Samstag, Juli 27, 2024

Die Zerstörung des BVT: Desinformation und Geheimnisverrat

Nach Kickls Sturm auf das BVT sind wesentliche Teile der Affäre „BVT“ im Interesse der ÖVP vertuscht worden. ZackZack berichtet über die Affäre, in der der Fall „Ott“ ein wichtiges Kapitel ist. Teil 1 der Serie „Die Zerstörung des BVT“.

Im Herbst 2018 stand die ÖVP im Innenministerium vor einem großen Problem. Am 28. Februar 2018 waren Drogenpolizisten unter Führung eines verlässlichen FPÖ-Polizeioffiziers im Auftrag der WKStA im BVT eingedrungen. Bald war klar, dass mit Herbert Kickl der Innenminister selbst hinter der Aktion steckte.

Kurz nach der spektakulären Hausdurchsuchung beim österreichischen Geheimdienst setzte von CIA und britischem MI5 bis zum deutschen Bundesamt für Verfassungsschutz BfV eine Kettenreaktion ein.

Drei Monate später war das Vertrauen der westlichen Geheimdienste in das BVT zerstört. Das BVT konnte als österreichischer Dienst nicht mehr an den Arbeitsgruppen des „Berner Clubs“, dem von den Nachrichtendiensten der EU bis zu CIA, FBI und Mossad die Elite der westlichen Spionage und Gegenspionage angehörte, teilnehmen. Österreich stand vor der Tür. Das BVT war erstmals strategisch blind und taub.

Desinformation

Hinter den Kulissen wurde ein Deal vereinbart: Herbert Kickl konnte mit Duldung der ÖVP als schwer angeschlagener BVT-Stürmer Innenminister bleiben. Dafür wurde eine Geschichte erzählt, die auf die geheimen Interessen der ÖVP-Innenminister Sobotka und Nehammer große Rücksicht nahm.

Am 6. November 2018 schickte das Innenministerium mit Michaela Kardeis die politisch verlässliche Generaldirektorin für Öffentliche Sicherheit vor. In einer Presseaussendung ließ sie über „APA“ mitteilen: „BMI zum Thema Berner Club: Kardeis: „Freiwilliger Rückzug aus Arbeitsgruppen des Berner Clubs beendet – Vorbehalte betrafen nicht „BVT-Affäre“, sondern Einzelfall aus dem Jahr 2017“.

Kardeis beteuerte: „Österreich war zu keinem Zeitpunkt vom Informationsaustausch mit den Partnerdiensten innerhalb des Berner Clubs abgeschnitten“. Ebenso wenig, erklärte Kardeis, sei ein Ausschluss aus dem Berner Club zur Debatte gestanden.

Jedoch, so Kardeis, habe sich das BVT aus freien Stücken vorübergehend aus den Arbeitsgruppen des Berner Clubs zurückgenommen. „Dadurch wurde Vertrauensvorbehalten bewusst entgegengewirkt“, die laut Kardeis nicht aus der medial breit berichteten „BVT-Affäre“ herrührten, sondern im Zusammenhang mit einem Spionage-Verdachtsfall aus dem Jahr 2017 gegen einen ehemaligen BVT-Mitarbeiter gestanden seien.

Im November 2018 stand damit fest, was die ÖVP bis heute behaupten würde: Es gäbe keinen türkis-blauen Fall „BVT“, sondern nur einen Fall „Ott“. Die Kardeis-Erklärung hatte einen einzigen Haken: Fast alles darin war falsch.

Zwei Wiener Staatsanwälte und die AG Fama des Bundeskriminalamts ermittelten getreu auf dieser Spur. Dabei schafften es die erfahrenen Beamten des BK, dichte Sachbeweise gegen Egisto Ott und mögliche Mittäter sicherzustellen. Die weitgehende Aufklärung des Falls „Ott“ ist das Verdienst des Bundeskriminalamts.

Die große BVT-Affäre geriet damit aus dem Blickfeld von Strafjustiz und Medien. Aber es lohnt sich, den nicht verfolgten Spuren noch einmal nachzugehen. Das tun wir mit unserer Serie „Die Zerstörung des BVT“.

„Klassifizierte Anhänge“

„Im Januar 2017 wurde das BVT von einem befreundeten Partnerdienst über einen angeblichen Informationsabfluss aus dem BVT informiert.“ So beginnt die „Darstellung des Sachverhalts“ im 1. Anlassbericht des Bundeskriminalamts an die Staatsanwaltschaft Wien.

Jahrelang konnte ein ehemaliger BVT-Mann unbefugt neue Abfragen im BVT tätigen. Ohne jede Kontrolle konnte ein Beamter, der längst für das BVT keine Berechtigungen mehr hatte, auf Daten und Dokumente des Verfassungsschutzes zugreifen. Als in Wien noch alle schliefen, war der „Partnerdienst“ in London im Fall „Ott“ bereits hellwach.

Der „befreundete Partnerdienst“, der in den nächsten Monaten intensiv auf die BVT-Leaks hinweisen wird, ist der britische MI5. Der „Partnerdienst“ hat ein erstes Mail als Beweis vorgelegt. Jetzt ist der Verdacht, dass ein illegaler Informationsabfluss aus dem BVT stattgefunden hat, konkret. Der Verdächtige ist Egisto Ott.

Am 23. November 2017 läuten Kriminalbeamte aus Wien an der Tür des Einfamilienhauses im oberkärntnerischen Paternion. Egisto Otts Ehefrau öffnet. Fünf Beamte durchsuchen zwei Stunden lang das Haus. In Otts Büro im ersten Stock stellen sie „diverse Datenträger“ sicher.

Gleichzeitig wurde beim dienstlichen e-mail-Account von Ott eine “Erstsichtung” vorgenommen. Dabei stellten die Beamten drei Mails mit acht Anhängen sicher.

Im „Amtsvermerk Sichtung sichergestellter Gegenstände“ finden sich die ersten Beweise gegen Ott: acht geheime BVT-Dokumente, „über die Ott weder verfügen noch versenden darf“.

Das geheime Manual

Zwei Dokumente des Zwischenberichts belasten nicht nur Ott. Sie stammen aus London und tragen denselben Vermerk: „MI5 NEPTUNE III – SECRET“. Sie werden in der Folge noch wichtig werden.

Ein drittes Dokument hätte von Anfang an von der Akteneinsicht ausgenommen werden müssen. Aber Staatsanwalt Bernd Schneider und seine Kriminalpolizisten nehmen bei ihren Ermittlungen auf die Sicherheitserfordernisse des österreichischen Geheimdienstes BVT wenig Rücksicht. So findet sich im Zwischenbericht des Bundeskriminalamts ab Seite 107 eines der geheimsten Dokumente des BVT: das „ComCenter-Manual“, die Bedienungsanleitung für die Kommunikation mit den Partnerdiensten im Ausland.

Bild: Titelblatt des „ComCenter-Manuals“ des BVT

Schon in der Einleitung wird klar, wie brisant das 28-seitige Dokument ist: Das vorliegende Dokument beschreibt ausschließlich die internationalen Kommunikationssysteme, die im Kommunikationszentrum des BVT eingerichtet sind. Über diese Systeme wird mit nach-stehenden internationalen Gremien sowie Behörden und Dienststellen kommuniziert“.

Die „Dienststellen“ reichen vom „Berner Blub“ (Club de Berne – CdB) und der „Counter Terrorism Group CGT“ über die „Police Working Group on Terrorism PWTG“ bis zu „Interpol“ und „Europol“.

Am wichtigsten und sensibelsten ist der „Berner Club“. Dort arbeiten die Inlandsgeheimdienste der EU in enger Abstimmung mit großen Überseediensten wie CIA und FBI zusammen. Bilateral sind der deutsche BND, der israelische Mossad und der ägyptische GIS eingebunden.

Codewort „Philosophy“

Auf Seite 7 des Manuals steht die „Codeworttabelle“. 15 Codewörter bestimmen den Inhalt von Nachrichten und den Kreis ihrer Empfänger. Einige der Codewörter markieren die sensibelsten Bereiche der Zusammenarbeit der Geheimdienste. Das heikelste davon findet sich bereits in einem Dokument des finnischen Geheimdienstes SUPO, das vom „Falter“ am 6. November 2018 veröffentlicht wurde und zu ersten schweren Verwerfungen im Berner Club führte: „PHILOSOPHY“ – das Codewort für Spionageangelegenheiten im Zusammenhang mit den Diensten von Russland, anderen GUS-Staaten, China und Iran“.

Quelle: Der Falter

Florian Klenk erklärte damals das SUPO-Dokument: Es entstammt einer Art geheimdienstlicher Chatgroup mit dem Codenamen ´Philosophy´.“ Doch der Berner Club war keine „Chatgroup“ mit dem Namen „Philosophy“, sondern ein streng abgeschirmtes Netz von Geheimdiensten, die auf kurzem Weg Warnungen und in Arbeitsgruppen strategische Informationen austauschten.

Seit das Bundeskriminalamt das „ComCenter-Manual“ in den Bericht aufgenommen und der Wiener Staatsanwalt Bernd Schneider auf die notwendige „Ausnahme von der Akteneinsicht“ vergessen hat, können zugriffsberechtigte Anwälte von dem geheimen Dokument Kopien anfertigen. Inzwischen liegen einige davon in Redaktionen von Zeitungen und Magazinen in Wien.

Von Sobotka zu Kickl

Das „ComCenter“-Desaster verantwortete als Innenminister Wolfgang Sobotka – und das auf doppelte Weise: Unter ihm war das BVT noch weiter zu einem Ort der Parteibuchwirtschaft und zu einem geheimdienstlichen Nachrichten-Bazar verkommen; und seine politisch verlässlichen Beamten der späteren SOKO Fama hatten unabsichtlich das „ComCenter“-Geheimnnis preisgegeben.

Aber das weit größere Desaster stand zur Zeit des 1. Zwischenberichts im November 2017 noch bevor. Wolfgang Sobotka war nach der Nationalratswahl nur noch kurz Innenminister, weil seine ÖVP in den Koalitionsverhandlungen Innenministerium und Verteidigungsministerium der FPÖ überlassen hatte und kein Problem damit hatte, dass alle drei Geheimdienste BVT, Heeresnachrichtenamt und Abwehramt der FPÖ, die durch einen Freundschaftsvertrag seit 2016 mit Putin und dessen Partei verbunden war, ausgeliefert waren.

Drei Wochen nach dem 1. Zwischenbericht wurde Herbert Kickl am 18. Dezember als Innenminister der ersten Regierung „Kurz“ angelobt. Zwei Monate später ließ er das BVT unter dem Kommando eines FPÖ-Polizeioffiziers stürmen. In der Folge der Hausdurchsuchung wurde das Vertrauen der Geheimdienste des „Berner Clubs“ in BVT und Innenministerium bis auf den letzten Rest zerstört.

Morgen in Teil 2: Das „Neptun“-Desaster.


Titelbild: HANS PUNZ / APA / picturedesk.com, EVA MANHART / APA / picturedesk.com, Titelblatt des „ComCenter-Manuals“ des BVT, HELMUT FOHRINGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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