Michael Radasztics ist als Richter ein hohes Risiko eingegangen: Er hat über einen der wichtigsten ÖVP-Politiker Recht gesprochen. Jetzt kommt aus dem ÖVP-Dunstkreis der zweite Rufmordversuch.
Das Werkzeug für den aktuellen Rufmordversuch ist ein Urteil gegen den damaligen Staatsanwalt in einem Grazer Disziplinarverfahren. Es hat nichts mit dem Verfahren gegen Kurz und viel mit mir zu tun. Deshalb werde ich die Geschichte persönlich erzählen. Aber zuerst eine Vorbemerkung.
Gleich am Beginn des Prozesses hat Kurz-Verteidiger Otto Dietrich eine mögliche Befangenheit des Richters angesprochen. Die Argumente, die Dietrich vor Monaten vorbrachte, finden sich in dem Disziplinarurteil gegen Radasztics. Hat Dietrich schon damals das bereits gefällte, aber noch nicht veröffentlichte Urteil gekannt? Wenn ja, wer hat ihm in diesem Fall das streng vertrauliche Dokument zukommen lassen? Das sind zumindest gute Fragen.
Vor Anklage gegen Eurofighter
Ich kenne Michael Radasztics als Staatsanwalt seit dem ersten Eurofighter-Verfahren. Seit 2011 lehnten sich Oberstaatsanwälte und Sektionschefs zurück, während der Wiener Staatsanwalt mutterseelenallein in einer der größten Korruptionsaffären Österreichs und Deutschlands ermittelte.
Doch im Dezember 2018 drohte Radasztics erfolgreich zu sein. Der „Eurofighter“-Konzern „Airbus Defence“ hatte in München 81,5 Millionen Euro Bußgeld bezahlt und damit die Einstellung des deutschen Verfahrens wegen Untreue im Fall „Eurofighter Österreich“ erkauft. Voraussetzung dafür waren wichtige Geständnisse.
Der Wiener Lobbyist Walter Schön sah eine Chance und bot der Münchner Staatsanwaltschaft über seinen Anwalt ein Bußgeld von 3,5 Millionen Euro und ein Geständnis an. Das Angebot wurde abgelehnt, weil die Lobbyisten von Radasztics in Wien wegen Geldwäsche verfolgt und angeklagt werden sollten.
Im Dezember 2018 bereitete Staatsanwalt Radasztics die ersten Anklagen vor. Dann ging es schnell.
Die Weisung
Am 12. Dezember 2018 wurde Staatsanwalt Radasztics durch die Oberstaatsanwaltschaft (OStA) Wien aufgetragen, heikle Teile aus dem Eurofighter-Ermittlungsakt zu entnehmen und dem Verteidigungsministerium zurückzustellen. Die Weisung wurde von Hans Fuchs als Leiter der OStA Wien erteilt. Fuchs befolgte damit eine gleichlautende Weisung, die kurz davor von Generalsekretär Christian Pilnacek aus dem Justizministerium bei ihm eingelangt war.
Am 20. Dezember 2018 hatte mich Radasztics als Zeuge zu einer Einvernahme geladen. An einem Tisch neben der Zimmertür saßen drei Kriminalbeamte, neben Radasztics Staatsanwältin Patricia Frank. Sie würde noch mehrere Schlüsselrollen spielen.
Dort erwähnte Radasztics die Weisung zur Rückstellung der Akten. Ich hatte davon bereits gehört, das Ganze war im Verteidigungsministerium kein Geheimnis mehr. Meine Sorge war eine andere: Die Akten waren mitsamt der beiden Weisungen gerade am Weg zum Eurofighter-Untersuchungsausschuss. Würden ÖVP-nahe Flugzeugfreunde im letzten Moment verhindern, dass wir die Akten sehen konnten?
Einige davon waren extrem wichtig. Sie zeigten, dass Ersatzteile wie Muttern und Schrauben der Republik Österreich zu Phantasiepreisen verkauft worden waren. Wir brauchten sie als Beweise für einen Eurofighter-Betrug – aber sie sollten mit dem Argument „militärische Geheimnisse“ aus dem Akt verschwinden.
Trotzdem habe ich mit Radasztics auch an diesem Tag nicht über den Akteninhalt gesprochen, aus zwei Gründen: erstens, weil wir beide wussten, dass jede – illegale – Aktenweitergabe das Ende des Staatsanwalts und des Verfahrens bedeuten konnte; und zweitens, weil Akt und Weisung über den U-Ausschuss bereits auf dem Weg zu mir waren.
Generalsekretär statt Staatsanwalt
Die schriftliche Anfrage an den Justizminister brachte ich einen Tag später aus einem einzigen Grund ein: um die Aktenlieferung an den U-Ausschuss vor den ÖVP-Spezis in der Justiz zu schützen. Dazu informierte ich um die Mittagszeit ZiB 1-Redakteur Jörg Hofer. Einige Stunden später wurde das Amtsgeheimnis erstmals gebrochen.
Um 15.02 beantwortete Justiz-Generalsekretär Christian Pilnacek die Fragen des ZiB-Redakteurs – und schickte mit seinem Mail die Weisung in vollem Wortlaut. Unten am Pilnacek-Mail stand in einer kleinen Zeile: „(See attached file: Referat zu VZ -9-18.docx)(See attached file: Beschluss OLG Wien.pdf))“. Den OLG-Beschluss kannte bis dahin außerhalb des Hauses niemand. Aber das erste Dokument war ein interner Erlass des Justizministeriums, in dem Namen von bisher unbekannten Beschuldigten standen. Pilnacek hatte Geheimnisse verraten.
Strafverfahren gegen den Falschen
Kurz darauf wurde ein Strafverfahren wegen des Verdachts der Verletzung des Amtsgeheimnisses eingeleitet – aber nicht gegen den Generalsekretär, sondern gegen den Eurofighter-Staatsanwalt. Eines wurde damit sofort erreicht: Der Akt „Eurofighter“ wurde Radasztics entzogen.
Meine parlamentarische Anfrage lag jetzt im Justizministerium. Ihre letzte Frage lautete: „In den letzten Monaten hat Ihr Generalsekretär nichts unversucht gelassen, um die Arbeit der parlamentarischen Untersuchungsausschüsse zu behindern. Warum behindert er jetzt auch die Arbeit der Strafjustiz?“
Der Generalsekretär kümmerte sich selbst um die Beantwortung und schrieb dem zuständigen Beamten am 22. Dezember 2018: „Die letzte Frage ist scharf zurückzuweisen.“ Und: „Ich kann das von Graz aus genehmigen!“
Am 11. Jänner 2019 taucht das nächste Problem auf. Die umstrittene Weisung war hinter dem Rücken von Justizminister Josef Moser erteilt worden. Das Kabinett des HBM – „Herrn Bundesministers“ – forderte jetzt Aufklärung: „Weshalb wurde vor Abfertigung der Weisung weder das Kabinett des HBM noch HBM persönlich informiert?“
Beweise gegen Generalsekretär
Das Verfahren gegen Radasztics war an die verlässliche Staatsanwaltschaft Eisenstadt abgetreten worden. Dort vernahm mich eine Staatsanwältin am 26. Februar 2019 als Zeuge. Ich kann mich an ihre Mischung aus Überraschung und Ratlosigkeit erinnern, als ich ihr mit dem Mail des Generalsekretärs an den ZiB-Redakteur die Beweise, dass nicht der Staatsanwalt, sondern der Generalsekretär das Delikt begangen hatte, vorlegte.
Plötzlich war der Falsche in Bedrängnis. Da sprang sein OStA-Chef ein. Zwei Monate nach dem Vorfall verfasste OStA Fuchs ein entlastendes „Gedankenprotokoll“ zu einem vermeintlichen Telefonat mit dem ORF-Redakteur am 21.12.2018 „kurz vor Mittag“. Darin – also vor dem Pilnacek-Mail an den Redakteur – habe ihm Hofer bereits den gesamten Inhalt der Weisung bekanntgegeben. Doch dieses Gespräch hat es laut Hofer nie gegeben: „Den Leiter der OStA, Herrn Johann FUCHS konnte ich nicht erreichen, ein Sprecher teilte mir mit, dass über interne Angelegenheiten keine Auskunft gegeben werde, ich möge mich an das Justizministerium wenden.“
Das falsche „Gedankenprotokoll“ ist offensichtlich im Nachhinein verfasst worden, um den Anfangsverdacht gegen den Generalsekretär zu entkräften.
Radasztics-Handy
Gleichzeitig ging die Aktion „Radasztics“ ungehindert weiter. Am 25. Februar 2019 genehmigte das Landesgericht Eisenstadt die Anordnung der Staatsanwaltschaft Eisenstadt zur Rufdatenerfassung des Handys von Radasztics. Die Verfolger des Eurofighter-Staatsanwalts wollten besonders viel wissen und ließen sich die Handy-Auswertung vom 1. Dezember 2018 bis zum 5. März 2019 genehmigen. Die Absicht war klar: Die Staatsanwälte des Generalsekretärs wollten herausfinden, ob es noch weitere Kontakte zwischen Radasztics und mir gegeben hatte.
Ich habe später ein Protokoll der Handy-Auswertung bekommen. Auf Meter genau wurde darin vermessen, wie nahe und Radasztics und ich einander an manchen Tagen örtlich gekommen waren. Ein einziges Ergebnis bringt neue Einsichten: Während meiner Befragung beträgt die Distanz zwischen Radasztics und mir elf Meter – deutlich mehr als die Größe des Zimmers, in dem die Befragung stattfindet. Ich hoffe, man glaubt uns, dass wir bei der Einvernahme im selben Zimmer waren.
Bis zum 5. März 2019 ließ uns die Staatsanwaltschaft noch bespitzeln. Am 29. Jänner 2020 hob das Oberlandesgericht Wien die gesamte Handy-Erfassung als „gesetzwidrig und unzulässig“ auf.
Daschlogn
Staatsanwältin Frank, die Radasztics entscheidend belastet hatte, war inzwischen zur Oberstaatsanwältin und in die WKStA befördert worden. Eine Aktennotioz hält fest: „1. Februar 2019: OStA Mag. Frank teilt Behörderleiterin Mag. Vrabl-Sanda, Gruppenleiter Mag. Adamovic und OStA Dr. Ruprecht mit, dass LOStA Mag. Fuchs anlässlich der Übergabe des Ernennungsdekrets mitgeteilt habe, die Eurofighter-Verfahren wären unter äußerst möglicher Anwendung einer auf § 210 StPO gestützten Begründung, wonach mit Blick auf die Verfahrensdauer keine qualifizierte Verurteilungswahrscheinlichkeit vorliege, im nächsten halben Jahr einzustellen“.
Ab jetzt war es klar: Nicht nur der Staatsanwalt, sondern das ganze „Eurofighter“ -Verfahren sollte „daschlogn“ werden. Fast zehn Jahre hatte man den Staatsanwalt im Stich gelassen. Jetzt sollte Schluss sein, mit Radasztics und Eurofighter.
Am 1. April 2019 kam es zur berühmten „Dienstbesprechung“. Die siegessicheren Herren in Justizministerium und OStA hatten nicht damit gerechnet, dass Staatsanwälte der WKStA das Treffen mit Tonband protokollieren würden. Dann war es passiert:
„Ich mache ein Auge zu und wir stellen irgendwelche Dinge ein.“ – „Setzt´s euch zsamm und daschlogt´s es“.
OStA-Chef Fuchs hatte noch eine Idee: „Man solle StA Mag. Radasztics laden und die Art und Weise, wie er dann kooperiere, werde dann in den dienstaufsichtsbehördlichen Verfahren natürlich eine Rolle spielen.“
Radasztics gewinnt
Aber es kam anders. Radasztics gewann in der Folge alle Strafverfahren. Heute finden sich nur noch seine damaligen Gegner im Fokus der Strafjustiz. So hat er den ersten Rufmordversuch überstanden.
Jetzt läuft der zweite. Natürlich wissen alle, dass das Verfahren gegen Kurz nichts mit Eurofighter und auch nichts mit mir zu tun hat. Trotzdem wird Radasztics dafür noch einmal an den Pranger gestellt. Herausgeber wie Wolfgang Fellner und ÖVP-Abgeordnete wie Martin Engelberg unterstellen ihm dabei tatsachenwidrig schwerwiegende Delikte. Selten fallen Rufmordversuche so plump aus wie im Fall des Kurz-Richters.
Stärker als die ÖVP
Heute wissen wir: Alle Versuche, „Eurofighter“ zu „daschlogn“, sind gescheitert. Putin-Freund und Eurofighter-Mastermind Sigi Wolf kann gemeinsam mit anderen mit der ersten Anklage rechnen. Vieles spricht dafür, dass es danach zum großen Eurofighter-Prozess gegen die Lobbyisten und ihre Hintermänner kommt. Ich erinnere mich noch gut an das telefonische Gespräch, das ich mit dem Lobbyisten Walter Schön im Beisein eines bekannten Wiener Anwalts führte. Schön jammerte, dass er dem Münchner Staatsanwalt 3,5 Millionen und ein Geständnis geboten habe. Aber die in Wien, so Schön, gäben ja keine Ruhe.
Das gilt nach wie vor, von „Eurofighter“ bis „Kurz“. Auch wenn es zwischendurch anders aussieht, war der Rechtsstaat in Österreich bis jetzt stärker als die ÖVP. An einem ändert das nichts: In der ÖVP duldet man auch weiterhin beides nicht – einen Staatsanwalt, der den Kriminalfall „Eurofighter“ aufklärt und einen Richter, der Sebastian Kurz verurteilt.
p.s.: (16.05 Uhr) Auf Nachfragen warum ich unerwähnt lasse, dass ich Radasztics nie privat getroffen habe und mit ihm bis heute per “Sie” bin – ganz einfach: weil ich das nicht für relevant halte.
Titelbild: ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com, EXPA / APA / picturedesk.com, Montage ZackZack