Samstag, Juli 27, 2024

Randnotizen: Fiktionen ohne Fakten

Die Berichterstattung der Tageszeitung „Der Standard“ über den Todesfall Christian Pilnacek.

Die Medienministerin, die zurzeit an ihrem Projekt einer Leitkultur für Österreich arbeitet, ist auch dafür verantwortlich, dass eine Zeitung wie die Wiener Zeitung, die tatsächlich über Kultur aber auch über Politik intentsiv und mit hoher Qualität berichtet hat, eingestellt werden und stattdessen Fake-News-Blogs und rechtsextreme Onlinemedien von Milliardären staatlich gefördert werden.

Dass es für die Demokratie lebensnotwendig ist, der totalitären Medienpolitik von ÖVP und Grünen etwas entgegenzusetzen, bewies in den letzten Tagen ZackZack. In eindrucksvoller Weise hat Peter Pilz Missstände, Verfehlungen und Fragwürdigkeiten der behördlichen Untersuchung des Todes von Christian Pilnacek aufgezeigt. So ungeheuerlich sind die Dinge, die da unter den Tisch gekehrt werden sollten, dass sich nun Medien damit beschäftigten, die davor hauptsächlich geschwiegen haben, oder die von Sebastian Kurz und der Kronen Zeitung in die Welt gesetzte bloße Behauptung vom Selbstmord Pilnaceks, weiterverbreitet haben.

Es gibt einen Obduktionsbericht, den anscheinend niemand kennt. Laut Kronen Zeitung schließt dieser Fremdverschulden aus. Alle Medien zitierten die Kronen Zeitung, ohne diesen Bericht vorliegen zu haben. Im Krone-Zwilling heute heißt es in der Schlagzeile, dass Fremdverschulden ausgeschlossen sei, im Artikel wird aber behauptet, dass Fremdverschulden nie gänzlich ausgeschlossen werden könne. Später wurde der Artitkel geändert auf: kann demnach aber nicht restlos geklärt werden. Pilnaceks Ehefrau sagte angeblich, ihm sei das Leben genommen worden.

Wir wissen also nichts und die Journalisten, die darüber schreiben, wissen anscheinend ebenso nichts, sondern zitieren andere Medien. Beweise oder Indizien für Suizid liegen bisher nicht vor. Es ist eine Fiktion ohne Fakten. Sebastian Kurz sagte aber schon drei Tage vor dem Zitieren der Krone aus dem angeblichen Obduktionsbericht: Ich habe gestern Abend noch mit ihm telefoniert und wenige Stunden später hat er sich das Leben genommen. Worum es in dem Telefonat ging, wurde Kurz nie gefragt.

Die hektische Suche der Polizei nach Handy, Laptop, Schlüsseln und einem angeblichen USB-Stick muss ebenso erstaunen, wie der Umstand, dass die Landespolizeidirektion Niederösterreich sich weigert, dazu Fragen zu beantworten. Ich möchte mich aber nicht mit dem Todesfall Pilnacek beschäftigen, sondern damit, wie die Tageszeitung Der Standard seit 20. Oktober 2023 – dem Tag der Todesmeldung – darüber berichtet hat. Ich habe für diese Analyse Interviews ausgeklammert und mich auf Berichterstattungen und Kommentare beschränkt, die ich in vier Kategorien geteilt habe:

  1. Artikel in denen Pilnacek nur am Rande erwähnt wird
  2. Artikel über Pilnacek, die deutlich ÖVP-kritisch sind.
  3. Artikel über Pilnacek, die weder ÖVP-kritisch sind, noch ÖVP-Spins verbreiten
  4. Artikel über Pilnacek, die Spins verbreiten

Von insgesamt 67 Artikeln von 20. Oktober 2023 bis 28. März 2024 war bei 15 Artikeln (ca. 22 %) Pilnacek nur am Rande erwähnt, 11 Artikel (ca. 16 %) waren deutlich ÖVP-kritisch, 28 Artikel (ca. 42 %) waren neutral (worunter allerdings auch ein Anteil von APA-Meldungen ist, die als solche gekennzeichnet sind) und 13 Artikel (ca. 20 %) verbreiteten ÖVP-Spins.

Unter letzteren war Hans Rauschers Kommentar Im Fall Pilnacek werden Legenden gestrickt vom 30. Oktober 2023, der mit dem Satz beginnt.

Der frühere Sektionschef im Justizministerium, Christian Pilnacek, ist vor kurzem gestorben, wohl durch eigene Hand.

So kritisch und treffend einige Bemerkungen Rauschers auch sein mögen; wieder einmal verbreitete die ÖVP über Ex-Kanzler Kurz und die Kronen Zeitung schon in einer Phase, in der es gar keine Erkenntnisse gab, ihre Ermittlungsergebnisse und ihr Urteil. Es ist das wiederholte, demokratiefeindliche und die Gewaltenteilung negierende Vorgehen der ÖVP. Qualitätsmedien sollten solche Behauptungen ignorieren oder nur mit ausreichender Erläuterung als Zitate publizieren. Es ist nicht Message Control – es sind Fake-News. Fiktionen statt Fakten.

Ich sage das deshalb, weil ein jüngster Standard-Artikel von drei Enthüllungsjournalisten, die ich sehr schätze, sich der Sache nun ebenfalls angenommen hat: Oliver Das Gupta, Michael Nikbakhsh und Fabian Schmid haben in einem Bericht mit dem Titel Pilnaceks Tod sorgte für Hektik bei der ÖVP und viele offene Fragen am 28. März 2024 die Sachlage gut und ausführlich zusammengefasst. Doch auch hier finde ich eine Formulierung, die mir wie eine Exkulpation für das letztliche Auf-Sich-Beruhen-Lassen der Sache erscheint. Dort heißt es:

Als der langjährige Justizsektionschef Christian Pilnacek am Morgen des 20. Oktober 2023 tot aufgefunden wird, ist rasch klar: Dieser Fall wird viele Verschwörungstheorien und Spekulationen auslösen.

Nun, Verschwörungstheorien und Spekulationen hat ja zuallerst Kurz und die Kronen Zeitung und schließlich die Polizei befördert, indem sie an der Aufklärung uninteressiert scheint und keine Informationen an die Bevölkerung weitergibt. Das Gegenteil davon würde Spekulationen zerstreuen. Zum zweiten müssten die Autoren das auch ihrem Kollegen Hans Rauscher ausrichten, der sich ebenfalls auf Selbstmord-Spekulationen einließ und das schon zehn Tage nach dem Tod Pilnaceks. Danach wurde über die Sache nicht mehr viel berichtet, ehe Pilz viele Details ans Licht gebracht hat.

Und ein zweites Mal wird die Verschwörungstheorie in diesem Artikel beschworen, wenn da steht:

Die Amtsärztin soll den Todeszeitpunkt zunächst auf sechs Uhr früh festgelegt haben, berichten Involvierte. Pilnacek wäre also bis frühmorgens unterwegs gewesen. Das bietet Stoff für Verschwörungstheorien, in Rossatz kursieren dazu auch einige. Offiziell soll es später heißen, Pilnacek sei ertrunken.

Ich finde die Bezeichnung Verschwörungstheorie nicht passend, falls sie die Überlegung meint, Pilnacek könnte ermordet oder im Zuge eines eskalierten Streits umgekommen sein. Es ist eine Theorie, genauso wie der Selbstmord bisher eine Theorie ist. Es läge an den zuständigen Behörden, aufzuklären. Das haben sie bisher verabsäumt. Dass nach Monaten durch ZackZack Details publik werden, die der Öffentlichkeit bewusst verschwiegen wurden, macht die Sache nicht besser. Die Verschwörungstheorie ist ein ÖVP-Spin.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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