Samstag, Juli 27, 2024

Türkiser Schlamm: Wie die ÖVP U-Ausschüsse sabotiert

Von „profil“ bis „oe24“ denunzieren führende Journalisten die kommenden U-Ausschüsse als „Schlammschlachten“ – und erledigen damit das politische Geschäft der ÖVP.

„Die Parteien machen in U-Ausschüssen gegeneinander mobil. Vordergründig geht es um die Covid-Finanzierungsagentur und rot-blaue Werbe- und Inseratengeschäfte, tatsächlich um gegenseitige Ehrabschneidung.“ Das steht in keiner Presseaussendung der ÖVP, sondern am Beginn eines „Kommentars“ in „profil“.

Unter der Führung von Richard Grasl und Anna Thalhammer setzt sich „profil“ mit an die Spitze eines strategischen Langzeitprojekts der ÖVP: der Ehrabschneidung des Parlaments. Eine „Standard“-Redakteurin stimmt ein und stellt fest, dass es „primär darum geht, den politischen Gegner mit Schmutz zu bewerfen“.

Ich nenne hier bewusst nicht die Namen der Autorinnen, weil sie in der Regel keine schlechten Absichten verfolgen. Sie glauben, dass es so ist, weil sie zurecht feststellen, dass im Nationalrat vieles vergiftet ist. Dass sie selbst dabei zu Instrumenten werden, ist vielen von ihnen nicht bewusst.

Shit, türkis

Die ÖVP flutet das Parlament mit „Shit“, weil sie weiß, dass immer mehr Journalisten ihrem Reflex folgen, sich die Nasen zuhalten und vom Ausschuss-Schauspiel abwenden. Es ist noch nicht so weit wie in der Zwischenkriegszeit, in der Journalisten die Parlamente in Berlin und Wien als „Quatschbuden“ sturmreif schrieben. Aber es geht in die richtige Richtung für die Parteien, denen unabhängige Staatsanwälte und parlamentarische Kontrolle nur noch auf die Nerven gehen.

Von Lucona zu Ibiza

Das hat eine Vorgeschichte, und sie beginnt mit Udo Proksch, „Lucona“ und „Noricum“. Die beiden ersten U-Ausschüsse, die ich miterlebte, richteten sich gegen die SPÖ. Die ÖVP war mit Begeisterung dabei und sang das U-Ausschuss-Loblied.

Ein paar Jahre später wendeten sich parlamentarische Untersuchungen immer öfter gegen die ÖVP. Der Grund dafür war einfach: Die Volkspartei ist neben der FPÖ eine der beiden Hauptparteien der Korruption. Aber im Gegensatz zu den Freiheitlichen verstehen die Nehmer und Schieber aus der ÖVP ihr Geschäft.

Von „Eurofighter“ bis „BUWOG“ und von „BVT“ bis „Ibiza“ ging es neben freiheitlichen Tätern immer öfter um die schwarzen Korruptions- und Parteibuch-Profis, bis der letzte U-Ausschuss nur noch den Namen „ÖVP“ trug.

Minderheitsrecht

2014 war das Wendejahr der parlamentarischen Kontrolle. Damals gelang es Otto Pendl aus der SPÖ, Reinhold Lopatka aus der ÖVP und mir als Grünem, den U-Ausschuss zum Minderheitsrecht zu machen. Bis dahin konnte die Dauerregierungspartei ÖVP bestimmen, was untersucht wurde. Seit 2014 kann sie überstimmt werden.

Vor 2014 hat die ÖVP U-Ausschüsse blockiert. Seit 2014 sabotiert sie alle. In neun Jahren haben sich ihre drei Vorwürfe gegen das Parlament nicht geändert:

  1. U-Ausschüsse bringen nichts.
  2. U-Ausschüsse sind teuer.
  3. U-Ausschüsse sind „Schlammschlachten“.

Jedes dieser Argumente ist vielfach widerlegt.

  1. U-Ausschüsse sind erfolgreicher als die Strafjustiz. Das belegt ein kleiner Ausschnitt aus einer langen Erfolgsliste:
  • Sigi Wolf wird angeklagt, weil die WKStA fast wörtlich die Ergebnisse des letzten Eurofighter-U-Ausschusses übernommen und die Zypern-Spur bis zu „Russen-Sigi“ verfolgt hat.
  • Der 2. Eurofighter-U-Ausschuss fand eine Londoner Firma namens „Vector Aerospace“ – und damit ein Eurofighter-Schmiergeldnetzwerk mit fast hundert Scheinfirmen, über das 284,3 Millionen Euro an Schmiergelder an Entscheidungsträger in Wirtschaft und Politik verteilt wurden.
  • Im BUWOG-U-Ausschuss präsentierte die grüne Abgeordnete Gabi Moser ihre Beweise gegen Grasser & Co und öffnete damit den Weg für das erfolgreiche Strafverfahren.
  • Im BVT-U-Ausschuss fanden die Abgeordneten ein ganzes türkises Netzwerk, das den Verfassungsschutz zur ÖVP-Waffe machte.
  • Im gleichen Ausschuss dokumentierten die Abgeordneten penibel Machtmissbrauch und Parteibuchwirtschaft eines Innenministers, der jetzt „Volkskanzler“ werden will.
  • Sebastian Kurz stolpert gerade über seine Aussagen im ÖVP-U-Ausschuss in Richtung einer möglichen ersten Vorstrafe.

U-Ausschüsse sind schneller erfolgreich als die Strafjustiz, weil Heerscharen teurer Anwälte nur die Strafjustiz lahmlegen können. Beim Parlament haben sie keine Chance, die Untersuchungen über Jahre zu verschleppen.

Die langsamere Strafjustiz kann dafür mit Instrumenten wie „Hausdurchsuchung“, „Sicherstellung“ und „Handy-Auswertung“ viel weiter in die Tiefe gehen und Beweise sicherstellen, die kein Parlament finden kann.

Korruption wird nur dort erfolgreich bekämpft, wo Behörden wie die WKStA und erfolgreiche U-Ausschüsse voneinander profitieren.

2. U-Ausschüsse sind weit billiger als PR-Mitarbeiter von Bundeskanzler und Ministern.

Der „Ibiza“-Untersuchungsausschuss kostete 5,4 Millionen Euro, der „ÖVP“-Ausschuss rund zwei Millionen. Der Hypo-U-Ausschuss kostete mit 5,5 Millionen Euro weniger als ein Tausendstel des Schadens, den die spekulierenden Burschen der Kärntner FPÖ angerichtet hatten.

Allein Karl Nehammer gibt monatlich 450.000 Euro für 104 Propaganda-Mitarbeiter im Bundeskanzleramt aus. Seine PR-Kosten sind inzwischen höher als die Kosten für zwei Untersuchungsausschüsse.

3. U-Ausschüsse bekommen von ÖVP und Sobotka Schlamm ins Getriebe.

Das ist die Schlammschlacht, seit Wolfgang Sobotka Präsident des Nationalrats ist. Abgeordnete von SPÖ, Neos, Grünen und oft auch FPÖ bemühen sich trotzdem, möglichst viel ans Licht zu bringen. Das ist nicht einfach, wenn ein zum Randalieren neigender WKStA-Beschuldigter darüber wacht, dass nicht zu viel über ihn und seine Partei herausgefunden wird.

Der Schlamm in den U-Ausschüssen trägt damit eine einzige Farbe: “türkis”.

Die ersten drei Monate

Diesmal kommt noch ein viertes Argument dazu: Die kurze Zeit bis zum Beginn des Wahlkampfs reiche nicht für einen guten und erfolgreichen U-Ausschuss. Auch das ist falsch. Die besten Zeiten der U-Ausschüsse sind immer die ersten drei Monate. Da kommen die brisanten Akten. Da werden die ersten spannenden Fragen gestellt. Alle Scheinwerfer sind auf den Ausschuss gerichtet. Was in diesen Monaten gelingt, hat besonderes Gewicht.

Dann kommen die Monate der Routine, in denen sich immer weniger Journalisten im Ausschusslokal einfinden. Dieser Ausschuss wird nur die ersten Monate dauern. Wenn hier trotz Sobotka Wichtiges gelingt, wird er ein Erfolg.

Das Schreiben der Lämmer

Alle, die schreiben, analysieren und kommentieren, sollten sich diesmal besonders genau überlegen, wie sie die parlamentarische Kontrolle in einer politisch überspannten Situation beschreiben. Die ÖVP setzt auf das „Schreiben der Lämmer“. Wer „Schlammschlacht“ schreibt, besorgt das Hanger/Fleischmann/Sobotka-Geschäft.

Wer einfach berichtet, was ist, bleibt Journalist. Wir alle haben diese Wahl. Es ist gut, wenn wir es wissen.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

100 Kommentare

100 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Die Ergebnisse der Pilnacek-Kommission

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!