Samstag, Juli 27, 2024

Was kosten Flüchtlinge?

Lügen mit Zahlen: Wie uns eingeredet wird, dass Geflüchtete Milliarden kosten und uns auf der Tasche liegen. Ein Faktencheck.

Wenn dir sonst nichts einfällt, dann kannst du im xenophob versifften Österreich natürlich immer die „Migrations“-Karte ausspielen. Die ÖVP setzt, da sie sonst wenig für sich ins Treffen führen kann, dauernd auf dümmliche Schlagzeilen. Gerne propagiert man schrullige Ideen, von denen jeder weiß, dass sie völlig irrelevant sind. Zuletzt etwa die „Bezahlkarte für Asylbewerber“, die nichts als Kosten verursachen würde, bloß, damit Menschen im Asylverfahren ihre 40 Euro Taschengeld monatlich nicht auf ein echtes Konto überwiesen bekommen. Dass das irgendjemanden von der Migration nach Österreich abhalten würde, glauben nicht einmal die Trommler dieser Schnapsidee.

Vorteil für die Familie

Die einzige Folge einer solchen Maßnahme wäre, dass irgendein ÖVP-Freunderl, das den Auftrag zum Aufbau des Bezahlkarten-Systems erhält, sich wieder eine goldene Nase verdient. Das ist, neben dem dauernden Köcheln des Migrationsthemas, auch der eigentliche Zweck der Idee: den Haberern Millionen an Steuergeld zuschanzen zu können.

Asyl und Integration

Und die Ultrarechtspartei FPÖ lebt sowieso von nichts anderem als der ressentimentbeladenen Bewirtschaftung des Migrationsthemas.

Das heißt natürlich alles nicht, dass es mit Migration keine Probleme gibt. Natürlich gibt es die. Die Integrationskapazität einer Gesellschaft kann durch die schiere Anzahl von Menschen überfordert werden, so dass am Ende jeder leidet – die aufnehmende Gesellschaft, und die Menschen, die zuwandern und deren Hoffnungen auf ein besseres Leben zerschellen. Auch ein liberaler, demokratischer Rechtsstaat wird ordentliche Verfahren für Einwanderung, Flucht, Migration, Asyl hochhalten wollen. Wenn aber aufgrund der Umstände praktisch jeder, der es nach Europa schafft, auch bleiben kann (völlig unabhängig vom Ausgang seines Asylverfahrens), dann ist das Asylverfahren irgendwie für die Katz‘ – auch wenn es für diesen Umstand keine ganz einfache Lösung gibt. Und natürlich gibt es einen gewissen Anteil an absoluter Elendsmigration, etwa von Straßenjungs aus dem Maghreb, mit den Folgeproblemen wie Drogenkriminalität, Gewalt, sexueller Gewalt. Jeder weiß das. Jetzt kann man sich die Frage stellen, wieviel an den Problemen eine restriktive Integrationspolitik erst schafft (wenn man etwa Jugendliche monatelang in überfüllte Zentren pfercht und sie keine Betreuung, keine Ausbildung und keinen Job bekommen). Aber natürlich gibt es genügend Probleme, die man gar nicht leugnen braucht.

Lügen mit Zahlen

Es wird jedoch auch sehr viel mit Fake-News gearbeitet und neuerdings auch mit sehr fragwürdigen „Studien“, die auf den ersten Blick nicht nach Fake-News aussehen, aber in Wirklichkeit nichts als Desinformation betreiben. Deshalb hier einmal ein paar Fakten und Zusammenhänge:

Rund sechzig Prozent der Flüchtlinge aus Syrien, Afghanistan und vergleichbaren Ländern, die nach 2015 hierherkamen, haben mittlerweile einen sozialversicherungspflichtigen Job. In einem Langfristvergleich beträgt die Beschäftigungsquote von Männern mit Fluchthintergrund 72 Prozent, von Frauen 60 Prozent. Die Arbeitsmarktintegration von Frauen ist deutlich niedriger, und hat oft wenig mit Qualifikation zu tun, eher mit einem konservativen Rollenverständnis. Man kann übrigens sogar annehmen, dass die Arbeitsmarktintegration demnächst schwieriger wird, da etwa die Flüchtlinge, die 2015 aus Syrien hierherkamen, eine bessere Schulbildung hatten als die, die heute kommen. Einfacher Grund: Das Bildungssystem im Assad-Regime war nicht so schlecht. Wer aber schon in Flüchtlingslagern aufgewachsen ist, der hat kaum eine Schulbildung.

Was die Statistiken klar zeigen: Nach einigen Jahren haben knapp zwei Drittel der Leute den Einstieg in den Arbeitsmarkt geschafft.

Oft liest man: „Ein Drittel der Flüchtlinge arbeitet auch nach Jahren nicht.“ – Das kann man aber auch umdrehen: „Zwei Drittel schaffen den Einstieg, trotz widriger Bedingungen.“

Eigentlich toll, diese Syrer. Ich hätte meine Zweifel, ob das irgendwelche Hafeneckers oder Waldhäusels schaffen würden, wenn man sie nach China verpflanzt.

Neuerdings kursieren auch viele Zahlen verschiedener „Studien“ von konservativen Wirtschaftsforschungsinstituten, dass Flüchtlinge „über zehn Jahre“ den Staat beispielsweise 21 Milliarden Euro kosten.

Bezieht man aber ein, dass dieselben Flüchtlinge nach einiger Zeit nach und nach ins Erwerbsleben integriert werden und ins System einzahlen, sinkt der Betrag auf 8 Milliarden. Wenn man das aber weglässt und nur die Kosten ausweist, dann wirkt das natürlich astronomisch.

Kann man machen. Ist aber eine völlig sinnlose Statistik.

Wenn man so rechnet, kostet praktisch jedes Unternehmen den Staat Geld: Es bekommt Subventionen, im Notfall Zuschüsse in einer Krise usw. Wenn man nur diese Kosten, aber nicht den Nutzen für die Gesellschaft rechnet, dann ist das ja eine völlig verrückte Kalkulation.

Auch sind die „zehn Jahre“ gänzlich willkürlich gewählt. Würde man eine Bilanz über zwanzig Jahre einer Flüchtlingskohorte machen, würden die Zahlen ganz anders aussehen.

Aussagekräftig ist nur ein längerer Zeitraum

Wie absurd solche Rechnungen sind, kann man an einem unverfänglicheren Beispiel sehen. Genauso gut könnte man nämlich formulieren, dass „die Geburt von Kindern“ die Volkswirtschaft extrem teuer kommt, da sie in den ersten 18 Jahren meist nur Kosten verursachen. Würde man also eine Rechnung nur über diese 18 Jahre anstellen, dann würde man sich wundern, warum unsere Staaten nicht längst alle bankrott sind. Aber wir alle wissen natürlich: Nach diesen Jahren, in denen Kinder Kosten verursachen, tragen sie eben zur Wertschöpfung bei.

Geflüchtete sind insofern sogar „billiger“, als ein Teil der Kinderbetreuungs- und Bildungskosten meist im Ausland anfällt. Wer mit 14 Jahren hierherkommt, eine Ausbildung nachholt, schnell integriert wird und eine Facharbeiterausbildung schafft, ist so gesehen buchhalterisch der größte vorstellbare Gewinn. Andererseits sind Geflüchtete auch „teurer“, weil ihre Erwerbsbeteiligung auch dann, wenn sie irgendwann eine Rate von rund 70 Prozent erreicht, unter der der autochtonen Bevölkerung bleibt. Aber das ist schwer zu quantifizieren.

Noch schwerer zu quantifizieren ist, was es eigentlich bedeuten würde, wenn wir diese Zuwanderung nicht hätten. Aber auch wenn es schwer ist, das exakt zu berechnen, ist sonnenklar: Die Wertschöpfung unserer Volkswirtschaft, die Funktionstüchtigkeit unseres gesamten Gesellschaftssystems wäre arg in Mitleidenschaft gezogen.

Wir hätten eine Schrumpfung des BIP, tausende Firmen müssten schließen, weil sie keine Arbeitskräfte mehr fänden. Auch die, die dann noch da sind, könnten sich nichts mehr leisten, weil die Einkommen sinken würden – und damit wieder die Nachfrage, was dann endgültig einen Wirtschaftskollaps verursachen würde. Es wäre nicht bloß eine Krise, es wäre ein Desaster.

Wiens Stadtrat Peter Hacker, Arbeitsminister Martin Kocher und das AMS haben vergangene Woche die Einführung eines „Jugendcolleges“ präsentiert, das 5000 Geflüchteten zwischen 18 und 25 Jahren eine Schule, Ausbildung und einen strukturierten Alltag bereitstellen wird. Das sind die wirklich wichtigen politischen Maßnahmen, mit denen Probleme nicht nur gelöst, sondern in einen Gewinn für uns alle verwandelt werden.

Aber darüber redet niemand. Stattdessen führen wir Diskussionen über Schnapsideen wie „Bezahlkarten“.

Desinformation durch Milchmädchenrechnung

Auch eine andere Desinformation durch Milchmädchenrechnungen wird gerne gemacht, nämlich: Dass es gar nicht stimme, dass Zuwanderer mehr ins Sozialsystem einbezahlen, als sie daraus erhalten. Denn: Da gerade viele Geflüchtete in schlecht qualifizierten Jobs arbeiten – sei es, weil sie nicht gut ausgebildet sind, sei es, weil sie aufgrund von Nachteilen schlechtere Aufstiegschancen haben, sei es, weil die Sprachhürde sie in schlechten Jobs gefangen hält –, würden sie wenig beitragen. Vordergründig ist die Rechnung ja plausibel: Wer wenig verdient, zahlt wenig oder gar keine Einkommenssteuer, und vergleichsweise wenig Sozialbeiträge. Aber das ist natürlich auch nur eine sehr fragwürdige Rechnung, da unser kapitalistisches System eine auf Kooperation angelegte Gemeinschaftsleistung ist, bei der alle Beteiligten zum Wohlstand beitragen. Die gutverdienende (und viel an Steuern und Abgaben bezahlende) Architektin, die Baumeisterin, der Polier, die Installateurin, sie alle können ja ihre Arbeit nur machen, wenn Maurer die Wände hochziehen, wenn LKW-Fahrer die Materialien herankarren.

Wer gut verdient, verdient gut, weil andere, die nicht gut verdienen, mit ihm kooperieren.

Es ist generell eine Unart, die sich einschleicht – und nicht bloß in Hinblick auf Geflüchtete oder Migranten: so zu tun, als würden Menschen in Berufen mit niedrigem Einkommensniveau keinen Beitrag zur Wohlfahrt, Wohlstand und Wirtschaftswachstum leisten.

Aber das ist absurd: Ein wohlhabender Politikberater, der den ganzen Tag nichts anderes tut, als sich dümmliche Parolen auszudenken (und aufgrund seines Einkommens 2500.- Euro monatlich Steuern und Sozialbeiträge bezahlt), ist wahrscheinlich sogar unproduktiver für unsere Wirtschaft als ein Hilfsarbeiter am Bau, der Häuser baut, aber aufgrund seines Einkommens kaum Steuern und Sozialabgaben bezahlt.

FPÖ – „Fiasko & Pleite für Österreich“

Ist der Politikberater auch noch ein Rechtspopulist oder Rechtsextremist, verursacht er sogar hohe ökonomische Kosten. Studien ergaben, dass Länder, die von Rechtspopulisten regiert werden, nach einer Dekade ein um 10 Prozent niedrigeres BIP haben als vergleichbare Länder, die nicht von Rechtspopulisten regiert werden. Sie schrecken Investitionen ab, und regieren auch einfach schlecht. Die Kosten von Korruption steigen an und die Länder sind für ausländische Fachkräfte unattraktiv. In ihren Herbstgutachten haben die deutschen Wirtschaftsforschungsinstitute das „gesellschaftliche Klima“ und den Aufstieg der Extremisten erstmals als Konjunkturrisiko charakterisiert. „AfD“ heißt also: „Abschwung für Deutschland.“

FPÖ könnte man dagegen eher als „Fiasko und Pleite für Österreich“ übersetzen.

Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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