Mit Attacken auf Politikerinnen und Politiker erlebt die Radikalisierung konservativer und rechter Politik ein neues Niveau. Die Reaktion: Die Gewalttaten werden verharmlost. Oft wird von einer »Radikalisierung rechts und links« gesprochen. Das ist ebenso unrichtig wie das Märchen vom »Einzeltäter«.
Man sollte meinen, es muss nicht mehr diskutiert werden, wenn derart geschieht: SPD-Wahlkämpfer Matthias Ecke wird krankenhausreif geschlagen. Franziska Giffey (SPD) wird von einem »Beutel mit hartem Inhalt« auf dem Kopf getroffen. In Dresden treten aus einer Gruppe, die den Hitlergruß erbietet, ein Mann und eine Frau und attackieren die Grünpolitiker Yvonne Mosler und Cornelius Sternkopf. Täterin und Täter bleiben auf freiem Fuß.
Man sollte meinen, es sei klar, woher solche Attacken kommen. Doch weit gefehlt. Die Reaktionen darauf sind symptomatische Verharmlosungen. Sie generalisieren die Gewalt, die von rechts kommt, anstatt sie genau zu benennen.
Die Behauptung, Gewalt nehme links und rechts zu, exkulpiert Rechtsextremismus. Und es ist geradezu himmelschreiend, welche Vergleiche hier gezogen werden. Die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung reiht in die Aufzählung der jüngsten Attacken gegen Politikerinnen und Politiker folgende Zeilen:
Doch auch für die Oppositionspartei AfD sind Attacken im Wahlkampf keine neue Erfahrung. Im September drangen vor der hessischen Landtagswahl Unbekannte in die Garage des Frankfurter Parteivorsitzenden Andreas Lobenstein ein, beschmierten sein Auto und zerstörten mehr als 100 Wahlplakate. Die Farbe habe sich entfernen lassen, aber der Versicherungsschaden sei auf 11.000 Euro geschätzt worden.
Ein Auto zu beschmieren ist wohl in Deutschland weit schlimmer, als jemand krankenhausreif zu schlagen oder den Hitlergruß zu zeigen. Die Süddeutsche bringt eine Meldung der dpa, in der Thüringens Verfassungsschutzpräsident Stephan Kramer zitiert wird:
„Es ist eben nicht nur von rechts, sondern eben auch von links, wenn wir uns anschauen, wie Linksextremisten gewalttätig gegen Akteure aus dem rechten Spektrum vorgehen“, sagte Kramer im ARD-„Bericht aus Berlin“ am Sonntag.
Bereits die ersten sieben Worte verharmlosen und relativieren rechte Gewalt. Diese Gleichsetzung ist ein Hohn. Der zweite Schritt ist dann, den Täter zum Einzeltäter zu erklären und das politische Milieu, aus dem er kommt, auszuklammern. Andreas Speit analysiert am 11. Mai 2024 in der taz die symptomatischen Reaktionen so:
Schnell werden die Täter – überwiegend männlich – zu Einzeltätern erklärt. Sie alle sind jedoch, wie der Attentäter aus Halle und in Hanau, in eine Hass-Community eingebettet, die zur Tat antreibt. Ein Vorbild dieser internationalen „White Supremacy“-Szene ist der Attentäter, der in Neuseeland 51 Menschen hinrichtete.
Und wie er richtig feststellt, alarmiert der gegenwärtige Gewaltanstieg anscheinend niemand:
Statistisch werden pro Tag in Deutschland 117 rechtsextreme Taten verübt. Ein Terror, der bisher kaum aufschreckt. Der rechte Terror beginnt aber nicht erst, wenn geschlagen oder geschossen wird, er beginnt, wenn Menschen ihr Leben aus Angst umstellen. Und Wahlkämpfende sich überlegen müssen, wie sie sich schützen.