Freitag, November 8, 2024

Warum Zölle für chinesische Elektroautos eine Themenverfehlung sind

Vergangene Woche gab die EU-Kommission bekannt, die Zölle auf den Import von Elektroautos aus China anzuheben. Warum die Ankündigung am eigentlichen Problem vorbeigeht, erklärt Lisa Mittendrein von Attac in der aktuellen Kolumne „Machtfrage“.

Von Lisa Mittendrein

Das Auto ist das meistgehandelte Produkt der Welt. Kaum etwas verkörpert die Globalisierung so sehr. Geht es um den Handel mit Autos, geht es immer auch um die Zukunft der Globalisierung – gerade angesichts der Klimaerhitzung. Denn kaum etwas heizt die Klimakrise so stark an wie der Autoverkehr. Ist es da nicht widersinnig, importierte Elektroautos zu verteuern, wie das die EU-Kommission aktuell plant?

Es ist zwar richtig, dass die europäische Autoindustrie der chinesischen in der E-Mobilität weit hinterher hinkt. Die europäischen Konzerne haben die Klimakrise jedoch nicht einfach verschlafen, sondern gehört zu den großen Blockierern im Kampf gegen die Klimaerhitzung. Zölle werden also nicht ausreichen, um die europäische Industrie klimafit zu machen. Und sie vermitteln das falsche Bild, dass es nämlich im Wesentlichen eh so weitergehen könne wie bisher. 

Quelle: Creative Commons.

Die aktuell in den Wirtschaftsseiten diskutierte Frage “billige versus teure Elektroautos“ geht am Problem vorbei. Unsere Herausforderung in der Klimakrise besteht nämlich nicht darin, 250 Millionen (!) europäische Verbrenner-PKWs durch Elektroautos zu ersetzen. Denn der Strom für Elektroautos kommt ja weiterhin großteils aus Öl, Kohle und Gas. Und die Herstellung von E-Autos verbraucht, viele kostbare Rohstoffe, deren Verbrauch wir angesichts der desaströsen Arbeitsbedingungen und Umweltzerstörung im Bergbau besser senken als weiter ankurbeln sollten. Auch an zehntausenden Verkehrstoten, dem enormen Platzverbrauch und der damit einhergehenden Bodenversiegelung des Autoverkehrs ändern Elektroautos nichts.

Statt voll auf Elektroautos zu setzen, müssen wir die Art wie wir uns fortbewegen generell ändern und weniger abhängig vom Auto werden. Dafür müssen Regierungen und EU den öffentlichen Nah- und Fernverkehr massiv ausbauen. Er muss günstiger werden, und wir brauchen mehr Platz für Öffis, um zu Fuß zu gehen und Rad zu fahren. Statt Zersiedelung brauchen wir kurze Wege und öffentliche Anbindung. Die richtige Frage lautet also: Auto über alles oder Alternativen dazu?

Umbau der Wirtschaft mit demokratischer Kontrolle

Doch wir dürfen nicht bei einer anderen Verkehrspolitik stehen bleiben, sondern müssen bei der Produktion ansetzen, also in der Industrie. Klar ist, dass der nötige umfassende Umbau – etwa hin zu Zügen, Straßenbahnen und Elektrobussen – das aktuelle Geschäftsmodell der Autoindustrie untergräbt. Gleichzeitig sind zigtausende Arbeitsplätze an den Umbau der Wirtschaft gekoppelt. Die aktuelle Transformation muss daher damit einhergehen, andere Produktionszweige nach Europa zurückzuholen oder neu anzusiedeln. Dies gilt etwa in den Bereichen Medikamente, Lebensmittel und anderen Industriegüter. Eine regionale (oder kontinentale) Produktion ermöglicht nicht nur gute Arbeitsplätze, sie bringt auch Versorgungssicherheit und kurze, klimaschonende Transportwege.

Der grundlegende Um-, Rück- und Ausbau der Industrie ist eine enorme Herausforderung. Er kann nur mit klaren gesetzlichen Vorgaben und Verboten, staatlichen Investitionen, Beteiligungen und neuen öffentlichen Unternehmen mit demokratischer Kontrolle gelingen. Denn zu stark die Beharrungskräfte der schmutzigen Branchen.

Handelskrieg ist die falsche Alternative

Das Positive an der aktuellen Zoll-Debatte ist, dass das neoliberale Dogma des schrankenlosen Handels bröckelt. Zölle, Mengenbeschränkungen oder Regulierungen, die den internationalen Handel beschränken, wurden jahrzehntelang in Interesse multinationaler Konzerne verteufelt. In Wahrheit sind sie sinnvolle wirtschaftspolitische Instrumente, um Produktion, Konsum und Handel politisch zu regeln.

Bis jetzt mündet dieser Paradigmenwechsel jedoch leider nur in unpassenden und teils aggressiven Einzelmaßnahmen. Und wie die EU setzen auch die USA auf einen Handelskrieg mit China. US-Präsident Joe Biden hat eine Reihe neuer Zölle für chinesische Produkte angekündigt, darunter ebenfalls E-Autos sowie Solarpaneele und Batterien. Es ist der letzte Schritt in einer Reihe von Maßnahmen gegen chinesische Importe und Technologietransfers, die unter der Donald Trumps begannen.

Kooperation und Deeskalation in einer multipolaren Welt

Europa und die USA waren es gewöhnt, dem Rest der Welt jahrhundertelang politische und ökonomische Regeln zu diktieren. Heute leben wir, zumindest ökonomisch, in einer multipolaren Welt. Statt geopolitische Konflikte mit trotzigen Einzelmaßnahmen weiter anzuheizen, muss die EU im Umgang mit China auf Kooperation setzen und ihre Handelspolitik grundlegend ändern.

Es gibt genug Beispiele dafür, wie eine solche Kooperation aussehen kann: Als etwa in den 1980ern japanische Autos den US-Markt überschwemmten, kamen die Regierungen überein, dass japanische Firmen ihre Exporte freiwillig drosselten und für Investitionen in den USA Förderungen erhielten. Wo immer möglich, müssen wir also Warenströme durch Kooperation steuern.

Sind wir nun für oder gegen erhöhte Zölle auf chinesische Elektroautos? Dagegen. Aber aus ganz anderen Gründen als deutsche Autokonzerne oder viele Kommentator*innen der Wirtschaftspresse. Statt einem Handelskrieg brauchen wir eine neue Mobilitätspolitik, einen gezielten Umbau der europäischen Wirtschaft und Kooperation mit internationalen Partnern. Denn am Auto entscheidet sich die Zukunft des Klimas und der Globalisierung.


Lisa Mittendrein ist Sozioökonin und Wirtschaftsexpertin bei Attac Österreich.
Foto: Maria Noisternigg

Autor

  • Attac

    Attac richtet das Brennglas auf die ungerechten Dynamiken in der Wirtschaftswelt von heute. So sollen die Folgen der enormen Machtkonzentration internationaler Konzerne stärker in die öffentliche Debatte gezerrt werden. Ganz ohne Verschwörungsmythen.

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