Montag, September 16, 2024

Coldplay zündet Feuerwerke und predigt Nachhaltigkeit

Besuchern des Coldplay-Konzertes in Wien fiel eine besondere Aktion auf: Mit stromproduzierenden Tanzflächen und Bio-Treibstoff will sich die Band gegen den Klimawandel wappnen. Ein ernstes Anliegen oder hohle Imagepflege? ZackZack analysiert.

Die britische Band Coldplay gehört zu den bekanntesten Pop/Rock-Bands der Gegenwart. Ihre Songs werden auf Spotify milliardenfach geklickt, Konzerttickets sind für die nächsten Monate ausverkauft. Zurzeit tourt die Boyband durch die ganze Welt, auf ihrer „Music of the Spheres“-Tournee spielen sie das gleichnamige Album und mehr. Auch in Wien packte die Musikgruppe ihre Instrumente aus: Im Ernst-Happel-Stadium fanden Ende August vier Konzerte statt, alle bis auf die letzten Plätze gefüllt. Die Veranstaltungen waren ein voller Erfolg und brachten wieder Farbe in das nach der Konzertabsage von Taylor Swift verblasste Wien. Weltbekannte Songs wie „Viva la Vida“ oder „feelslikeimfallinginlove“ hielten die Fans auf Trab, eine kalkulierte Lichtershow begleitete die Musik.

Die Band ist nach eigenen Angaben aber viel mehr als nur Klassiker in der Gegenwart. Mit einem ambitiösen Klimaprojekt versuchen sie, die Kohlenstoff-Dioxid-Produktion der Tournee zu verringern bzw. wieder wettzumachen und möglichst klimaneutral zu agieren. Ihr Vorhaben und die begleitenden Maßnahmen dazu werden auf der Website der Band genauestens offenbart. Jedoch kassiert die Band für diese Ideen nicht nur Lob, sondern auch Kritik. Auf der einen Seite wird der Versuch gelobt, die Umwelt möglichst zu schützen, auf der anderen Seite wird die Aktion als „greenwashing“ bezeichnet. ZackZack beleuchtet beide Seiten.

Coldplay für den Klimaschutz

Eine Welttournee hat einen großen CO2-Fußabdruck. Es beginnt mit der Reise an den Zielort und endet mit dem anfallenden Müll nach dem Konzert. Laut eigenen Angaben versucht Coldplay, die Emissionen ihrer Auftritte zu verringern: „Wir haben uns verpflichtet, die direkten Emissionen der Tournee im Vergleich zur letzten Tournee (2016-17) um mehr als 50% zu senken“, erklärt die Band auf ihrer Homepage vor dem Start der Konzertreihe. Ende Juni geben sie ein Update und melden ganze 59% reduzierte direkte Emissionen als in der Tournee zuvor. Die Angaben wurden mehrfach bestätigt. Unter direkten Emissionen versteht man die Abfälle, die unmittelbar durch die Verbrennung von Energiestoffen entstehen – also v.a. durch Reisen.

Dennoch wird bei den Konzerten mehr CO2 ausgestoßen, als verringert werden kann, gesteht die Presseabteilung der Band ein. Dieses Überbleibsel wird mit alternativen Methoden eingeholt. So wird durch das Projekt „One Tree Planted“ pro gekauftem Konzertticket ein Baum gepflanzt – insgesamt seien das inzwischen über sieben Millionen Bäume, verteilt auf der ganzen Welt. Genauere Informationen zu diesen Daten sind auf der One Tree Planted-Seite ersichtlich. Die Daten wirken korrekt, sind sie aber über die Seite hinaus nicht prüfbar.

Tanzen und nebenbei Strom produzieren?

Die Lautsprecher brüllen, die Lichter flackern. Ein Konzert verbraucht viel Strom – Coldplay versucht, einen Teil der benötigten Energie selbst herstellen, mit interessanten Methoden: Überall auf dem Gelände werden Photovoltaik-Anlagen installiert, etwa in der Backstage-Area, heißt es auf der Website. Installiert werden zudem „kinetische Tanzböden“, welche die Tanzbewegung der Teilnehmer in Energie umwandeln sollen und Power-Bikes neben der Bühne, bei denen Freiwillige durch das Treten Strom erzeugen können. Diese Methoden klingen zunächst fortschrittlich, inwiefern sie in der Lage sind, eine nennenswerte Menge an Strom zu produzieren, sei dahingestellt. Mit besonders viel Stolz wird auf der Website die „erste mobile, wiederaufladbare Showbatterie“ vorgestellt. Produziert mit BMW sei sie in der Lage, ganze Konzerte mit Strom zu nähren.
Auch für den Transport und den Aufbau engagiert sich Coldplay nachhaltig. So verwenden sie, wieder nach eigenen Angaben, auf der ganzen Tour erneuerbaren Diesel. Dieser wird zu 100 % aus nachwachsenden Rohstoffen, vor allem aus Abfällen und Reststoffen wie Altspeiseöl, hergestellt. Die Verwendung von erneuerbarem Diesel kann die Kohlenstoffemissionen von Generatoren erheblich senken.

Zwischen den Zeilen lesen sich die Grenzen der Methoden heraus: „Wann immer es geht, verwenden wir den Bio-Diesel“, „Bei den Konzerten benützen wir so gut es geht nur unsere erneuerbare Energie“. Die Methoden geben also die Möglichkeit „so gut es geht“, einen Teil des CO2-Ausstoßes zu vermindern, aber ganz auf herkömmliche Energiestoffe kann man nicht verzichten. So stellt sich unumgänglich die Frage, ob die Maßnahmen ein seriöser Versuch sind, klimaneutraler zu agieren, oder ob sie zwar schön für das Image sind, aber in der Realität nicht relevant.

Große Attraktion beim Coldplay-Konzert war die aufwendige Lichtershow, die mit speziellen Brillen Herzen bildete. Ein Großteil der Brillen und der bunten Armbänder seien am Ende des Konzertes wieder abgegeben worden, heißt es auf der Homepage der Band. Foto: ZackZack

Viele weitere Initiativen

Absprechen darf man Coldplay ihren Versuch, klimafreundlich aufzutreten, nicht. Auf der Internetseite der Band werden viele weitere Tätigkeiten genannt, welche den ökologischen Fußabdruck vermindern sollen. Wiederverwendbare LED-Armbänder, die am Ende des Festivals eingesammelt werden, biologisch abbaubare Konfetti und lokal hergestellte Kost. Selbst die Feuerwerke, die in den Nächten der Konzerte regelmäßig den Himmel erleuchtet haben, seien weniger schädlich als herkömmliche. Zudem unterstütze die Band eine Menge an Organisationen, die sich für die Umwelt einsetzen. Neben dem bereits genannten „One Tree Planted“ finanziere Coldplay etwa „Ocean Cleanup“, eine Gruppe, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, Ozeane und andere Gewässer vom Plastikmüll zu befreien.

Ocean Cleanup’s Vorzeigeprojekt: Der Interceptor 005 sammelt eigenständig Plastik in Malaysias Flüssen ein. (Quelle: The Ocean Cleanup)

Wäscht sich Coldplay mit Klima-Organisationen?

Diese Vielzahl an unterstützen Projekten lassen aufhorchen. Genau dieses Vorgehen wird nämlich in anderen Kontexten oft als „Greenwashing“ bezeichnet. Was ist Greenwashing? Der Duden definiert den Begriff als den Versuch eines Unternehmens, sich durch Geldspenden für ökologische Projekte als umweltbewusst und umweltfreundlich darzustellen. In einem Schreiben nennt die Non-Profit-Organisation Greenpeace mehrere Gründe, wieso diese “Kompensationszahlungen” problematisch sind. Anstatt die eigenen Prozesse des Unternehmens nachhaltiger zu gestalten, wird ein Preis festgelegt, mit dem der Umweltschaden “bezahlt” werden könne – in Form von Kompensationen. Aussagen wie “Für jedes Ticket einen Baum” geben ein schönes Bild ab, beheben aber nicht den Schaden, der durch das Ticket verursacht wird. Abgesehen davon ist diese Wiedergutmachung nicht nachkontrollierbar: Eine schön gestaltete Website mag zwar noch so klar darstellen, wo die Bäume gepflanzt wurden, ob das aber stimmt, weiß niemand so recht. Inwiefern diese Bäume den Umweltschaden kompensieren, sei ebenso dahingestellt. Greenpeace nennt im Schreiben mehrere Forschungen, die belegen, dass die meisten Kompensationsprojekte ihren angezielten Wert klar verfehlen, etwa die Wiederaufstockung der Wälder: „Bäume pflanzen an sich kann nutzlos oder sogar zu Nachteilen führen, wenn es nicht standortgerecht und in Kooperation mit der lokalen Bevölkerung durchgeführt wird“, erklärt Greenpeace-Expertin Ursula Bittner auf Anfrage.

Das große Problem dieser Kompensationszahlungen ist laut Greenpeace, dass sie es den Unternehmen erlauben, gleich “schmutzig” zu bleiben. Durch die grünen Projekte anderswo bekommen die Unternehmen den grünen Stempel aufgedrückt, ohne sich nachhaltig zu verbessern. So sparen sich die Unternehmen nebenbei auch viel Geld: Ein paar gepflanzte Bäume sind billiger als umfangreiche Umstrukturierungen im eigenen Gebäude.

Coldplay des aktiven Greenwashings zu bezichtigen, ist vielleicht etwas hart. Dennoch: Auf der einen Seite wird Nachhaltigkeit gepredigt, auf der anderen Seite fliegt man um die Welt und zündet Feuerwerke. Das geht nicht Hand in Hand.

Coldplay: Zwischen Klimaschutz und Umweltverschmutzung

Im Gegensatz zu vielen anderen Stars bemüht Coldplay sich, etwas gegen den eigenen CO2-Fußabdruck zu unternehmen, Gegenbeispiele gibt es viele. Etwa Taylor Swift, die vor Kurzem in das Rampenlicht der Medien rückte, als ihre zahlreichen Privatflüge offenbart wurden. Bittner hält von derartigen Aktionen nicht viel: „Gerade die Musikbranche könnte ein Vorbild sein und Umwelt- und Klimaschutz ernst nehmen und breit kommunizieren. Das Künstler:innen beispielsweise mit dem Privatjet anreisen, sollte ein No-Go sein.“

Insofern kann man Coldplay lobend auf die Schulter klopfen: Sie versuchen, als Vorreiter in der Musikszene nachhaltigere Konzerte zu gestalten und auf die Umwelt zu achten. Andererseits kann man sich fragen, inwiefern so eine Mega-Show überhaupt notwendig ist. Ist die Musik allein nicht genug, um die Menschen anzulocken?

Kann eine Band dieser Größenordnung überhaupt klimaneutral agieren?

Coldplays Tournee erstreckt sich über mehrere Kontinente, solche Events nachhaltig zu gestalten, ist schwierig, aber machbar, so Büttner: „Es ist eine Herausforderung, eine Großveranstaltung wie diese klimafreundlich und umweltfreundlich auszuführen. Aber es ist möglich.“ Die An- und Abreise der Besucher sei der größte Emissionsfaktor, hier sollen Anreize geschaffen werden, um die Menschen in die Öffis zu lenken.

Eine unvermeidbare Frage bahnt sich an: Wie viel Rücksicht muss der Mensch auf den Klimawandel nehmen? Kein Auto, kein Plastik, keine Mangos im Winter. Muss der Mensch in Zukunft auch noch auf Konzerte verzichten? Zeigt Coldplay einen Weg, wie es auch noch morgen funktionieren könnte? Sollte man sich der Musik zuliebe auf ein gewisses Minus einigen? Viele Fragen, die sich stellen, gehen ins philosophische. Am Ende hilft nur eines: Kopfhörer rausholen und zu „A sky full of stars“ summen. Ein Lied, das Coldplay bei den Konzerten gespielt hat. Sterne wird man an den Abenden allerdings nicht gesehen haben – wenn nicht die Großstadtlichter, dann hielt spätestens der Rauch der Feuerwerke den Himmel bedeckt.

Autor

  • Nathanael Peterlini

    Nathanael Peterlini ist freier Journalist, kommt aus Bozen und lebt in Wien. Wenn ihm das aktuelle Weltgeschehen eine Verschnaufpause lässt, spielt er gerne Schach oder liest über organisierte Kriminalität aus Italien.

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