Sonntag, September 8, 2024

Brandstetters Geständnis: „Aussagen objektiv unrichtig“

Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter hat schriftlich gestanden, dass er im ÖVP-Untersuchungsausschuss „unrichtige Angaben“ gemacht hat. Jetzt wartet die Staatsanwaltschaft Innsbruck auf die Genehmigung der Anklage durch das Justizministerium.

Es wird ernst für Wolfgang Brandstetter. Vor kurzem entschied der Weisungsrat im Justizministerium über eine mögliche Anklage gegen den Ex-Justizminister. Im Anklagevorhaben geht es um den Verrat einer Hausdurchsuchung an einen betrugsverdächtigen „Investor“, der von Brandstetter vertreten wurde; um die Schiebung einer Berufung im Ministerium; um Parteibuchwirtschaft bei der Bestellung einer neuen Leiterin der Oberstaatsanwaltschaft Wien; und um eine Falschaussage vor dem ÖVP-Untersuchungsausschuss.

Wenn es bei Vorhaben der Staatsanwaltschaft um Prominente wie Brandstetter geht, werden die Entscheidungen darüber ganz oben im Ministerium im Weisungsrat getroffen. Jetzt sind sie am Weg nach unten. Demnächst erfährt der Innsbrucker Staatsanwalt, ob und zu welchen Fakten er Brandstetter anklagen darf. Der Leiter der Medienstelle der Staatsanwaltschaft Innsbruck bestätigte heute: „Der Akt ist noch nicht zurück bei der Staatsanwaltschaft“.

„unrichtige Angabe“

Von Anfang an bestritt der Ex-Justizminister die Vorwürfe des Amtsmissbrauchs. Doch in einem Punkt hat sich Entscheidendes geändert.

Auf Christian Pilnaceks Laptop findet sich unter der Zahl 9 St 64/21s der Akt des Brandstetter-Hauptverfahrens. Dort vermerkte der Innsbrucker Staatsanwalt Georg Schmid-Grimburg am 11. Mai 2022 einen Fund: „Bei Durchsicht des Protokolls der Befragung des Dr. Wolfgang Brandstetter als Auskunftsperson durch den ÖVP-Korruptions-Untersuchungsausschuss fällt auf, dass seine Angaben, wonach er sein privates Mobiltelefon am 25. Februar 2021 nicht bei sich im Verfassungsgerichtshof gehabt habe und es deshalb nicht der Staatsanwaltschaft übergeben habe können, unrichtig sind.“

Brandstetter hatte am 31. März 2022 im Untersuchungsausschuss ausgesagt. Gleich zu Beginn antwortete er auf die Frage von Verfahrensrichter Wolfgang Pöschl: Ich habe damals, und auch das ist mir wichtig, alle elektronischen Geräte herausgegeben, die ich damals verfügbar hatte und die auch bei mir waren. Es gibt ein privates Handy. Das hatte ich aber nicht bei mir, weil Sessionstag war und wir das dann ohnehin nicht verwenden dürfen. Das war eben zu Hause.“

Schon sechs Wochen später war er mit dieser Aussage ein Fall für die Strafjustiz. Der Staatsanwalt hatte Brandstetters Telefonate überprüfen lassen und dabei festgestellt: „Laut dem Ergebnis der Rufdatenrückerfassung führte Dr. Wolfgang Brandstetter nämlich rund 30 Minuten vor Beginn der Amtshandlung ein Telefonat mit seiner privaten Rufnummer, wobei diese am Standort 1010 Wien, Tiefer Graben 2 eingeloggt war.“

Sechs Tage später war es dann so weit. Der Staatsanwalt beschloss, Wolfgang Brandstetter bei der geplanten Einvernahme „auch zum neu hinzugekommenen Tatverdacht wegen § 288 StGB zu vernehmen“. Seit dem Prozess gegen Sebastian Kurz ist allgemein bekannt, was sich hinter dem Paragrafen 288 des Strafgesetzbuches verbirgt: die falsche Zeugenaussage. Auch Brandstetter könnte eine Aussage im U-Ausschuss zum Verhängnis werden.

Am 30. Mai 2022 meldete sich mit Georg Krakow der Anwalt des Ex-Justizministers und teilte dem Staatsanwalt mit, dass „derzeit keine Aussage“ gemacht würde, weil man erst kurz davor die Verständigung über die Ausweitung der Vorwürfe erhalten habe.

Im Jänner 2023 versuchte es der Staatsanwalt noch einmal und lud Brandstetter zu einer Beschuldigtenvernehmung für den 20. Februar 2023 nach Innsbruck. Um 13.00 Uhr notierte Staatsanwalt Schmid-Grimburg in seinem Tagebuch: „Zum Termin für die ergänzende Beschuldigtenvernehmung (20.2.2023, 13.00 Uhr) ist niemand erschienen“.

„Aussagen objektiv unrichtig“

Der Staatsanwalt ließ nicht locker und beschloss, Brandstetter ein letztes Mal zu laden. Am 22. Mai 2023 konnte er dem Ex-Justizminister endlich seine Fragen stellen. Doch zwei Tage zuvor war bereits alles klar. Brandstetters Anwalt Georg Krakow hatte der Staatsanwaltschaft eine „Stellungnahme“ nach Innsbruck gemailt.

Die entscheidende Passage der Stellungnahme beginnt mit einer Feststellung: „Am 31. März 2022 hat BRANDSTETTER im Untersuchungsausschuss ausgesagt.“ Auf der nächsten Seite folgt der Teil, der wohl als Geständnis gewertet werden kann: „Die Ausführungen in Punkt 2. zeigen, dass mehrere Aussagen BRANDSTETTERs objektiv unrichtig waren.“

Im Mai 2023 bestritt Brandstetter nicht mehr, unrichtig ausgesagt zu haben. Der Ex-Minister und sein Verteidiger hatten sich für eine andere Strategie entschieden, wohl auch, weil in der Zwischenzeit weitere Vorwürfe gegen Brandstetter hinzugekommen waren. Der ZackZack-Bericht über die Affäre „Marek“ – eine vermutete Schiebung bei der Neubesetzung der Leitung der Oberstaatanwaltschaft Wien – hatte Brandstetter den Vorwurf des Amtsmissbrauchs eingebracht.

Kognitive Störung

Die Anwälte legten der Stellungnahme einen ärztlichen Befund bei. Am 8. März 2023 hatte ein Facharzt für Neurologie bei Brandstetter eine „leichte kognitive Störung“ und „Migräne“, verstärkt durch eine COVID-Erkrankung festgestellt. Das hätte „einen erheblichen Einfluss auf die Gedächtnisleistung von BRANDSTETTER; dies wiederum führt unweigerlich dazu, dass er vergangene Ereignisse und Handlungen, insbesondere solche, die in einer Stresssituation geschehen, oft nicht mehr im Detail abrufen und richtig wiedergeben kann“. Die 2023 festgestellte Beeinträchtigung habe schon im Februar 2021 bei der Amtshandlung der Polizei und später im U-Ausschuss bestanden.

Als die Ermittler Brandstetter am 24. Februar 2021 an seinem Arbeitsplatz im Verfassungsgerichtshof aufsuchten, stellte niemand eine kognitive Beeinträchtigung fest. Kurz danach meldete die Kronen Zeitung: „Ex-Justizminister Wolfgang Brandstetter begab sich nach Amtsmissbrauchsvorwürfen in Spitalsbehandlung. Laut seinem Anwalt habe dies nichts mit einem verdeckten Rückzug zu tun, sondern sei eine Folge akuter Herz-Lungen-Beschwerden.“ Im Verfassungsgerichtshof wollte sich Brandstetter „vorübergehend“ vertreten lassen. Erst zum Zeitpunkt seines späteren Geständnisses war der Kriminalfall aus der Sicht des Brandstetter-Anwalts ein Fall für die Neurologie.

Sollte die Strafjustiz grünes Licht für eine Anklage geben, wird sie damit wohl auch gesundheitliche Argumente zu prüfen haben. Für Wolfgang Brandstetter gilt die Unschuldsvermutung.


Titelbild: BARBARA GINDL / APA / picturedesk.com

Autor

  • Peter Pilz

    Peter Pilz ist Herausgeber von ZackZack.

LESEN SIE AUCH

Liebe Forumsteilnehmer,

Bitte bleiben Sie anderen Teilnehmern gegenüber höflich und posten Sie nur Relevantes zum Thema.

Ihre Kommentare können sonst entfernt werden.

88 Kommentare

88 Kommentare
Meisten Bewertungen
Neueste Älteste
Inline Feedbacks
Zeige alle Kommentare

Jetzt: Sicherheitsrisiko „Kickl“

Nur so unterstützt du weitere Recherchen!