Donnerstag, Oktober 10, 2024

Vilimsky, Kickl und die Flut: Europa säuft ab

Bis heute haben die politischen Dämme gehalten. Brechen sie jetzt in den Staaten, in denen zwei Drittel der Menschen in Europa leben?

Die Bild-Zeitung hat gerade das „ekelhafteste Plakat der EU-Wahl“ gekürt. Es stammt von der FPÖ und zeigt nicht einmal Harald Vilimsky. Fast zeitgleich fährt ein weißer Tesla auf der Wiener Nordbrücke in das nächstbeste Auto. Die Funken sprühen, weil der sinnlos betrunkene Lenker nur noch auf der Felge unterwegs ist.

Rauschfahrer Michael Sommer ist seit März 2023 Landtagsabgeordneter der FPÖ. Sein Chef, der FPÖ-Nationalratsabgeordnete Christian Lausch, hat eine Erklärung: „Wo Menschen sind, da menschelt es eben.“

Wenn freiheitliche Politiker „menscheln“, dann setzen sie sich betrunken ans Steuer, greifen in eigene und fremde Kassen und missbrauchen Ämter und Vertrauen. An den Umstand, dass Freiheitliche zu allem außer sauberer Amtsführung fähig scheinen, hat man sich in unserem Land durch jahrzehntelange Abstumpfung gewöhnt.

Sturzflut

Das Bedrückende ereignet sich fast zeitgleich woanders. Deutschfeistritz liegt ein paar Kilometer südlich meiner Kapfenberger Heimat. Dort ist gestern die Welt in Sturzfluten untergegangen. Ineinander verkeilt gingen Autos in engen Gassen unter. Fünfzig Personen, berichtet die Feuerwehr, habe man aus lebensgefährlichen Situationen retten können.

Einige der Deutschfeistritzer, die es heute überhaupt ins Wahllokal schaffen, werden mit der FPÖ die Partei wählen, die ihnen erklärt, dass das reines Wetterpech war. Sie werden brandgefährliche Klimaleugner zuerst im EU-Parlament und dann im Nationalrat stärken. Nach wie vor halten sie ein paar Ausländer für eine größere Gefahr als den Klimawandel, der sie gerade in Lebensgefahr gebracht hat.

Sie wählen eine Partei, die dafür sorgt, dass sie selbst mehr Steuern zahlen müssen, damit die Reichen keine zahlen; dass es wieder Klassenmedizin gibt und das Geld darüber entscheidet, ob man rechtzeitig die beste medizinische Behandlung erhält; dass kriminelle Hassprediger bleiben können und gut integrierte Arbeitskräfte abgeschoben werden; dass  russische Interessen über der österreichische Sicherheit stehen; und dass sich die Politiker, die sie wählen, in Brüssel mit Steuergeld-Champagner über ihre Wähler lustig machen.

Wut und Hass

Wer trotzdem einen Frankenstein-Doppelgänger, der außer Freibier wenig zu bieten hat, wählt, hat zwei starke Motive. Sie heißen „Wut“ und „Hass“. Die Wut richtet sich gegen die Politik, die sie mit ihren täglichen Sorgen allein gelassen hat. Den Hass lenken Boulevard-Hassmedien und asoziale Medien auf alle, die „anders“ sind.

2017 war die Kronen Zeitung neben Österreich das Kampfblatt für die Wende nach rechts. 2024 nimmt Heute den Platz der Krone ein. Diesmal lässt Eva Dichand für die FPÖ mobilisieren. Die Herausgeberin weiß, was sie bekommt: Schutz vor Vermögenssteuern und vor der gemeinsamen Bedrohung durch die WKStA.

Zwei Töpfe

Die politische Flutkatastrophe bedroht jetzt Brüssel. Bei der EU-Wahl werden heute zwei Töpfe neu gefüllt. Topf 1, das sind die Staaten, in denen Parteien der extremen Rechten in allen Umfragen auf dem ersten Platz liegen. In Topf 2 sammeln sich die Anwärter auf die zweiten Plätze. Frankreich, Italien, Niederlande, Ungarn, Slowakei und Österreich – das ist Topf 1. In Topf 2 rechnet man mit Deutschland, Polen, Lettland und Rumänien. Von den 419 Millionen Einwohnern der EU leben 290 Millionen in diesen zehn Staaten. Das sind 69 Prozent. Der politische Schutzdamm, mit dem die Union gegründet wurde, scheint damit gebrochen.

Die extreme Rechte greift erstmals europaweit nach der Macht. In der ehemaligen Mitte schwanken die christdemokratischen Reste. Meloni führt Von der Leyen vor und zeigt, wie leicht es geht. Die Grünen stehen mit den Sozialdemokraten am Rand und trösten sich mit der Gewissheit, dass sie von Mobilität bis Energieautarkie längst die Lösungen hätten.

Europa steht unter Wasser. Die Linke verliert die Menschen und die Rechte lässt sie absaufen. Es wird höchste Zeit, sich etwas Neues zu überlegen.

p.s.: (10.20 Uhr) In Deutschfeistritz war ein älteres Ehepaar im Auto in einer engen Gasse eingeklemmt. Das Wasser stieg immer höher. „Zwei Burschen aus einer Kebap-Bude“ sind, wie der Feuerwehrehauptmann berichtet, auf das Dach des Autos geklettert. Aus einem Fenster wurde eine Leiter herabgelassen. Die Insassen des Autos wurden gerettet.

Blunzenfette FPÖ-Politiker entscheiden, ob auch Lebensretter aus der „Kebap-Bude“ abgeschoben werden – ist das wirklich unsere Zukunft? Können wir wirklich nicht mehr verhindern, dass der politische Bodensatz ganz nach oben schwimmt?

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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