Donnerstag, Oktober 3, 2024

Flixbus-Unfälle: Zwischen Zeitdruck und Profit

Der schwere Busunfall von Flixbus nahe Leipzig Ende März hält Deutschland immer noch in Atem. Das Unglück forderte vier Todesopfer. Es war nicht das erste seiner Art. Alleine im Jahr 2023 starben auf Flixbusfahrten neun Personen. ZackZack hat das Unternehmen genauer unter die Lupe genommen.

Mit einer Stunde Verspätung trifft der Flixbus im Busbahnhof Wien Erdberg ein. Der schweißgebadete Fahrer öffnet die Türen, lässt die Fahrgäste mit Reiseziel Wien aussteigen und diejenigen, die nach Prag wollen, einsteigen. Das Gepäck wird hastig im Laderaum verstaut. Die Reise geht sofort weiter.

Auf der Autobahn fährt der Bus zunächst fast nur auf der linken Fahrspur und überholt die etwas langsameren LKWs. Für Fern- und Reisebusse sind 100 km/h eigentlich die Maximalgeschwindigkeit, doch der Flixbus von Wien nach Prag ist konstant schneller unterwegs. Erst nach einer Stunde drosselt der grüne Bus das Tempo ein wenig und reiht sich öfter in die rechte Fahrspur ein.

Die Verspätung in Prag beträgt in etwa 30 Minuten. Der Fahrer hat also Zeit aufgeholt. Auf die Frage, warum er anfangs so schnell gefahren ist und ob er mit Konsequenzen rechnen muss, wenn er den Fahrplan nicht einhält, antwortet der Fahrer, der weder richtig Englisch noch Deutsch kann, nicht. Auch jetzt hat er es sehr eilig.

Stress und Übermüdung

Auffallend an den Unfällen: Fast alle passieren in den Morgenstunden, am Abend oder in der Nacht. Im Fall einer 19-jährigen Oberösterreicherin, die bei einem Unfall in Kärnten im September 2023 ums Leben kam, wurde der Busfahrer von der StA Klagenfurt wegen grob fahrlässiger Tötung angeklagt. Grund: Er war stark übermüdet und verlor wegen Sekundenschlaf die Kontrolle über das Fahrzeug.  

Bei dem Unfall nahe Leipzig beobachteten die Fahrgäste laut Medienberichten eine „aggressive Fahrweise“ des Lenkers. Auch ein Streit zwischen den beiden Fahrern wird kolportiert.

Doch warum haben es Busfahrer so eilig oder sind kaum ausgeruht? Werden sie bei Nichteinhaltung des Fahrplans sanktioniert? Das wollten wir von den Partnerunternehmen und von Flixbus selbst wissen.

Geheimhaltung, Belohnung und Bestrafung

Die meisten Flixbus-Partner wollten uns über die Zusammenarbeit mit Flixbus allerdings nichts verraten. Kein Wunder, unterliegen die Verträge zwischen Flixbus und den ausführenden Busunternehmen doch der Geheimhaltung. Ein Bruch dieser Geheimhaltungsklausel soll mit 25.000 Euro Strafe geahndet werden. Nur ein Flixbus-Partner aus Bayern stellte gegenüber ZackZack klar: „Finanzielle Folgen haben Verspätungen für uns als Partner nicht.“ Das stimmt laut dem deutschen Nachrichtenmagazin „stern“ jedoch nur indirekt. Denn Flixbus setzt seine Partnerunternehmen mittels Belohnungs- und Bestrafungssystem unter Druck. Je nach Bewertungen der Fahrgäste kann das Busunternehmen mit Bonuszahlungen oder Strafen vonseiten Flixbus rechnen. Abgefragt werden etwa die Pünktlichkeit des Busses und die Freundlichkeit des Fahrers.  

Auf der rund vierstündigen Fahrt von Wien nach Prag fand kein Fahrerwechsel statt. Derselbe Fahrer, der den Bus nach Wien gelenkt hatte, legte keine Pause ein. Eigentlich ist eine solche nach 4,5 Stunden verpflichtend.

Quelle: Arbeits- Lenk- und Ruhezeiten, AK Tirol

Ob der Druck, die Pünktlichkeit einzuhalten, von den Busunternehmen an die Fahrer weitergegeben wird, wollte uns kein Flixbus-Partner bestätigen. Die ganze Branche hüllt sich in Schweigen.

Flixbus selbst schickte ZackZack eine Standardantwort, die auch schon andere Medien im gleichen Wortlaut bekommen hatten. Darin heißt es etwa, dass Lenk- und Ruhezeiten regelmäßig überprüft würden und Sicherheit für Fahrer und Passagiere oberste Priorität habe. Außerdem gelte für Flixbus „selbstverständlich immer, dass sicheres Ankommen wichtiger ist als schnelles.“ Für die Partnerunternehmen von Flixbus dürfte das nicht immer gelten.

Flixbus beherrscht den Markt – ohne eigene Busse

Die Flix SE mit Sitz in München beherrscht den Markt der Fernreisebusse in weiten Teilen Europas nahezu monopolistisch. Staatliche und private Konkurrenzunternehmen wurden nach der in Kraft getretenen Marktliberalisierung für Fernbusse im Jänner 2013 mithilfe amerikanischer Investments schnell gekauft. Heute kontrolliert die Flix SE über 90 Prozent des Marktes in Deutschland. Damit wird es für kleine Busunternehmen immer schwieriger, sich mit eigenen Angeboten gegen Flixbus durchzusetzen.

Flixbus besitzt selbst kaum Busse, sondern arbeitet mit Partnern zusammen. Diese erhalten laut einem 2018 durchgeführten „stern“-Interview 74 Prozent des Umsatzes, Flixbus die restlichen 26 Prozent. Die Fahrer werden nicht von Flixbus bezahlt.

Das Gründertrio der Flix SE hält mit Stand 2018 selbst nur 23,8 Prozent am Unternehmen. Haupteigentümer ist das amerikanische Investmentunternehmen General Atlantic mit rund 36 Prozent. Weitere 27 Prozent befinden sich im Besitz anderer Investmentunternehmen wie Holtzbrinck Ventures und Silverlake.

Quelle: Statista

Für die Investoren läuft es gut. Bereits im Jahr 2017 war das Unternehmen profitabel. Seither hat Flixbus seine Vormachtstellung noch ausbauen können und tritt auch in den USA als großer Player auf. Zum Leidwesen der kleinen Busunternehmen und Fahrer. Müde und gestresst scheinen sie den Bedingungen von Flixbus zunehmend ausgeliefert zu sein.


Interview im “stern”

Titelbild: FRANCOIS LO PRESTI / AFP / picturedesk.com

Das Titelbild zeigt einen Unfall 2019 in Frankreich.

Haben Sie Erfahrungen mit Flixbus gemacht, die Sie uns gerne mitteilen würden? Wir freuen uns über Ihre Nachricht an redaktion@zackzack.at

Autor

  • Daniel Pilz

    Redakteur bei ZackZack. Studierte Philosophie an der Uni Wien und schreckt auch vor komplexen Themen nicht zurück.

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