Montag, September 16, 2024

Die nächste Letzte Generation kommt bestimmt

Überall liest man vom Rückzug des Öko-Aktivismus und vom Ende der Letzten Generation. Die Aktionen der vergangenen Jahre hatten aber bedeutende Schwächen. Eine Chance, sich neu aufzustellen und zu positionieren.

Die Letzte Generation ist – so lese ich – in Auflösung begriffen. Wer sie auch immer ist oder war; es wird nicht die letzte Letzte Generation gewesen sein. Ihr Thema hatte sie gefunden. Was ihr aber gänzlich fehlte: politische Stoßrichtung, Aufbau einer subkulturellen Widerstandsbewegung und ein Identifikationsangebot für die Menschen in diesem Land, damit sie sich mit den Aktivistinnen und Aktivisten solidarisieren konnten.

Die Letzte Generation schaffte es nicht Ökologie zu thematisieren, sondern sie beförderte meist eine Diskussion über ihre Methoden in die Schlagzeilen und Nachrichten. Dass das in einer mehrheitlich konservativ-reaktionären Presse geschah, und dass dort meist hämisch gegen die Aktivisten ausgeteilt wurde, versteht sich von selbst. Das hätte man geschickter nützen müssen.

Ich-Ich-Ich statt Basisarbeit

Heute stellen Grüne Parteien in Regierungskoalitionen mit pro-fossilen Parteien natürlich ein generelles Problem für Ökologie-Politik dar. Nicht nur das: Auch das Kopieren der Methoden konservativer Parteien von Anführerinnen und Gallionsfiguren wird zum Problem. Egal ob es um Greta Thunberg, Sigrid Maurer oder Lena Schilling geht. Die Figuren, die es schaffen, die Aufmerksamkeit der Medien an sich zu ziehen, haben der Ökologie keinen Dienst erwiesen. Im Gegenteil.

Sind sie in der Opposition präsentieren sie sich rotzig mit Stinkefinger oder fingieren Affären und Skandale; streben sie zu politischen Ämtern auf, werden sie von einer Horde PR-Beratern und Rechtsanwälten flankiert. Es sind Ich-Ich-Ich-Figuren wie Sebastian Kurz und keine politischen Talente, denn sie haben niemals in Aktivismus, Parlamentarismus oder Basisarbeit irgendwelche Erfolge erzielt. Sie verdienen mindesten fünfstellige Summen im Monat und haben keine Vorbildwirkung.

Frühere und heutige Grüne

Die früheren Grünen vereinten konservative Politikerinnen und Politiker, die meist aus dem ländlichen Raum kamen, eine linke, sozialreformerische (meist städtische) Bewegung und jene immer schon fraglichen alternativen Elemente, die sich vor allem in der Covid-Pandemie als wissenschafts- und aufklärungsfeindlich geoutet habe (eine kleine Splittergruppe kandidiert nun bei der Nationalratswahl als eigene Liste).

Die heutigen Grünen, die durch und durch bürgerliche Parteien sind und ihre linken Flügel, welche Ökologie an gerechte soziale Umverteilung und Demokratiepolitik gekoppelt hatten, erfolgreich entfernt haben, sind durch die Reduktion ihrer ökologischen Maßnahmen auf den Verzicht im Privatkonsum unwahrhaftig geworden.

Ein neues globales Paradigma

Denn selbstverständlich liegt es am Staat zu regulieren. Selbstverständlich liegt es an der EU zu regulieren (und zum Beispiel Lkw-Leerfahrten gänzlich und bei hohen Strafen zu verbieten). Selbstverständlich liegt es an großen Konzernen, viel zu bewirken. Und selbstverständlich muss durch Aktivismus auf die Umweltkatastrophen, auf die Verschmutzung und auch auf die Gewalt, die Millionen Menschen zur Migration treibt, hingewiesen werden, die diese Konzerne verursachen. Die Lücke, die die Grünen Parteien hier hinterlassen, muss gefüllt werden.

Hier die Vision eines neuen globalen Paradigmas zu entwerfen, wäre ebenso nötig, wie die Praxis früherer Befreiungskämpfe zu studieren. Darin war man nachlässig bis naiv. Aber ist es heute noch möglich, die globale Vision einer anderer Welt durch Aktivismus zu verbreiten? In einer geschichtslosen Zeit, die sich dem Diachronen widersetzt und die Denker und Kämpfer früherer Epochen schnell als Rassisten, Mörder usw. usf. abqualifiziert, scheint das auch kaum mehr möglich zu sein. In einer Zeit, in der das große fossile Kapital die Medien zu einem Großteil in der Hand hat, muss der Kampf anders ausgerichtet werden.

Ökologie in der Subkultur

Bleibt die Frage, ob sich heute eine Subkultur etablieren kann, in der man zumindest teilweise Ideen eines neuen globalen Paradigmas vorlebt. Darin liegt wahrscheinlich die beste Möglichkeit, nicht nur durch Protest und Behinderung, sondern auf konstruktive Weise und sogar ein wenig in das Wirtschaftsleben eingebunden, vorbildlich zu wirken.

Ich war jetzt zwei Wochen in Venedig. Natürlich fahren dort auch in Seitenkanälen Motorboote, die in der Früh Fisch zum Rialto Mercato bringen. Es sind aber nicht sehr viele. Der Großteil der Belieferung von Geschäften und der Entsorgung des Abfalls geschieht mit von Menschen gezogenen Handwagen, die keinen Lärm und keine Abgase verursachen und durch ihre Wendigkeit auch keine Behinderungen. Und das in einer Stadt mit engen Gässchen und einem gewaltigen Touristenaufkommen.

Wer schon einmal um acht Uhr früh über die Kärntnerstraße gegangen ist, kann dort erleben, wie Lkw in zwei oder drei Spuren in der Fußgängerzone parken. Das ist nicht notwendig. Würde man beginnen, mit anderen abgasfreien und lautlosen Zustellungsmethoden zu arbeiten, bin ich sicher, dass irgendwann Anrainer, Passanten, Geschäftsleute und Touristen mehrheitlich den Vorteil dieser Methoden begrüßen würden.

Europa ist nicht innovativ

Österreich ist am absteigenden Ast. Die zwei rechten Parteien, die sich – als bezahlte Lobbyisten – für fossile Energie stark machen, sind auf dem Holzweg. Aber auch die Ökologen, die sich für E-Mobilität stark machen – denn die hängt an einer Stromerzeugung, die in Europa auf dem Stand der Achtzigerjahre ist. Europa ist nicht innovativ genug. Die asiatischen Staaten werden Europa in Sachen Wasserstoff, CNG (Compressed Natural Gas) und Kernfusion überholen, wenn sie es nicht schon längst haben.

Die europäischen Länder haben keine Ökologieparteien, die auf technologische Entwicklung zum Erreichen von Klimazielen setzen, sondern rein auf den Verzicht des Privatkonsumenten bauen, während sie ihre Wirtschaft weitermachen lassen wie bisher. Das wird nicht ewig so gehen. Und so sind Öko-Aktivismus gleichzeitig erwünscht und unerwünscht: Es soll ihn geben, damit es nach Klimaschutz aussieht; aber sie sollen um Gottes Willen nicht mich blockieren, wenn ich mit dem Auto siebenhundert Meter fahren um zwei Karotten einzukaufen. Bevor wir unsere Bigotterie und Bequemlichkeit nicht aufgeben, wird sich wohl nichts ändern. Aber die nächste Letzte Generation kommt bestimmt.


Titelbild: Miriam Moné

Autor

  • Daniel Wisser

    Daniel Wisser ist preisgekrönter Autor von Romanen und Kurzgeschichten. Scharf und genau beschreibt er, wie ein Land das Gleichgewicht verliert.

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