Man kann von Lena Schilling halten, was man will, aber einen solchen Orkan muss man erst einmal so souverän durchstehen.
Zur Causa Lena Schilling ist praktisch von allen alles gesagt und ich schließe mich vielen der in diesem Zuge geäußerten Meinungen an, die sich leider gelegentlich auch widersprechen. Ich muss hier nicht auch noch meine zwanzig Meinungen zu den zwanzig Aspekten der Chose referieren, die Sie alle schon von anderen kennen, die sie aber bloß noch nicht von mir gehört haben.
Daher nur zwei, drei kurze Gedanken: Johannes Voggenhuber hat eine ganz treffende, weil elegante Formulierung gefunden, als er bemerkte, dass die Enthüllungen über Lena Schilling Verhaltensweisen zutage fördern, „auf die man nicht gerade stolz sein kann“, sie aber noch lange nicht zu einer verdammenswerten Person machen.
Folglich kann man beides zugleich: Die angelasteten Verhaltensweisen ziemlich problematisch finden und dennoch den Furor der Verfolgung, die Maßlosigkeit und die Unerbittlichkeit, mit dem Lena Schilling seit drei Wochen in den sozialen Medien und im Mediensturm fertig gemacht wird, mindestens ebenso hochproblematisch finden.
So schwanke ich zwischen meinen Ansichten, und da wir ja nicht nur Ansichten haben, sondern diese gerne mit Gefühlen verbinden, bin ich manchmal ein bisschen erschüttert über dies und über das. Aber nur ein bisschen. Meistens bin ich auch ein bisschen verzweifelt, über das Desaster, das da von den unterschiedlichsten Köchen angerichtet wurde. Die Skandale der Rechtsextremisten sind seit Wochen aus den Schlagzeilen, weil sich alles nur um die Schilling-Causa dreht, und weil man auf das Verhalten der „Grünen“ starrt wie auf einen Verkehrsunfall, der unschön anzusehen ist, aber bei dem man nicht wegschauen kann. Herr Vilimsky kann sich freuen, dessen Gaunereien und angewandten Anstandslosigkeiten bleiben unter dem Radar.
Am Ende ist das alles vor allem tragisch. Tragisch für Lena Schilling, tragisch für die „Grünen“ und tragisch für uns alle.
Das politische Talent Schillings
Unlängst kam mir aber folgender Gedanke: Man kann das, was hier gerade abgeht, auch als eine Feuerprobe, als einen Talentbeweis ansehen. Denn was immer man von Lena Schilling und ihren kolportierten Wesensarten im sozialen Verkehr halten mag, eines muss man unumwunden feststellen: Ihre Steherqualitäten und auch ihre kommunikativen Fähigkeiten, auf der eigenen Botschaft zu bleiben, die muss man erst einmal haben. So im Feuer zu stehen und unfallfrei durchzukommen – Hut ab. „Ich weiß, viele wünschen sich eine Rücktrittsstory, aber die wird es nicht geben. Stattdessen gibt es eine Kämpferinnenstory“, sagte sie bei der jüngsten Pressekonferenz.
Sie debattiert gegenwärtig in diesen vielen Konfrontationen der Spitzenkandidatinnen und -kandidaten. Verständlicherweise sieht sich das niemand von Ihnen an, ich auch nicht, aber gelegentlich zappe ich rein oder sehe mir einen Ausschnitt an. Normalerweise ist jemand, dessen Kampagne und Kandidatur so aus der Spur geworfen wurde, verunsichert und damit in einer erkennbaren Defensive. Nicht aber so Lena Schilling.
Muss man schon sagen: Respekt. Das muss man erst einmal bringen.
Grünes PR-Desaster
Vor allem wenn man die sogenannten Routiniers betrachtet. Kaum gibt Werner Kogler eine Pressekonferenz zum Thema, endet es in einem Unfall. Gibt die Grüne Parteisekretärin Olga Voglauer eine Erklärung ab, schlittert sie prompt in ein Desaster, das alles noch schlimmer macht. Verschwörungstheorien, Fakenews und antisemitischen Jargon von „Silberstein-Methoden“ inklusive. Man konnte das bei der jüngsten Pressekonferenz geradezu spüren, wie Lena Schilling, neben der „Verteidigerin“ platziert, augenscheinlich empfand: „Hat die das jetzt WIRKLICH gesagt?“
Wer solche Verteidiger hat, braucht eigentlich keine Feinde mehr.
Heute können die Grünen, wenn sie eine Pressekonferenz ankündigen, gleich zwei Termine in die Kalendervorschau eintragen: Die Pressekonferenz selbst, und dann zwei Stunden später die Erklärung, in der sie für die Aussagen in der Pressekonferenz um Entschuldigung bitten.
Das relativiert ein bisschen jene Argumente, die mangelnde Lebenserfahrung, Reife und das Alter von Lena Schilling besonders betonen: Wenn man sich ansieht, dass die „Erfahrenen“ gerade das ziemliche Gegenteil von „Bella Figura“ machen, untergräbt das die Überzeugungskraft dieses Einwandes. Wenn die Alten nur soweit kühlen Kopf bewahren würden, wie die junge Betroffene, wäre die Affäre weniger eskaliert.
Grüner Poker auf Solidarisierungswelle
Wie das alles ausgeht? Ich warte einmal ab. Stimmungen sind äußerst fragile Dinge und so, wie die Zeit alle Wunden heilt, bricht sie auch alle Wellen. Angriffe und Enthüllungen wirken zunächst einmal spektakulär und aufregend, wiederholt man sie drei Wochen lang, erscheint das vielen Beobachtern obsessiv und überzogen. Oft kippt allmählich die Ursprungsstimmung („Total arg, was die getan hat“) zu „Viel zu arg, wie man sie fertig macht“, und zwar alleine deshalb, weil wir Menschen sprunghafte Tiere sind. Was uns heute erregt, langweilt uns morgen schon. Wir sind zudem mitfühlende Geschöpfe, und haben daher auch Mitgefühl mit denjenigen, die sich berechtigten Vorwürfen stellen müssen, dabei aber mit zu viel Besessenheit verfolgt werden.
Darauf setzen die Grünen, nämlich darauf, dass dieser „Solidarisierungseffekt“ irgendwann einsetzt und dass dann das Wahlergebnis deutlich besser aussieht, als man jetzt annehmen würde.
Ich sage nicht voraus, dass es so sein wird. Ich sage nur, dass man nicht ausschließen kann, dass es am Ende so kommt.
Titelbild: Miriam Moné