österreich. Wo der Daumen oben ist, wird heiliggesprochen. Der Heilige kann sich leisten, was er will. Er kann morgen das Gegenteil von dem sagen, was er gestern gesagt hat. Er kann Straftaten begehen. Er kann korrupt sein. Der Heiligenschein bleibt trotzdem. Es muss endlich Schluss sein mit der Jubelkultur der Marke Heldenplatz 1938!

Am 15. Juni 2018 stand in der Kronen Zeitung:

Lieber René Benko, nun ist der Kika/Leiner Ihrer. Und damit die Insolvenz des Möbelriesen abgewendet. Und 5000 Mitarbeiter dürfen wieder hoffen. Und Sie sind mir unheimlich. Nämlich unheimlich sympathisch. Erstens Tiroler, zweitens Schulabbrecher.

Als 17-jähriger Jungspund sanierten Sie in Innsbruck verstaubte Dachböden. Und heute, mit 40, sind Sie geschätzte 3,7 Milliarden Euro schwer. Dazwischen wurden Sie rechtskräftig wegen „versuchter verbotener Intervention“, vulgo Schmiergeldzahlung, zu einem Jahr bedingter Haft verurteilt. Nebbich. Zumal heute kein Mensch mehr darüber redet.

Das ist natürlich einer der offenen Liebesbriefe von Michael Jeannée. Wir fassen zusammen: Schulabbrecher GUT, Straftäter GUT, Korruption GUT!

Der Funke

Derartiges steht in der Zeitung mit der höchsten staatlichen Förderung Österreichs. Es kommt noch schlimmer. Einst waren es nur Boulevardzeitungen, die serienmäßig Heilige produzierten. Doch inzwischen ist der Funke (oder zumindest Anteile) auf die sogenannten Qualitätsmedien übergesprungen. Warum?

Für die frühe Kronen Zeitung war Olah ein Gott, Benya und Broda waren die Verdammten. Das hat mit der Geschichte der Kronen Zeitung zu tun. Wer sie nachliest, wird das schnell verstehen. Danach entdeckte man den Populismus. Der vom Sportreporter der Arbeiterzeitung zum Hassprediger der Krone mutierte Richard Nimmerrichter und viele andere angebliche Politik-Journalisten des Blattes schwangen sich in der Zeit der Causa Waldheim und des politischen Auftretens Jörg Haiders zur Höchstform auf: Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Demokratiefeindlichkeit zeichneten ihre Hasstiraden aus. Ihre einzige positive Botschaft: Personenkult.

Wir können auch anders

Doch der Boulevard entdeckte bald auch die wirtschaftliche Nutzungsmöglichkeit, die die Macht des Königsmachers mit sich bringt, und verstärkte den Druck auf die Politik, ihm offen und verdeckt Geld zuzustecken – Quartal für Quartal, Jahr für Jahr. Inzwischen kommuniziert man Unzufriedenheit mit der Höhe dieser Gelder als offene Drohung direkt an die Regierung: »Wir können auch anders«.

»Wir können auch anders« – das heißt, dass die vierte Macht die erste geworden ist. »Wir können auch anders« bedeutet: Wir sind die eigentlich Regierenden. Und – leider! – haben die Qualitätsmedien von den Boulevardmedien gelernt und nicht umgekehrt. Eine gewaltige Boulevardisierungswelle hat unser Land erfasst. 2016 wurde diese Welle massiv und sie hat fast alles mit sich gerissen, was an brauchbarem Journalismus noch da war.

Oden und Lügen

Sebastian Kurz und René Benko wurden zu Wunderkindern erklärt. Die Dummheit und Kritiklosigkeit der Boulevardmedien wäre vielleicht noch angegangen, aber das Einstimmen sogenannter Qualitätsmedien in das Lobhudelkonzert war die eigentliche Schande. Ja, die gemeinten Redakteurinnen und Redakteure waren sich nicht einmal zu blöd, auch auf Twitter, wo sie »nur privat« unterwegs waren, ihre Oden auf Kurz, Blümel et alii und die Lügen von der »alternativlosen« Koalition Schwarz-Blau von 2018 zu singen und Selfies mit Regierungsmitgliedern zu posten.

Es gab eine Zeit, in der Kritik an Kurz oder Benko mit jenem Argument weggewischt wurde, das auf die Jubelnden selbst zutraf: Voreingenommenheit. Als ich 2018 auf Twitter postete, dass von Sebastian Kurz einst nichts als Gerichtsverfahren übrigbleiben würden und von René Benko nichts als Firmenpleiten, antwortete mir ein einst bedeutender ORF-Journalist ich sei »ein Kurz-Hasser und eine Fake-News-Schleuder«. Heute berichtigen bürgerliche und liberale wie Karl Schwarzenberg, Paul Lendvai, Barbara Coudenhove-Kalergi und viele andere das Bild zu meinen Gunsten. Einen »Schwindler« nannte Schwarzenberg Kurz sogar im Jahr 2022. Warum tat er das nicht schon 2017? Schon damals war alles klar.

Undemokratische Verdammungskultur

Was auf die Heiligenbildung zutrifft, trifft mit umgekehrten Vorzeichen auch auf die Verdammungskultur in diesem Land zu. Wir wissen, dass die oberste Direktive der Gerald-Fleischmann-ÖVP, die ja immer noch die größte Fraktion im Nationalrat ist und die Regierung anführt, lautet: Keine Koalition mit Sozialdemokraten!

Sebastian Kurz hat es offen ausgesprochen. Andreas Khol hat es offen ausgesprochen. Kloibmüller hat es geschrieben: »… den Sozen zeigen, wo der Hammer hängt«. Wir kennen den Sager von den »roten Gfrießern«. Die ÖVP bereitet eine Regierung mit der FPÖ vor, wie sie sie bereits in einigen Bundesländern gebildet hat, wo sie genau diese Koalition vor der Wahl dezidiert ausschloss. Aber heute geht es längst nicht mehr um die Ausgrenzung der SPÖ durch die ÖVP. Heute ist Österreich an einem Punkt, an dem klar sein muss, dass alle Demokraten, ALLE, die an die Demokratie glauben, sich zusammenschließen müssen, um die Demokratie zu erhalten. Wenn die ÖVP sich dem Konsens und dem Kompromiss weiter verschließt, bereitet sie den Boden für ein autoritäres System, das sie selbst bald pulverisieren wird. Das hat sie ja schon einmal in der Geschichte getan.

Maximal fünf Prozent

Den bildungsfeindlichen und demokratiefeindlichen Boulevardmedien geht es ausschließlich um sich selbst. Den Qualitätsmedien sollte es um Österreich gehen. Um Österreich – das demokratische Österreich – zu erhalten, brauchen wir Informationskultur, brauchen wir Kritik-Kultur, brauchen wir die Förderung von Bildung und Denken und nicht ihre Abschaffung.

Wären wir ein Land, in dem Bildung und Denken wirklich einen hohen Stellenwert hätten, würde eine Partei mit einem Spitzenkandidaten Sebastian Kurz maximal 5 Prozent aller Stimmen bekommen. Wären wir ein Land, in dem Bildung und Denken wirklich einen hohen Stellenwert hätten, würde eine Partei mit einem Spitzenkandidaten Herbert Kickl maximal 5 Prozent aller Stimmen bekommen.

Titelbild: Miriam Moné

Daniel Wisser
Daniel Wisser
Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.
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58 Kommentare

  1. Wir sind aber leider ein Volk von Traumtänzern, die auf jeden Scharlatan hereinfallen. Er sollte nur gefällige Reden schwingen können. Der Inhalt kann nur so vor falschen Behauptungen strotzen, völlig egal.

    Es muß nur noch nächsten Tag von den Angefütterten redaktionell bestätigt werden. Dann wird jede Lüge für bare Münze genommen. Es steht ja in der Krone, in………….. Dann muß es ja stimmen.

    Wir sind ein naives Volk und damit ein Fressen für manipulative Parteistrategen.

    • Mecht net wissen was der olles so in seine Schreibtischlad’ln liegen ghobt hot. Für jede Hasstirade und Verleumdung hot mindestens a Flachmann draun glaub’n miass’n. 😵

  2. Schön langsam hat man hier ohnehin das Gefühl, es wird systematische Volksverdummung betrieben. Nachdem die rechtsradikale Wannseekonferenz II jetzt öffentlich wurde und Kickl sich bei Armin Wolf vollinhaltlich davon begeistert zeigte, ist das offensichtliche Top Thema heute in Krone und auf Ö3 allerdings ein ganz anderes. Eine gekündigte Volksschullehrerin die sich auf Tik Tok als Sexualratgeberin betätigt hat ist offensichtlich die wichtigere Nachricht und wird als Aufreger des Tages präsentiert. Was soll man dazu noch sagen?

    • @baer
      Am besten gar nix. Die Verblödung in Österreich schreitet hurtig voran……und viele Medien unterstützen dies.
      Schauen Sie sich mal um. Die meisten Zeitungsständer von ” Heute” sind, zumindest hier in NÖ, bereits um 10 Uhr leer.
      So bildet sich der Österreicher….

      Traurig

      • Weil das Trash Hefterl einfach zu lesen ist und bunte Bildchen hat. Leider kann ein ziemlich großer Teil der Menschen in Österreich anspruchsvollere Texte nicht sinnerfassend lesen und damit sind jetzt nicht die Migranten gemeint. 😐

      • Leider nicht nur im Neandertal. Auch bei uns Mostschädln herrscht die “Geiz ist geil” Mentalität. “Des Blattl kost nix und vasteh dua i’s a. Oiso les i’s!”
        Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Österreicher noch in der Lage sind, einen komplexen Schachtelsatz (muss ja kein Bernhard’scher, geschweige denn ein Joyce’scher sein), sinnerfassend lesen und verstehen können.
        Das Stammtischniveau ist mehrheitstauglich geworden und viele Medien stimmen fröhlich ein. Leider!

    • @Volksverdummung: Sie kritisieren zwar, machen bei der Verbreitung der Nachricht aber selbst mit! Kann bedeuten: Sie gehören auch zur Zielgruppe…

  3. Das Land geht den Bach runter, doch solange wir solche Schreiberlinge in den Chefredaktionen sitzen haben wie derzeit im “Profil ohne Profil” gibt es nach wie vor *entweder du bist mein Freund oder Feind*. -Originalzitat Twitter Anna Thalhammer vor 1 Tag: “Ihr habt’s es gut und immer eine Meinung. Ich muss Leitartikel
    schreiben und bin noch so gechillt vom Urlaub,
    dass mir alles noch wurscht ist und ich kaum die
    nötige Emotion dafür aufbringen kann.”
    Thalhammer ist offensichtlich ein Freund. Danke
    an ZackZack, dass wenigstens irgend jemand aus
    der Branche eine Meinung hat.

  4. “Den Qualitätsmedien sollte es um Österreich gehen.”
    Es gibt nur keine mehr mit nenneswerter Reichweite. Kurier und Presse sind schon lange vereinnahmt und auch der Standard ist nur mehr ein Lifestyle Magazin für betreutes Denken. Schlecht schauts aus.

  5. No, im Vaupen Paralleluniversum sieht man es ein wenig anders. Da werden epochale “Entwicklungen” hin zur Förderung des “Qualitätsjournalismus” in angestrebter Inhaltsvielfalt propagiert. Zur Sicherung und Wahrung des heimischen Medienstandortes, damit dieser im internationalen Wettbewerb weiter gestärkt und der qualitätsvolle Journalismus unterstützt wird. Das ist doch genau das Gegenteil von dem, dass uns die österreichisch politische Realität abbildet? Wer bezahlt diesen invertierten Unsinn? Diese millionenfach jährlich immer noch mehr steigenden Subventionen in eine Presseförderung, u.a. in straff organisierter Inseraten-Korruption? (Verfahren dazu sind anhängig…) Je desaströser die politische Performance für die Allgemeinheit im neoliberal adorierten Günstlings-Dschungel, desto höher die monetären Zuwendungen in den Boulevard, um diesen Autoritarismus wieder ins Gegenteil zu verkehren, zu beschwören, anzuheizen, zu polarisieren. Und um ganz sicher zu gehen, werden zukünftig die Agenden auszubildender Journalist*innen nun direkt dem Bundeskanzleramt unterstellt, mit dem “Gesetz zur Wiener Zeitung”, welches der Bundesregierung als innovativer Vorwand dient, journalistische Meinungsvielfalt endgültig in verstaatlichte Kontrolle (Gängelung?) zu stellen. Wirtschaftsagenden mit ÖBAG, IV Konfigurationen politisch zu kuratieren scheint also noch zuwenig. => Dazu Medienministerin Susanne Raab: “Wir haben die neue Qualitätsjournalismusförderung ins Leben gerufen, um heimische Medien in ihrer Funktion als vierte Säule einer funktionierenden Demokratie und im Wettbewerb mit internationalen Konzernen zu stärken, denn die Herausforderungen für österreichischen Medien durch die Digitalisierung, steigende Papierpreise, Konkurrenz aus dem Ausland und veränderten Medienkonsum sind vielfältig.” Ist an Zynismus und volksverblödender Desinformation nicht mehr zu überbieten – wie ich meine … Warum ist’s möglich? Weil’s hierzulande “locker” und “unbürokratisch” durchgewunken werden kann …

    https://www.bundeskanzleramt.gv.at/bundeskanzleramt/nachrichten-der-bundesregierung/2023/12/neue-qualitartsjournalismusfoerderung-passiert-bundesrat.html

  6. Was hat die Änderung – falls es nicht schon in den 80ern so war – bewirkt?
    akt. Bsp. W. Peschorn, Finanzprokurator und im Interview zur SIGNA .. aber dann hat mich die PRESSE negativ überrascht, was unter seinem Foto steht.. spricht für sich.. und damit ist für mich als Leser bzw Person mit eigenem Verstand alles gesagt:
    https://www.diepresse.com/17954115/chef-der-finanzprokuratur-signa-kollaps-wird-staat-geld-kosten. Nach dem Interview habe ich in Folge das Interview Revue passieren lassen und weiter recherchiert: die vielen Artikeln zur SIGNA u R. Benkó, also hab ich spontan SIGNA & WienerZeitung.at eingegeben und guck, was da an Infos der letzten Jahre auftauchte. Ich möchte zB mir einen Jahresabschluss ansehen, kann es nicht mehr, wenn ich nicht zahlen will. Die Beschneidung an Informationen (Zeitungen, allgem. Infos, Verunglimpfung bzw. Abwertung von Kompetenten und kritischen Aussagen) zeigt aus meiner Sicht eines – ANGST. zB war die Krone früher mächtig, nun muss sie selbst um Aufträge zittern, ich sehe mir gerne die Runde der Chefredakteure an, aber Kritik über den Dauerwellen-Träger wird tatsächlich als schädigend für die Zeitung gesehen und wenn nicht zensuriert, folgt ein Anruf. Ich vermisse die Offenheit, Toleranz, Engagement, Mut zu mehr Meinungen, aber die ANGST nimmt zu und viele sehen die Situation in Ö als kritisch und bedenklich und würden es vermeiden, dagegen etwas zu sagen, um nicht selbst in Gefahr zu kommen ..

      • Finde ich nicht, im Interview war vieles, das ich aus betriebswirtschaftl. Sicht als richtig beurteilen bzw. bewerten kann, ich kenne ihn nicht (persönlich – weder im Job noch privat), hab ihn selten gehört (Medien) und trau mir kein negatives Gesamturteil über ihn zu bilden, das ist Ihre Meinung. Jemand, der die Möglichkeit hat, andere nieder zu machen, zeigt nur Schwäche in der eigenen Person (Persönlichkeit) auf .. in Bezug auf den Artikel. Man muss nicht immer die Meinung des Gegenüber voll teilen, Diversität in der Meinung, Gedankenwelt, Blickwinkel, Kultur.. tut den Gehirnzellen gut … Respektiere Ihre Meinung

    • @ Cantal – Liebe/r Cantal – schließe mich Ihrer Meinung zu 100 % an, beiden Posts, um die Worte von baer zu “klauen” bzw auszuborgen – @CANTAL, gute Beschreibung !! Sie dürften eine aufrechte, aufgeschlossene Person mit Weitblick sein, behalten Sie sich das bitte

  7. Und wer würde die restlichen 90% bekommen, im Land wo Bildung und Denken einen hohen Stellenwert hätten?
    Der Versuch der Beantwortung dieser Frage, dürfte auf das eigentliche Problem hinweisen

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