Sonntag, September 8, 2024

Nach der EU-Wahl: Volkskanzler und Vollkanzler

Nach der EU-Wahl gibt es kaum Sieger, aber eine Gefahr: den Rechtsblock aus Volkskanzler und Vollkanzler.

Kurz vor Nationalratswahlen sind EU-Wahlgänge für die Parteien vor allem eines: Tests. Die ÖVP ist nicht so tief abgestürzt und die FPÖ hat nicht so hoch gewonnen, wie das erwartet wurde. Die Grünen freuen sich über ihr blaues Auge mehr als die SPÖ. Bis auf die Neos gibt es unter den Parteien kaum Gewinner. Aber bei dieser Wahl ist mehr passiert als ein Hinweis auf die Startpositionen für die Herbstwahl.

1. Rechtsblock

Stellt man die Ergebnisse als Landkarten nebeneinander, dann gibt es drei deutschsprachige EU-Zonen: Rechtsland und Extremland. In Rechtsland liegt die CDU weit vorne an der Spitze. In Extremland haben AfD und Österreich die Nasen vorne.

Das ist Österreich im Europa-Juni 2024: Oberösterreich, Steiermark und Kärnten sind schon an die FPÖ gefallen. In Niederösterreich, Salzburg, Tirol und Vorarlberg war die ÖVP nur so knapp vorne, dass es bundesweit für Platz 1 der FPÖ gereicht hat.

Quelle: Lencer, CC BY-SA 3.0, via Wikimedia Commons

Und das ist Deutschland. Ostdeutschland ist Mittelösterreich, sonst sieht alles bereits beängstigend ähnlich aus. Der Vormarsch rechtsextremer und neofaschistischer Parteien erfolgt im deutschen Gleichschritt: „Heute gehört uns Kärnten, Sachsen oder Oberösterreich und morgen…“

Quelle: RND/Gurol

Aber die Bilder trügen. Die AfD dominiert nach wie vor nur die Regionen der Vernachlässigung, in der sich das ostdeutsche Erbe der wirtschaftlichen Rückständigkeit mit den autoritären Kulturresten der DDR mischt.

In Österreich ist die FPÖ gerade wieder dort, wo sie vor „Ibiza“ war. Das ist hoch genug, aber kein Erdrutsch, sondern ein Rückrutsch. Wenn die FPÖ gerade im Korruptionssumpf versinkt, kann sie sich auf ihren harten Kern von 10 bis 15 Prozent Vollblauer verlassen. Wenn die FPÖ mit Bierkrügen am Sumpfrand steht und hineinschimpft, können noch einmal so viele dazukommen.

Zur Gefahr wird die FPÖ erst gemeinsam mit ihrer bürgerlichen Schwester ÖVP. Nach 2000 und 2017 droht im September 2024 der nächste Rechtsblock. Diesmal scheinen beide Parteien bereit, von Rechtsstaat bis Pressefreiheit ein entscheidendes Stück weiterzugehen.

Als erster FPÖ-Chef hat Herbert Kickl keine Berührungsängste zu gewaltbereiten und verfassungsfeindlichen Rechtsextremisten. Als erster ÖVP-Chef ist Karl Nehammer Kickls nützlicher Idiot. Beim Block aus Volkskanzler und Vollkanzler könnte zum ersten Mal die FPÖ zur politischen Führungspartei werden.

2. Grüne

Selten haben sich die Grünen über ein blaues Auge so gefreut wie diesmal. Das blaue Auge verdanken sie ihrem Engagement für Klimaschutz und der Möglichkeit, Thomas Waitz mit einer Vorzugstimme vor Schilling zu reihen. Das ist offensichtlich gelungen, weil Schilling erfolgreich grüne Vorzugstimmen gegen Schilling mobilisiert hat.

Das größere Glück der österreichischen Grünen versteckt sich im deutschen Wahlergebnis. Dort haben 27 Prozent der Jungwählerinnen für Parteien wie „Volt“ gestimmt. Sie standen als neue und damit unbelastete Alternativen zu den Grünen weiter unten am Stimmzettel. Dort unten war der österreichische Stimmzettel ein letztes Mal leer.

In Österreich gehen Parteien nach Volt-Art unter Namen wie „Bierpartei“ erst im Herbst an den Start. Dann geraten die Grünen in Österreich zum ersten Mal in die Doppelmühle, unter der ihre Schwesterpartei in Deutschland schon schwer leidet.

Vorerst scheinen sich die Grünen auf ihre Klimaschutz-Insel gerettet zu haben. Ihr Hauptziel scheint ein möglichst milder Fall aus der Regierung in die Opposition zu sein. Als Alternative zum drohenden Rechtsblock spielen sie keine Rolle.

3. Europa

Nach der Wahl fällt die wichtigste Entscheidung in Brüssel. Bilden CDU und ihre Schwesterparteien den Rechtsblock von van der Leyen bis Meloni, oder verweigern deutsche Sozialdemokraten und Grüne für diesen Fall van der Leyens Nominierung durch die deutsche Bundesregierung? Vielleicht gelingt es Scholz und Macron, den alten Wall gegen die extreme Rechte noch einmal zu flicken. Doch alles scheint nur noch eine Frage der Zeit. Wie die ÖVP sind immer mehr konservative Parteien auf Brautschau dort, wo der rechte Rand zum politischen Strich aus Ausländerfeindlichkeit und Korruption wird.

Von Orbán und Erdogan bis Putin und Trump verfolgen viele mit Spannung, wie schnell die konservativen Parteien kippen. Schafft Meloni schon jetzt den Durchbruch in Brüssel? Müssen Europas Rechtsextreme warten, bis Dominosteine wie Österreich fallen? Oder geht es schon in Wien anders aus?

Darum geht es nach und vor der Wahl.

Titelbild: Christopher Glanzl ,FREDRIK SANDBERG / AFP / picturedesk.com, pixabay, Montage: ZackZack

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

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