Montag, Oktober 7, 2024

FPÖ: Alles nur Panik?

Warnungen vor einer Bedrohung der Demokratie seien übertrieben, heißt es gelegentlich. Kickl und Co. streben doch keine Diktatur an. Stimmt das?

Hitler, Mussolini, Franco und ihre Geistesfreunde anderswo – Dollfuss, Horthy, Pilsudski und wie sie alle hießen – verband eines: Sie lehnten die Demokratie und die Republik ab. Sie sagten offen, dass sie ein autoritäres System vorziehen, mit Führer, Duce oder Generalissimo, ohne Parlament, oder höchstens mit einer rein kosmetischen Clacquerenversammlung, manchmal auch mit König. Demokratie und Republik waren ohnehin bei weitem nicht in allen Bevölkerungsteilen populär, und so gab es gar keinen Anlass für diese Rechtsextremisten früherer Tage, sich an die Rhetorik von „Demokratie“ und „Pluralismus“ anzubiedern, wie das die Kickls oder Höckes tun. Man konnte damals noch ohne alle Scham für eine Diktatur sein. So von der Art: „Demokratie und Parlamentarismus, die zerreden alles. Das ist etwas für lächerliche Quasselstrippen, nichts für Tatmenschen.“

Gewiss, es kursierten auch in früheren Zeiten in den rechts-autoritären Intellektuellenzirkel eigene Auffassungen von „Demokratie“, die dann in durchaus populäre Ansichten über das „gesunde Volksempfinden“ eingingen. Etwa, dass die Mehrheit herrschen sollte, und sich nicht von Eliten, von liberalistischen Ideen, modernen Flausen beschränken lassen sollte, und auch nicht von Verfassungsbestimmungen, die Minderheitenschutz, Menschenrechte oder abweichende Meinungen absichern. Dass also echte Demokratie ist, wenn freche Minderheiten oder irgendwelche linken Träumer endlich die Klappe halten.

Aber als Demokraten hätten sie sich nicht bezeichnet. Und die allermeisten versuchten sich nicht einmal irgendwie als „Demokraten“ zu kostümieren. Für sie war eher „Ordnung“ die zentrale Parole.

Heute ist das natürlich signifikant anders. Rechtsextremisten wie Herbert Kickl und seine Paladine sehen sich selbst als Demokraten, genauso wie die meisten Wortführer der deutschen AfD. Wenn man sie als Demokratiefeinde bezeichnet und vor ihnen warnt, nennen sie das sogar undemokratisch. Schließlich seien sie ja auch Demokraten, halt nur solche mit Meinungen, die den Kritikern nicht passen.

Man sollte das nicht einfach abtun als belanglose Fake-News, wie die sonstigen Lügen aus dieser Ecke. Wenn man die Demokratiegefährdung durch die Rechtsextremisten belegen will, muss man sich schon ein paar genauere Gedanken machen.

Ist also diese Warnerei vor der FPÖ-Gefahr bloßer überzogener Alarmismus?

Reiner Alarmismus?

Auch Viktor Orban spricht ja bekanntlich von der „illiberalen Demokratie“, die erstens den Kern konservativer, nationaler Werte verteidigt, und dies aggressiv gegen alle Gegner tut, die zweitens den rechtlichen Spielraum für Pluralismus und Heterogenität eng zieht und die damit drittens auf die Unterdrückung der Artikulationsmöglichkeiten aller Minderheiten und überhaupt all ihrer Gegenspieler im Namen einer Herrschaft der Mehrheit – der Volksherrschaft – hinausläuft.

Hier kann man dann schon sehr plausibel nachvollziehen, dass eine „illiberale Demokratie“ am Ende keine Demokratie ist.

Sagen wir es klar und deutlich: Eine „illiberale Demokratie“ gibt es nicht. Entweder ist eine Demokratie liberal oder sie ist keine Demokratie. Eine Demokratie ist nicht nur Herrschaft der Mehrheit plus unbeschränkte Macht einer Regierung zur Exekution dieser „Herrschaft der Mehrheit“, zur Demokratie gehören vielmehr elementar ein paar Dinge dazu: Meinungsfreiheit auch für Minderheitspositionen, ein Rechtsstaat, der die Macht der Regierung selbst begrenzt, und Minderheitenschutz, der Pluralismus, Vielfalt und Heterogenität gegen die „Ausscheidung und Vernichtung des Heterogenen“ absichert (wie sie der bis heute bewunderte rechte Großjurist Carl Schmitt empfahl). Demokratie ist nicht Unterdrückung und Mundtotmachung der Minderheit durch die Mehrheit, sondern der Schutz von Nonkonformismus.

Eine „illiberale Demokratie“ ist also schon vom Begriff her ein gefährlicher Unsinn.

Eine „illiberale Demokratie“ kann es nicht geben

Freilich: Orban herrscht jetzt seit über einem Jahrzehnt, und hat in dieser Zeit den Geist der neuen Rechten zur Kenntlichkeit gebracht. Wenn dagegen die Rechtsextremisten, wie bei uns etwa, in Opposition sind, dann singen sie noch ganz süßliche Schalmeienklänge, behaupten, dass sie doch nur die Stimme des einfachen, gesunden Volksempfinden repräsentieren, und keineswegs andere Stimmen unterdrücken wollen. Die Mehrheit sollte halt einfach das Sagen haben, statt der Diktaturen der Minderheiten, die heute vorherrschen. Verfassung und demokratische Verfahren wolle man doch gar nicht in Frage stellen. Und wenn doch, dann im Rahmen des Normalen – wenn ein paar Verfassungsgesetze nicht mehr passen, müsse man sie eben ändern. Politiker müssen sich an Gesetze halten, aber Parlamentsabgeordnete können Gesetze auch verändern. Was solle da denn dabei sein, was daran falsch sein? Und wenn man unliebsame Stimmen zum Schweigen bringt und irgendwelche progressiven Künstler vor die Tür setzt – wie das Georgia Meloni mit ihrer brutalen Kulturkampf-Politik macht –, dann sei das doch einfach nur der gleiche Stil, den zuvor die anderen angewendet hatten. Früher konnte kein Faschist Karriere im Museum machen, heute kann halt kein Nicht-Faschist Karriere in der Oper machen. Mal so, mal anders.

Weiters, so die Selbstrechtfertigungen: Wenn die Regierung eine parlamentarische Mehrheit habe, dann solle man sie auch durchregieren lassen – irgendwelche Höchstrichter sollen sich nicht einbilden, sie könnten Politik machen, sei es, indem sie Bürgerrechte gegen Mehrheitsbeschlüsse verteidigen oder gar neue progressive Rechtsansprüche per Gerichtsbeschlüsse durchsetzen. Und Menschenrechte? Na, die muss man eben begrenzter fassen, zumindest für Ausländer. Und wenn das der Verfassung und dem EU-Recht widerspricht, müsse man eben erstere ändern und zweiteres einfach ignorieren.

Wahrscheinlich glauben die Anhänger und Funktionäre der rechtsextremen Parteien sogar bis zu einem gewissen Grad selbst an die Geschichte, dass sie die eigentlichen Demokraten sind, die bisher unterdrückten Meinungen zum Durchbruch verhelfen. Mehr noch: Auch Bürger, die nicht einmal unbedingt Sympathisanten der Rechtsextremen sind, sehen sie nicht unbedingt als „Feinde der Demokratie“, sondern als eine Partei im Rahmen der Demokratie. Wenn sie mal regieren, sei das eben auch Demokratie.

Pluralismus, Vielfalt und die Selbstbeschränkung der Macht

Aber das ist eben ein Trugschluss. Denn, wie gesagt: Eine Demokratie ist entweder eine liberale Demokratie oder sie ist keine Demokratie. Eine „illiberale Demokratie“, die Heterogenität ausmerzt, Minderheiten mundtot macht, Kritikern die Artikulationsmöglichkeit nimmt, ist keine Demokratie, sogar dann, wenn diese Maßnahmen die Zustimmung der Mehrheit finden. Demokratie achtet nicht nur Pluralismus und Vielfalt und die zunehmenden Modernitäten einer Gesellschaft, sie bindet auch die Regierenden. Auch der „demokratische Rechtsstaat“ ist nicht primär dafür da, Ordnung mit „harter Hand“ durchzusetzen, sondern der Kern demokratischer Rechtsstaatlichkeit ist die Bindung der Regierung an das Gesetz und die Beschränkung ihrer Macht.

Und gegen all das sind die Rechtsextremisten. All das achten sie nicht, wenn sie in Regierungen sind.

Wie Demokratien sterben

Dann läuft es so ab, und zwar ziemlich immer: Erste Attacken auf die Maximen des demokratischen, liberalen Rechtsstaates werden geritten, und dann geraten Gesellschaften auf schiefe Ebenen. Nicht jeder Angriff ist geplant, oft sind es einfach Reaktionen. Wenn die Opposition bedrohlich wird und vielleicht drauf und dran ist, Oberwasser zu bekommen, schränkt man ihre Artikulation ein. Damit das spielend funktioniert, wird die Medienfreiheit und -vielfalt beschnitten und loyale Parteimedien und die Oligarchenpresse werden alimentiert. Gegebenenfalls hetzt man Kritikern die Steuerbehörde an den Hals, die jeden Zettel umdreht, Verfahren einleitet und selbst wenn sie nichts findet den Betrieb kritischer Medien lahmlegt. Geschäftsmodelle lassen sich auch mit kleinen Gesetzesänderungen zerstören. Das ist dann der Moment, in dem man reiche Oligarchenfreunderln vorschickt, die betreffenden Medien zu übernehmen. Wenn die Verfassungsrichter nerven, beschließt man einfach ihre Zwangspensionierung und ersetzt sie durch loyale Speichellecker. Andersdenkende werden zu Feinden erklärt, und es ist nicht mehr die Opposition, die die Regierung attackiert, sondern umgekehrt, die Regierung, die die Opposition attackiert. Es ist ein dynamischer Prozess, in dem ein Akt auf den nächsten folgt. Aber auch ein schleichender Prozess, ohne den großen Moment eines Putsches oder Verfassungsumsturzes.

Aus diesen und vielen anderen Gründen ist der Rechtsextremismus eben nicht ein demokratisches Angebot innerhalb einer demokratischen Ordnung – er ist antidemokratisch und demokratiegefährdend.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Robert Misik

    Robert Misik ist einer der schärfsten Beobachter einer Politik, die nach links schimpft und nach rechts abrutscht.

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