Samstag, Dezember 7, 2024

Nach dem Kurz-Urteil: „Tatü-tata“ im Geilomobil

Sebastian Kurz – nicht rechtskräftig – verurteilt: Das ist eine dreifache Erfolgsgeschichte.

Acht Jahre vor ihrem Absturz im Gericht gelang ihnen der Aufstieg, der Kurz und seine Jünger bis in den ersten Stock des Bundeskanzleramtes führte. Sie haben schnell begriffen, dass sich lügen lohnt.

Wahrscheinlich wundern sie sich am Anfang, wie leicht es geht: ein paar Regierungsinserate, und die gewünschten Lügen stehen fett gedruckt neben den aparten Fotos der Schwindler. Die Propagandamaschine wird mit Millionen aus dem Finanzministerium geschmiert. Wenn der Stoff für Lügen knapp wird, fälscht man eine Umfrage, lässt man einen Silberstein glänzen oder einen „Hacker“ auftauchen.

Vom Boulevard bis zu den großen Bundesländerzeitungen spielen alle mit. Regierungsgeld und Kommentare sprudeln. Aus der Geilomobil-Witzfigur wird zuerst ein Hoffnungsträger, dann ein Kanzler, dem man zu Füßen liegt. In einem Video bekennt der „profil“-Herausgeber, dass er mit ihm gerne „tauschen“ würde, aber er sagt nicht was: Inserate, Amt oder Abende bei Martin Ho.

Mit den Inseratenbudgets wachsen die Geschichten. René Benko und Sigi Wolf stehen für neue „Wirtschaftskompetenz“ und kümmern sich um Finanzämter, russische Kurz-Impfstoffe beenden die Pandemie, eine erfundene „Albanien-Route“ wartet auf ihre Schließung und Kurz präsentiert sich als aufstrebender Bub aus dem Bauerndorf „Meidling“ im Waldviertel.

Grenzen überschritten

Alles geht, weil alle mitmachen. Dann kommt das Parlament mit seinem Untersuchungsausschuss. Dort hören Abgeordnete dem Kanzler am 24. Juni 2020 aufmerksam zu. Eine von ihnen kommt zum Schluss, dass der Kanzler unter Wahrheitspflicht die Unwahrheit gesagt hat. Als Juristin kennt Stephanie Krisper den § 288 des Strafgesetzbuches ebenso gut wie ihre Pflicht, als Abgeordnete die Strafjustiz über den Verdacht einer falschen Zeugenaussage im U-Ausschuss zu informieren. Am 29. März 2021 schickt sie die folgenreiche Anzeige gegen Kurz und seinen Kabinettschef Bernhard Bonelli an die WKStA.

Im Nachhinein ist es gut nachvollziehbar, wie es einem Schwindelkanzler geht, der unangenehme Fragen beantworten soll. Bisher ist er mit Unwahrheiten gut gefahren. Vom Parlament hält er nicht viel. Also macht er es so wie immer.

Erst als die WKStA aufgrund der Anzeige der Abgeordneten Ermittlungen gegen Kurz aufnimmt, merkt er, dass diesmal etwas anders läuft. Er hat im Parlament eine Grenze überschritten. Die Folgen der Unwahrheiten geraten außer Kontrolle.

Guter Rat

Kurz sucht Rat – und findet einen versierten Berater. Christian Pilnacek ist als Sektionschef die graue Eminenz der Strafjustiz. Er hat schon viele Weichen so gestellt, dass am Ende nichts herauskam. Aber das Kurz-Verfahren kann niemand mehr „daschlogn“. Jetzt rät Pilnacek dem Ex-Kanzler, sich unverzüglich in „Aussagenotstand“ zu begeben. Innsbrucker Gerichte haben mit einer neuen Rechtsprechung begonnen, ein großes U-Ausschuss-Loch im § 288 zu öffnen. Wer befürchtet, dass er verfolgt werden könnte, hat neuerdings eine Lizenz zum Lügen.

Am Abend vor seinem Tod telefoniert Pilnacek ein letztes Mal mit Kurz. Zuvor wunderte sich der Strafrechtsexperte, warum Kurz seinen guten Rat beharrlich ignorierte.

Auch der Richter zeigt den drei Angeklagten den Ausweg. Bettina Glatz-Kremsner nimmt den Rat an – und ist draußen. Aber Kurz ist die Rettung durch die Hintertür zu wenig. Er will einen glatten Freispruch als Startsignal zur politischen Auferstehung. Ein paar Jobs für Benko, ein paar Babygeschichten für die Presse – das ist ihm zu wenig. Kurz will wieder ins Amt, dafür bleibt er gemeinsam mit seinem ehemaligen Kabinettschef Bernhard Bonelli auf der Anklagebank sitzen.

Dreifach verrechnet

Michael Radaszticz hatte als Einzelrichter kaum eine andere Wahl. Er wog Punkt für Punkt ab und verurteilte Kurz in dem Punkt, der am schwersten wog.

Kurz hat sich dreifach verrechnet: beim Parlament, bei der WKStA und am Ende beim Gericht. Abgeordnete und Staatsanwälte haben ohne Rücksicht auf Partei und Amt untersucht. Der Richter hat sich durch dubios agierende Anwälte und ihre Russen ebenso wenig beeindrucken lassen wie durch Vorfreisprüche und Vorverurteilungen in Medien. Er hat Recht gesprochen, wie es das Gesetz vorsieht.

Die Lehre daraus ist einfach: Weil Medien und Meinungen in Österreich weiterhin gekauft werden können, wird weiter bezahlt und geschrieben: dass Kickl nicht aufzuhalten ist; dass Nehammer eine Chance hat; und dass sich nur die SPÖ selbst zerstört. Demnächst werden wir lesen, wie der tiefe Kurz-Fall die Chancen seiner Partei erhöht.

Beschuldigte Nummer 68

Doch das ändert an einem nichts: Solange parlamentarische Kontrolle trotz Sobotka und ÖVP genauso unbeeindruckt funktioniert wie WKStA und Strafgerichte, nützt das alles nichts. Die langsamen Mühlen mahlen am verlässlichsten.

Im Herbst könnte nach dem kleinen, gerade absolvierten der große Prozess beginnen. In den vorbereitenden Ermittlungen der WKStA ist Sebastian Kurz Beschuldigter Nummer 11. Die Liste der Delikte, die ihm vorgeworfen wird, ist länger als im ersten Verfahren: Bestechlichkeit, Amtsmissbrauch, Untreue und Bestimmungstäterschaft dazu.

Quelle: WKStA 17 St 5/19d, ON 001

Nummer 68 ist nach dem Verbandsverantwortlichkeitsgesetz „Die Österreichische Volkspartei – Bundespartei“. Die Delikte heißt „Bestechlichkeit“ und „Untreue“.

Damit wird es sehr interessant. Vielleicht macht dann das Geilomobil bei seinem letzten Einsatz „Tatü-tata“.

Familie

Der Ethikrat der ÖVP hat sich übrigens schon am 17. November 2022 für einen Parteiausschluss ausgesprochen. ÖVP-Chef und Bundeskanzler Karl Nehammer und sein Generalsekretär Christian Stocker empfahlen dem ÖAAB Wien, genau das zu tun. Einen Tag später war es so weit. Thomas Schmid wurde aus der ÖVP ausgeschlossen. Sebastian Kurz bleibt. So ist das in einer „Familienpartei“.

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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