Samstag, Juli 27, 2024

Randnotizen: Das Jörg-Haider-Spiel

Die Ministerin für Medien, Integration und – last and least – Frauen Susanne Raab will über Kultur reden, über eine österreichische Leitkultur. Dafür gibt es auch in der konservativen Presse kein Verständnis und viel Häme. Der Populismus dieser billigen Show ist allzu durchschaubar.

Eine Frauenministerin, die sagt, dass der Feminismus Frauen schade, und die zu ihren Diskussion über eine österreichische Leitkultur eine fanatische Abtreibungsgegnerin einlädt, kann wohl als Fehlbesetzung bezeichnet werden. Eine Medienministerin, die dafür verantwortlich ist, dass die Wiener Zeitung, die mit hoher Qualität über Kultur berichtete, eingestellt wird und stattdessen Fake-News-Blogs und rechtsextreme Onlinemedien staatlich gefördert, ebenfalls. Und eine Integrationsministerin, die Islamophobie und Generalverdacht gegen Muslime zu einer »Leitkultur« machen will, ist nicht minder peinlich. Susanne Raab ist all das in einer Person.

In Die Presse schreibt Anneliese Rohrer über die sogenannte Leitkulturdebatte:

Die ÖVP-Werber haben sich da mit offenbar ignoranter Zustimmung der Parteiführung in etwas verrannt, was mit dem Kulturverständnis, wie es Österreich gern in der Welt verbreitet, rein gar nichts zu tun hat. Es ist vielmehr Ausdruck einer erschreckenden Infantilisierung des Politischen.

In seinem Bericht im Ö1-Mittagsjournal vom 28.03.2024 bringt Niklas Lercher einige O-Töne von einer Konferenz der Ministerin. Und schnell entschlüsselt er, wobei es in dieser sogenannten Diskussion eigentlich geht:

Und damit ist Raab bei jenen angekommen, auf die die Debatte über Leitkultur und Identität eigentlich abzielt: Menschen, die nach Österreich zugewandert sind. Kulturelle Praktiken, die in anderen Ländern erlaubt sind, seien in Österreich verboten. Die österreichische Identität sei aber mehr als Gesetze. Für Raab gehe es um einen Grundkonsens im Zusammenleben, der aber immer wieder verletzt werde. Mit dem starken Fokus auf Zuwanderung ist die Integrationsministerin ganz auf Parteilinie. Was die ÖVP unter einer österreichischen Identität versteht, ist seit Wochen in den sozialen Medien zu erfahren. In Posting lässt die Volkspartei zum Beispiel wissen: Wer glaubt, einer Frau nicht die Hand zu geben, weil sie unrein ist, muss gehen. Ob damit auch die Österreicher gemeint sind, bleibt offen.

Es ist das Spiel, das Jörg-Haider zwei jahrzehntelang gespielt hat: Hier wird so getan, als ob ein großes Thema behandelt würde, nur um den Menschen dann augenzwinkernd klarzumachen: »Wir meinen eh nur die Ausländer!« Und es ist ein weiterer Rechtsruck in der ohnehin längst rechtspopulistischen Volkspartei. Doris Helmberger bringt es in der FURCHE auf den Punkt:

Wer auch immer in der Partei auf die Idee verfiel, nach Normalität und Bargeld nun mit Leitkultur um Stimmen zu buhlen, sollte jedenfalls dringend seinen Kompass justieren: Diesen Begriff zuerst den rechtsextremen Identitären zuzuordnen und nun damit den eigenen Platz »in der Mitte« zu belegen – das geht sich ideologisch einfach nicht aus.

Die Infantilität und die Verlogenheit hinter der Debatte hat auch der Schriftsteller Michael Köhlmeier in einem Gespräch mit den Vorarlberger Nachrichten angesprochen:

Leitkultur ist ein dummer Begriff. Kein Mensch will in seiner kulturellen Vorstellung geleitet werden. Diejenigen, die am lautesten nach der Moral schreien, sind die, die sie am heftigsten brechen. Das ist ein Leitgedanke in meinem Leben.

Und dazu, dass gerade die ÖVP anderen Moral predigen will, sagt Köhlmeier:

Wenn laut der ÖVP in unserem christlichen Abendland die Zehn Gebote gelten und gehen muss, wer Gesetze nicht achtet, dann müsste ein Großteil der Führungsriege der ÖVP gehen.

Hybris und Chuzpe – das sind die Worte, die mir zu der ganzen Sache einfallen. Hier stellt sich eine Partei über alle Österreicherinnen und Österreicher. In den Worten des Unternehmensberaters Johannes Köpl, der darüber am 29. März einen Kommentar der anderen in der Tageszeitung Der Standard veröffentlichte, klingt das so:

Dieses Vorhaben der ÖVP ist also eine unfassbare Anmaßung, brandgefährlich und übergriffig. Österreich ist nicht die Volkspartei, und die Volkspartei hat daher nicht zu definieren, was ganz Österreich als soziales System im Kern ausmacht.


Titelbild: ROBERT JAEGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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