Das Wochenmagazin „profil“ bläst den Identitären Martin Sellner auf. Diesmal scheint es nicht um Auflagensteigerung zu gehen.
Diesmal ist es in die Hose gegangen. „Österreichs bekanntester Rechtsextremer bläst sich zum medialen Superstar auf. Doch so sehr er sich bemüht, die Massen folgen ihm nicht.“ „profil“ macht mit Martin Sellners Gesicht am Cover zumindest einen Versuch, dieses Problem zu lösen.
„Kronen Zeitung“-Kommentator Claus Pandi wendet sich an die „profil“-Redaktion und wundert sich, „dass er von euch grad aufgeblasen wird“.
Auf „Twitter“ versucht „profil“ bereits eine Rechtfertigung. Aber es geht nicht um die Frage, ob man über Sellner schreiben solle. Es geht um „Aufblasen statt Ausleuchten“.
Die Sellner-Werbung am „profil“-Cover ist politisch dumm, der Beitext auf „Twitter“ falsch. Der bekannteste Rechtsextremist Österreichs heißt „Herbert Kickl“. Er ist schon längst erfolgreich großgeschrieben worden. Aber warum bläst „profil“ Sellner auf?
Auflage mit Haider
Als Jörg Haider vor mehr als dreißig Jahren erste Grenzen sprengte, verriet mir der damalige „profil“-Herausgeber: „Mit jedem Haider-Cover machen wir Rekordauflagen. Unsere besten Cover sind die mit dem Jörg.“ Beide Seiten wussten, dass sie ein Geschäft machten. Der Haider Cover brachte „profil“ Auflage und Haider noch mehr Stimmen derer, die das „System“ ablehnten und „profil“ glaubten, dass Haider dessen Hauptfeind sei.
Mit einem Kickl-Cover geht das auch. Aber mit Sellner, dessen Namen und Bild bis heute kaum jemand kennt? Ich traue Anna Thalhammer einiges zu, aber das nicht. Wahrscheinlich hat sich Richard Grasl etwas anderes überlegt.
Brückenkopf
„Kurier“- und „profil“-Chef Grasl ist neben Gerald Fleischmann der zweite Medienstratege im engsten Umfeld der ÖVP. Seit einiger Zeit wird versucht, um den “Kurier” von „profil“ bis „Exxpress“ einen türkisen Print-Brückenkopf zu schaffen. Der „Express“-Versuch ist an der „Kronen Zeitung“ vorläufig gescheitert. Bei „profil“ konnten zumindest drei der profiliertesten und verlässlich unabhängigen Journalistinnen entfernt werden.
Grasl weiß, dass die ÖVP ein strategisches Problem hat. Herbert Kickl mobilisiert am rechten Rand. Karl Nehammer scheitert fast täglich mit seinem Versuch, als Kopie der FPÖ-Ausländer- und EU-Politik dem Original Stimmen abzunehmen. Beide sehen sich als das Gesicht Österreichs im Dreibund mit Ungarns Orbán und Serbiens Vucic. Beide wollen, dass Fleisch paniert und nicht am Spieß gedreht wird. Beide halten Nikolaus und Osterhasen für weit gefährdeter als schulisch erfolgreiche Ausländerkinder. Der letzte größere Unterschied liegt dort, wo man mobilisieren will: im Bierzelt oder im ÖAAB.
Kickls „natürlicher“ Gegner heißt Andreas Babler. Von Ausländern bis Millionärssteuern steht er als einziger Chef einer größeren Partei Kickl in jeder wichtigen Frage genau gegenüber. Wenn die beiden in den letzten Wochen vor der Wahl allein im Ring stehen, hat die ÖVP verloren.
„Voll“ gegen „Volk“
Jeder, der rechnen kann, weiß eines: Der Rechtsblock aus FPÖ und ÖVP geht sich nur dann aus, wenn die ÖVP bei der Nationalratswahl nicht untergeht. Dazu braucht sie eine neue Rolle. Die Medienstrategen der ÖVP haben sie längst gefunden. Der „Vollkanzler“ wird der Herausforderer des „Volkskanzlers“. Dazu muss Nehammer nur alles wiederholen, was Johanna Mikl-Leitner im niederösterreichischen Landtagswahlkampf über den dortigen FPÖ-Spitzenkandidaten gesagt hat.
Am 10. Februar 2024 erklärte Nehammer in der Grazer Seifenfabrik: „Unser Problem sind die Rechtsextremen.“ Keinen der Anwesenden störte, dass es die Koalitionen der ÖVP mit den Rechtsextremen in Linz, Salzburg und St. Pölten weiter geben soll.
Ausgeschlossen bleibt nur Kickl. Die FPÖ nimmt Nehammer von Kickl aus, weil sie im Gegensatz zu ihrem Führer eine „vielfältige Partei“ sei. „Die Rechtsextremen“ bestehen für Karl Nehammer aus einer einzigen Person.
Das ist, wie es Nehammer-Kopf Fleischmann getauft hat, „SNU“, „strategisch notwendiger Unsinn“. Seit dem Juli 2023 versucht Nehammer vergeblich, ihn unters Volk zu bringen. Er weiß, dass ein Finale gegen Kickl seine letzte Chance auf ein politisches Überleben ist. Nehammer hat nicht mehr viel Zeit.
Weg und Ziel
Damit Nehammer statt Babler ins Finale kommt, muss er die dünne Geschichte seiner Kickl-Gegnerschaft dichter machen. Dazu braucht er den „profil“-Cover. Mit ihm kann er erzählen, dass Kickl weit rechts von ihm steht. Dieser Teil der Geschichte enthält einen wahren Kern.
Im Gegensatz zu Strache hat Herbert Kickl eine neue politische Erzählung begonnen. Begriffe wie „Bevölkerungsaustausch“, „Umvolkung“ und jetzt „Remigration“ stammen aus dem identitären Milieu von Sellner & Co. Die FPÖ erweitert damit ihren Einsaugbereich um den kampf- und hassbereiten Teil der „sozialen Medien“. Wer glaubt, dass Impfen tötet, Asylverfahren die Bevölkerung austauschen und ein Putin-Sieg Energiekosten senkt, soll für den freiheitlichen Marsch auf Wien abholt werden.
Das ist der Weg, der FPÖ und ÖVP unterscheidet. Am Ziel finden beide einander wieder. Das Ziel heißt „Regierung des Rechtsblocks“. Mit seinem „Österreichplan“ hat Nehammer früh den Entwurf für dessen Regierungsprogramm präsentiert.
Wenn sich Nehammer und Kickl nach dem Wahltag plötzlich in den Armen liegen, werden sie erklären, dass sie das nur für Österreich tun. Fleischmann, Grasl und ein paar andere werden sich wahrscheinlich zerkugeln, und „profil“ wird erklären, warum es überraschenderweise so kommen musste.
Kommentar ergänzt um 10.45 Uhr.