Montag, April 29, 2024

Flixbus-Unfälle: Zwischen Zeitdruck und Profit

Der schwere Busunfall von Flixbus nahe Leipzig Ende März hält Deutschland immer noch in Atem. Das Unglück forderte vier Todesopfer. Es war nicht das erste seiner Art. Alleine im Jahr 2023 starben auf Flixbusfahrten neun Personen. ZackZack hat das Unternehmen genauer unter die Lupe genommen.

Mit einer Stunde Verspätung trifft der Flixbus im Busbahnhof Wien Erdberg ein. Der schweißgebadete Fahrer öffnet die Türen, lässt die Fahrgäste mit Reiseziel Wien aussteigen und diejenigen, die nach Prag wollen, einsteigen. Das Gepäck wird hastig im Laderaum verstaut. Die Reise geht sofort weiter.

Auf der Autobahn fährt der Bus zunächst fast nur auf der linken Fahrspur und überholt die etwas langsameren LKWs. Für Fern- und Reisebusse sind 100 km/h eigentlich die Maximalgeschwindigkeit, doch der Flixbus von Wien nach Prag ist konstant schneller unterwegs. Erst nach einer Stunde drosselt der grüne Bus das Tempo ein wenig und reiht sich öfter in die rechte Fahrspur ein.

Die Verspätung in Prag beträgt in etwa 30 Minuten. Der Fahrer hat also Zeit aufgeholt. Auf die Frage, warum er anfangs so schnell gefahren ist und ob er mit Konsequenzen rechnen muss, wenn er den Fahrplan nicht einhält, antwortet der Fahrer, der weder richtig Englisch noch Deutsch kann, nicht. Auch jetzt hat er es sehr eilig.

Stress und Übermüdung

Auffallend an den Unfällen: Fast alle passieren in den Morgenstunden, am Abend oder in der Nacht. Im Fall einer 19-jährigen Oberösterreicherin, die bei einem Unfall in Kärnten im September 2023 ums Leben kam, wurde der Busfahrer von der StA Klagenfurt wegen grob fahrlässiger Tötung angeklagt. Grund: Er war stark übermüdet und verlor wegen Sekundenschlaf die Kontrolle über das Fahrzeug.  

Bei dem Unfall nahe Leipzig beobachteten die Fahrgäste laut Medienberichten eine „aggressive Fahrweise“ des Lenkers. Auch ein Streit zwischen den beiden Fahrern wird kolportiert.

Doch warum haben es Busfahrer so eilig oder sind kaum ausgeruht? Werden sie bei Nichteinhaltung des Fahrplans sanktioniert? Das wollten wir von den Partnerunternehmen und von Flixbus selbst wissen.

Geheimhaltung, Belohnung und Bestrafung

Die meisten Flixbus-Partner wollten uns über die Zusammenarbeit mit Flixbus allerdings nichts verraten. Kein Wunder, unterliegen die Verträge zwischen Flixbus und den ausführenden Busunternehmen doch der Geheimhaltung. Ein Bruch dieser Geheimhaltungsklausel soll mit 25.000 Euro Strafe geahndet werden. Nur ein Flixbus-Partner aus Bayern stellte gegenüber ZackZack klar: „Finanzielle Folgen haben Verspätungen für uns als Partner nicht.“ Das stimmt laut dem deutschen Nachrichtenmagazin „stern“ jedoch nur indirekt. Denn Flixbus setzt seine Partnerunternehmen mittels Belohnungs- und Bestrafungssystem unter Druck. Je nach Bewertungen der Fahrgäste kann das Busunternehmen mit Bonuszahlungen oder Strafen vonseiten Flixbus rechnen. Abgefragt werden etwa die Pünktlichkeit des Busses und die Freundlichkeit des Fahrers.  

Auf der rund vierstündigen Fahrt von Wien nach Prag fand kein Fahrerwechsel statt. Derselbe Fahrer, der den Bus nach Wien gelenkt hatte, legte keine Pause ein. Eigentlich ist eine solche nach 4,5 Stunden verpflichtend.

Quelle: Arbeits- Lenk- und Ruhezeiten, AK Tirol

Ob der Druck, die Pünktlichkeit einzuhalten, von den Busunternehmen an die Fahrer weitergegeben wird, wollte uns kein Flixbus-Partner bestätigen. Die ganze Branche hüllt sich in Schweigen.

Flixbus selbst schickte ZackZack eine Standardantwort, die auch schon andere Medien im gleichen Wortlaut bekommen hatten. Darin heißt es etwa, dass Lenk- und Ruhezeiten regelmäßig überprüft würden und Sicherheit für Fahrer und Passagiere oberste Priorität habe. Außerdem gelte für Flixbus „selbstverständlich immer, dass sicheres Ankommen wichtiger ist als schnelles.“ Für die Partnerunternehmen von Flixbus dürfte das nicht immer gelten.

Flixbus beherrscht den Markt – ohne eigene Busse

Die Flix SE mit Sitz in München beherrscht den Markt der Fernreisebusse in weiten Teilen Europas nahezu monopolistisch. Staatliche und private Konkurrenzunternehmen wurden nach der in Kraft getretenen Marktliberalisierung für Fernbusse im Jänner 2013 mithilfe amerikanischer Investments schnell gekauft. Heute kontrolliert die Flix SE über 90 Prozent des Marktes in Deutschland. Damit wird es für kleine Busunternehmen immer schwieriger, sich mit eigenen Angeboten gegen Flixbus durchzusetzen.

Flixbus besitzt selbst kaum Busse, sondern arbeitet mit Partnern zusammen. Diese erhalten laut einem 2018 durchgeführten „stern“-Interview 74 Prozent des Umsatzes, Flixbus die restlichen 26 Prozent. Die Fahrer werden nicht von Flixbus bezahlt.

Das Gründertrio der Flix SE hält mit Stand 2018 selbst nur 23,8 Prozent am Unternehmen. Haupteigentümer ist das amerikanische Investmentunternehmen General Atlantic mit rund 36 Prozent. Weitere 27 Prozent befinden sich im Besitz anderer Investmentunternehmen wie Holtzbrinck Ventures und Silverlake.

Quelle: Statista

Für die Investoren läuft es gut. Bereits im Jahr 2017 war das Unternehmen profitabel. Seither hat Flixbus seine Vormachtstellung noch ausbauen können und tritt auch in den USA als großer Player auf. Zum Leidwesen der kleinen Busunternehmen und Fahrer. Müde und gestresst scheinen sie den Bedingungen von Flixbus zunehmend ausgeliefert zu sein.


Interview im “stern”

Titelbild: FRANCOIS LO PRESTI / AFP / picturedesk.com

Das Titelbild zeigt einen Unfall 2019 in Frankreich.

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Daniel Pilz
Daniel Pilz
Taucht gerne in komplexere Themengebiete ein und ist trotz Philosophiestudiums nicht im Elfenbeinturm stecken geblieben.
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6 Kommentare

  1. Antwort an Dealer. Mir geht es so ähnlich.
    Was wir hier sehen ist das Ergebnis der Neo-Liberalen Konstruktion der EU.
    Aber die Eisenbahn ist auch nicht so sicher. Denken sie an das große Zugsunglück in der privatisierten Griechischen Eisenbahn vor einem Jahr. Mit 150kmh in einen entgegenkommenden Güterzug. Auch dort der Verantwortliche für die Strecke völlig überlastet.

    Aussen tolles Geplapper von Demokratie, Transparenz und Freiheit hat die EU führung nichts zu bieten. Cashen für die großen US-Finanz-Haie. Das ist die Maxime.
    Drinnen ist eine Menscherverachtung die keine Maße mehr kennt. Richtig, lieber Dealer: Bei der Covid-19 Impfstoffbeschaffung und EU erzwungenen Maßnahmen (EU-Zertifikate) wurde es sehr vielen klar. Die Spitze fühlt keine Verantwortung!
    Ein scharfer Konsumentenschutz, Arbeitsinspektorat, etc. in der EU, gespeist aus einem tausendstel der Börsengewinne, könnte dem rasch Abhilfe schaffen. Aber es kapieren erst einige Wähler, wenn sie dafür wählen müssten. Ob in Österreich oder der EU. Keinesfalls die Spassparteien, auch nicht den Herrn Schieder…

  2. Über Jahrzehnte hinweg bin ich mit der Mindestqualitätsnorm ISO 9000 aufgewachsen und war diese Erfüllung meist unser täglich wichtigstes Brot.
    Nach der Einführung des Produkthaftpflichtgesetztes war das um wirtschaftlich überhaupt nachhaltig überleben zu können, zwingend, alleine wegen der Beweislastumkehr und auch dem Aussteigen der sonst hier nach Schäden auffangen müssenden Produkthaftpflichtversicherung.

    Irgendwann die letzten Jahre aber muss sich das aber geändert haben und es ist mir noch immer nicht nachvollziehbar warum und wann und obwohl ich hier das schon öfter auch im Zuge von Corona dazu eingepostet hatte, interessiert das auch absolut Niemanden bei ZZ? (Dafür aber nun solch genau für dieses Thema prädiszinierte Beiträge in diesem Forum, welche genau nach der Antwort zu diesen Fragen ganz laut schreit…)

    Ich bin wahrlich sehr gespannt, wenn irgendwann einmal diese offensichtlich schwer faschistoide Gegenwart aufgearbeitet werden muss und was dann nur allein zu diesem Aspekt dazu dann herauskommen wird?

  3. Ein Bus, in den ich nie einsteigen werde. Offensichtlich wird aber auch viel zu wenig kontrolliert. Warum werden die Busse nicht sporadisch von Streifen der Autobahnpolizei herausgenommen und die Fahrer sowie die Lenk.- und Ruhezeiten überprüft? Das müsste eigentlich nach der erklecklichen Anzahl von Unfällen wohl selbstverständlich sein. Leid tun mir die Fahrer, die alles kompensieren sollen, damit die Gierschlunde den Hals voll bekommen.

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