Montag, September 16, 2024

Das Adriatische Meer erstickt im Algenschleim – mit unvorhersehbaren Schäden

Im August waren die Küsten der Adria mancherorts mit einer übelriechenden Algenmasse bedeckt –mit Folgen für Umwelt, Fischerei und Tourismus. ZackZack analysiert das Phänomen.

Die Augusthitze hat keine Gnade, sowohl im Schatten als auch in der Sonne ist es zu heiß, in der Nacht kühlt es nicht ab. Die beste Zeit für einen Urlaub, wenn es irgendwie geht, womöglich am Meer. Italien ist ein beliebtes Reiseziel für Österreicher und Österreicherinnen, besonders die nahegelegene Adriaküste im Osten des Stiefelstaates erfreut sich regelmäßig hoher Besucherzahlen. Wollte sich jemand in den letzten Wochen an der Adria frischer Meeresluft erfreuen, ist es aber gut möglich, dass der Anblick von Strand und Meer einem die Lust auf den Urlaub verdorben hat. Eine schleimartige Masse hat einen Großteil der Adriaküste bedeckt und sowohl geruchstechnisch als auch visuell das Meer verseucht. Was genau der Auslöser für den Schleim ist und welche Schäden er potenziell mit sich bringt, erklärt ZackZack.

Die Wissenschaft hinter dem Phänomen

Mikroalgen bzw. Plankton sind ein wichtiger Teil der Meeresvegetation. Diese stoßen u.a. bei der Blüte organisches Material aus. Das ist eigentlich ein natürlicher Vorgang und gehört zum Kreislauf des Ökosystems des Meeres. Im Adriatischen Meer, gelegen zwischen Italiens Ostküste und der Balkanhalbinsel, haben Mikroalgen jedoch eine derart große Menge dieses Materials produziert, dass das Salzwasser – von den Küsten bis ins weite Meer hinaus – zu einer dickflüssigen Suppe verkommen ist.    

So sah das Wasser im Hafen vom beliebten Touristenort Pesaro Anfang August aus (Quelle: Gemeinde Pesaro)

Was genau kann man sich unter diesem Blütenmasse vorstellen?

Der „Algenschleim“ besteht aus einer gelee-artigen Masse, die in Farbe und Konsistenz variiert – tendenziell weist sie einen gelb-, grün- oder bräunlichen Ton auf. Die bei der Blüte der Mikroalge „Gonyaulax fragilis“, die Hauptverantwortliche für das schleimige Problem, ausgestoßene Masse besteht hauptsächlich aus organischem Material. Das sind vor allem Polysaccharide – Mehrfachzucker – und Proteine. So lässt sich auch der schlechte Geruch erklären, der mit dem Schleim in Verbindung gebracht wird: Die organische Masse baut sich auf natürliche Weise ab, sie verfault sozusagen und riecht dementsprechend.

Die Gründe für die große Menge an Algenschleim

ARPAM ist das regionale Amt für Umweltschutz der italienischen Region der Marken. In einem Schreiben, das ZackZack vorliegt, nennt das Amt den Klimawandel als Hauptgrund für die Verseuchung. Die heißen Temperaturen erwärmen das Meereswasser stärker als sonst. Das Wasser überschreitet im Sommer regelmäßig 29 Grad Celsius, früher waren es noch durchschnittlich 26-27 Grad Celsius. Diese Wärme begünstige die Mikroalgen und treibe ihre Fortpflanzung an, so die ARPAM. Mitgespielt beim Prozess haben zudem stabile Meeresbedingungen: Unwetter würden die angelagerten Reste ins Meer schwemmen und verteilen, aufgrund mangelnden Regens staue sich die Masse hingegen an. Ohne Niederschlag führen auch Flüsse weniger Wasser mit sich und verringern so die Strömungen im Küstengebiet.

Weiterer triftiger Grund für die Überproduktion seien die im Meer angereicherten Nährstoffe. Vor allem drehe es sich dabei um Stoffe wie Phosphor und Stickstoff, die durch Landwirtschaft und Viehzucht in der Region ins Wasser gelangen. Diese geben dem Phytoplankton eine stabile Grundlage, um sich zu vermehren.

Im Schreiben unterstreicht ARPAM mehrmals, dass das Auftreten des Schleimes in der Adria keine Neuigkeit sei. Allgemeine Charakteristiken des Adriatischen Meeres wie die geringe Tiefe und das relativ “ungesalzene” Wasser würden die Algenbildung in der Zone unterstützen. Problematisch ist die Menge, in welcher der Schleim auftritt.

Beispiel für Schleim in der italienischen Region Marken. Quelle: ARPAM

Welche Auswirkungen hat der Schleim auf Menschen und Tiere?

Die Algenmasse wirke sich nicht auf die Gesundheit des Menschen aus, betont die ARPAM: „Das vermehrte Auftreten des Schleimes deutet nicht auf eine schlechte Wasserqualität hin.“ Dies bestätigen auch regelmäßige Kontrollen, die an verschiedenen Messpunkten im Meer durchgeführt werden. Demnach führen die Schleimstoffe nicht zu einem Anstieg von für den Menschen gefährliche Bakterien. Auch giftige Mikroalgenarten können nicht von den Schleimschichten profitieren und seien, mit einer Ausnahme, bei keinem Gewässertest aufgetreten. Das Wasser ist also badetauglich – ein dickflüssig verfärbtes, stinkendes Meer lädt dennoch nicht unbedingt zum Planschen ein.

Die Schleimmassen schaden nicht nur dem Tourismus, sondern auch die Wasservegetation wird maßgeblich vom Phänomen beeinflusst. Leidtragende ist etwa die Algenvegetation, die für Meereslebewesen eine essenzielle Rolle spielt. Die dicke Schicht auf der Meeresoberfläche verdunkelt den Meeresboden und nimmt den Algen das Licht für die Photosynthese. Auch vor Sauerstoff dichtet die Schleimschicht: Durch die Ansammlung von Schleim auf dem Meeresboden entsteht ein sauerstoffarmes Milieu, das zum Tod von Organismen wie Muscheln oder Schwämmen führen kann. Maßgeblich von der Algenschicht betroffen ist auch die Fischerei: Die dicke Masse auf der Meeresoberfläche erschwert das Auswerfen und Einholen von Netzen und schränkt Schiffschrauben ein.

Wo Geld fließt, liegt die Aufmerksamkeit

Die Situation in Italiens Strandprovinzen wird ernstgenommen. Wir befinden uns in der Hochsaison. Das letzte, was die touristischen Betriebe der Zone brauchen, sind ausbleibende Kunden, die wegen des schlechten Meereszustandes ihren Urlaub stornieren. Gerade an den Stränden herrscht nur im Sommer Tourismus, umso mehr Einfluss auf den Jahresumsatz haben einige Wochen verschmutztes Meer. Genaue wirtschaftliche Schäden sind noch nicht erkennbar, mehreren Medien zufolge führte das verschmutzte Meer aber zu gut besuchten Schwimmbädern in den umliegenden Gebieten.

Das ist nicht der erste Algenbefall mit solchen Ausmaßen: Bereits im Jahr 1989 kam es im Sommer zu einer wochenlangen „Verschleimung“ des Meeres – damals brach der ausländische Tourismusmarkt um 80 Prozent ein. Auch deshalb läuten auf den Stränden Italiens die Alarmglocken. Eine Sorge, die laut Patrizia Weinberger, Pressesprecherin des Reise-Unternehmens „tui“, vorerst nicht bestätigt werden kann. Demnach sei es in den problematischen Wochen zu keinerlei Rückfragen oder Beschwerden gekommen: „Offenbar waren die Kunden aufgrund der medialen Berichterstattung bereits darauf vorbereitet.“ Die italienischen Behörden hätten tui nicht über die Lage informiert.

Reaktionen der Politik

Der Bürgermeister von Rimini, Jamil Sadegholvaad, stoß zur Überlegung an, mehr Schwimmbäder in Strandnähe zu errichten. So erhofft sich der Chef der Mitte-Links-Koalition, im Falle eines verschmutzten Meeres eine Alternative für die Touristen parat zu haben. Zudem würde dies die Attraktivität von Rimini in kälteren Monaten steigern. Forderungen zur wirtschaftlichen Unterstützung gibt es derweilen vom Senator der Mitte-Partei „unione di centro“: In einer Parlamentsanfrage betont er den potenziellen Schaden, den der Algenschleim in der Fischerei anrichtet:“ Die Regierung muss sofort mit Entschädigungen eingreifen, um den wirtschaftlichen Schaden für den gesamten Fischereisektor zu beheben“. Kritisiert wird die Regierung um Premierministerin Giorgia Meloni auch von den Grünen. Meloni hätte es verpasst, angemessen auf die Situation zu reagieren, erklärt der Sprecher der grünen Partei „Europa verde“, Angelo Bonelli.

Endlich Regen

Zum ersten Mal traten die Schleimschichten in der zweiten Juni-Hälfte auf. Wegen fehlender Unwetter häufte sich die Masse mehr und mehr an. Höhepunkt waren schließlich die ersten Augustwochen, in denen sich der Schleim derart verbreitete, dass sich seine Schicht nicht mehr nur an den Küsten anlagerte, sondern auch im weiten Meer auffiel. Selbst aus dem All konnte man zeitweise die dickflüssig grünliche Substanz erkennen, dies zeigen etwa Aufnahmen des Satellitenprogrammes der Europäischen Raumfahrtbehörde, „Copernicus“.

Die Aufnahmen der Adria-Küste aus dem All erregten internationale Aufmerksamkeit (Quelle: Europäische Union: Copernicus Sentinel 2-Aufnahmen)

Die Algen verschleimten große Teile der nördlichen Adriaküsten Italiens bis in den Süden nach Apulien. Betroffen war nicht nur Italien, sondern auch Teile der kroatischen Küste auf der anderen Seite des Meeres.

Dann kam endlich der Regen. Am 20. August kam es zu Niederschlägen in verschiedenen Zonen der Ostküste Italiens. Das Unwetter brachte Bewegung in die Gewässer und kühlte das Meer ab. Binnen weniger Tage waren die meisten Küsten von den Schleimmassen befreit. Alles war wie früher. Mehrere italienische Medien berichteten in den darauffolgenden Tagen von klarem Wasser, gut riechender Luft und belebten Stränden. Was bleibt, ist der bittere Nachgeschmack des Klimawandels.

Fazit

Die betroffenen Gemeinden in den Tourismusgebieten versuchen bestmöglich, die Lage zu entschärfen. Auf eine Anfrage von ZackZack antwortet die Gemeinde Pesaro schnell: „Zuerst wollen wir Sie darauf aufmerksam machen, dass das Phänomen nicht nur uns betrifft, sondern die ganze nördliche Adriaküste. Weiters können wir mitteilen, dass unsere Strände wieder sauber und gut besucht sind.“ Weder die Gemeinde von Pesaro noch die von Rimini geben Auskunft über mögliche Vorbereitungen für die nächsten Jahre.

Es ist nicht das erste Mal, dass das Phänomen des algenverschmutzten Meeres auftritt. Das gern abgebildete Argument in der Diskussion über den Klimawandel: „Das war ja früher schon so“, zieht somit auch hier. Der Klimawandel schafft (noch) nicht Probleme aus dem Nichts – er verschlimmert bereits existierende Situationen. Das zeigt sich überall auf der Welt: Waldbrände wachsen schneller und sind schwerer zu bändigen, unterstützt von Trockenheit und Hitze. Unwetter werden heftiger und führen zu reißenden Überschwemmungen. Und auch eine natürliche Blüte von Mikroalgen wird von den immer wärmeren Temperaturen derart befeuert, dass sie ganze Meere im Schleim erstickt. Es ist schwer, zu erahnen, welche langfristige Schäden das Phänomen mit sich bringt. Politische Reaktionen fallen bislang nur lokal aus und sind eher darauf ausgerichtet, den Tourismus zu schützen, als die Natur. Dass man künftig öfters auf algenverschmutzte Strände treffen wird, ist anzunehmen.


Titelbild: YASIN AKGUL / AFP / picturedesk.com

Autor

  • Nathanael Peterlini

    Nathanael Peterlini ist freier Journalist, kommt aus Bozen und lebt in Wien. Wenn ihm das aktuelle Weltgeschehen eine Verschnaufpause lässt, spielt er gerne Schach oder liest über organisierte Kriminalität aus Italien.

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