Der Beschluss des OLG Wien, der gestern zur Enthaftung von Egisto Ott geführt hat, ist ein schwerer Rückschlag für die Ermittler der AG Fama. Mit SINA-Laptops, Kloibmüller-Handy und Grozev-Meldeabfrage sind die drei wichtigsten Säulen ihres Vorwurfs beschädigt.
Am Mittwoch, den 26. Juni 2024, wurde der Untersuchungshäftling Egisto Ott kurz nach 10.30 überrascht. Ein Justizwachebeamter öffnete die Zellentür und teilte Ott mit, dass er gehen könne. Grund dafür war ein Beschluss, den ein Senat des Oberlandesgerichts Wien unter dem Vorsitz von Dr. Werner Röggla am selben Tag ausgefertigt hatte.
Egisto Ott hat ZackZack ausführlich über seine Monate in Haft und über den Moment seiner Entlassung informiert. Als Ott am 27. Juni 2024 die ersten ZackZack-Fragen zu seiner Haft beantwortet, kennt er selbst den Inhalt des Beschlusses noch nicht.
Der 31-seitige OLG-Beschluss liegt ZackZack vor. In zahlreichen Punkten wird der dringende Tatverdacht gegen Egisto Ott nach wie vor bejaht. Aber in den drei Hauptfakten kommt das OLG zu einem neuen Schluss: Jetzt „geht das Beschwerdegericht nicht von einem dringenden Tatverdacht in Bezug auf die Fakten „Grozev“, „Diensthandies“ und „SINA-Laptop“ aus“.
Für die AG Fama, die im Bundeskriminalamt seit Jahren gegen Ott ermittelt, ist der Beschluss ein schwerer Rückschlag. Die drei Säulen, auf die sie ihre Vorwürfe stützten, sind beschädigt. Es bleibt noch viel zu ermitteln. Aber der nüchterne Befund des Oberlandesgerichts scheint einen neuen Blick auf den Fall „Ott“ nötig zu machen.
SINA-Laptop
„Bei gegenständlichem SINA-Laptop der Firma SECUNET AG handelt es sich um die niedrigste Schutzklasse, die zumindest theoretisch (…) von jeder Privatperson gekauft werden kann.“ Damit gibt das OLG die erste Entwarnung: „Gegenständliche SINA-Laptops sind also keine Geräte, die in einem Klassifizierungsgrad GEHEIM verwendet werden dürfen.“ Monatelang hatten Journalistinnen wie Anna Thalhammer die SINA-Gefahr beschworen: „Die Erkenntnis, dass ein solcher SINA-Laptop im November 2022 den Weg nach Russland gefunden haben könnte, versetzte die Behörden in Deutschland und Österreich in höchste Alarmbereitschaft. Denn derartige Laptops werden vor allem von Sicherheitsbehörden eingesetzt“. Das OLG weiß es besser: „Diese SINA-Laptops stellen in vielen Bundesbehörden den Standardarbeitsplatz dar“.
Der Schlusssatz stellt der AG Fama kein gutes Zeugnis aus: „Da bislang keine tauglichen Ermittlungsergebnisse in diese Richtung vorliegen und nicht bekannt ist, ob und welche Daten sich auf gegenständlichem SINA-Laptop befunden haben, ist der Tatverdacht nicht als dringend anzusehen“.
Grozev und Kloibmüller
Im Fall „Grozev“ steht es nicht besser. Das OLG stellt fest: „Dass zu Grozev eine Meldesperre vorlag, ist dem Akt nicht zu entnehmen, sondern derzeit nur Spekulation, sodass von allgemein zugänglichen Daten auszugehen ist“. Zum Vorwurf, Ott habe für die Meldeauskunft nicht bezahlt, hält das Gericht lakonisch fest: „Ein Schädigungsvorsatz in Bezug auf Gebühren von EUR 3,30 ist im Übrigen nicht anzunehmen“.
Damit sind die schwerwiegenden Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Investigativjournalisten Grozev wie die Aufträge von Martin Weiss, Auskünfte über den Putin-kritischen Investigativjournalisten einzuholen, nicht entkräftet. Nach wie vor besteht der Verdacht, dass Grozev gezielt verfolgt wurde und dazu Daten beschafft wurden.
Im Fall der drei Diensthandys, die bei einem missglückten Bootsausflug mit Katharina Nehammer ins Wasser und dann Ott in die Hände fielen, kommt das Gericht zu ähnlichen Schlüssen: „Den Zeugenaussagen (…) ist zu entnehmen, dass wohl personenbezogene Daten, die unter das Amtsgeheimnis fallen, nicht aber geheime Daten oder gar Staatsgeheimnisse auf den Handys befindlich waren“. Der Schluss ist klar: „Eine Verletzung konkreter und vitaler Interessen Österreichs durch deren Übermittlung und der entsprechende Vorsatz des Ott hierauf lässt sich nicht zur Annahme eines dringenden Tatverdachts hinreichend begründen“.
Das Bekanntwerden der BMI-Chats auf dem Handy von Sobotkas Kabinettschef Michael Kloibmüller verletzte offensichtlich Interessen der ÖVP – aber nicht der Republik Österreich.
Kein Haftgrund
Ott hat nach Ansicht des Gerichts nach seiner letzten Enthaftung im Februar 2021 keine strafbaren Handlungen gesetzt. Daher war keine Tatbegehungsgefahr anzunehmen und somit kein Haftgrund gegeben.
Der OLG-Beschluss ist kein Freispruch für Ott. Der ehemalige BVT-Mann wird sich weiter für eine Reihe von Vorwürfen verantworten müssen. Der Fall “Grozev” scheint ebensowenig geklärt wie etwa der Fall “Senin”. Ott ist es bisher nicht gelungen, diese Vorwürfe zu entkräften. Aber die Geschichte des Superagenten, den die AG Fama nach einer jahrelangen Jagd mit geheimsten Agenten-Laptops und ebenso geheimen Handys gestellt und die Staatsgeheimnisse der Republik im letzten Moment geschützt hat, ist auf ernsthafte Ermittlungen gegen beschuldigte BVT-Beamte geschrumpft.
Damit wächst die Chance, dass nicht weiter von den Hauptverantwortlichen für Missbrauch und Beschädigung des BVT abgelenkt wird: von Innenministern, die das BVT politisch missbrauchten und letztlich zerstörten.
Morgen: Teil 2 des Interviews mit Egisto Ott – “Die Vorwürfe”