Montag, September 16, 2024

EU-Kommissar: Kuhhandel ohne Kühe

Die Ernennung des österreichischen EU-Kommissars ist zu einem Kräftemessen zwischen Grünen und der ÖVP verkommen. Die Grünen können die ihnen zugedachten Positionen nicht besetzen – und blockierten im Gegenzug beim Kommissar. Jetzt könnte es allerdings eine Einigung geben

Wer wird österreichischer EU-Kommissar in der neuen EU-Kommission? Johannes Hahn macht nach drei Amtszeiten nicht weiter. Die Grünen haben Deals mit der ÖVP zuletzt platzen lassen. Im geplanten Tauschhandel um Ämter haben sie keine guten Karten und lassen das die ÖVP spüren.

In zwei Wochen will Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die Nominierungsvorschläge Österreichs vorliegen haben. Sie entscheidet wann, wer Kommissar in welchem Ressort wird. Die Zeit drängt.

Kein Personal für Sideletter-Vereinbarung

In einem nicht für die Öffentlichkeit bestimmten Sideletter wurden 2019 bei den Koalitionsverhandlungen zwischen Grünen und der ÖVP – noch unter Sebastian Kurz – die Spitzenpositionen in der Europäischen Union fixiert. Die ÖVP sollte demnach den Kommissar auswählen dürfen, die Grünen im Gegenzug eine Richterin am Europäischen Gerichtshof (EuGH) und am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR).

Bei letzterem wurde am 26. Juni bereits der Ungar András Jakab als österreichischer Kandidat bestätigt. Dessen neunjährige Amtszeit beginnt im November. Da die Nominierung am EGMR nicht an die Staatsbürgerschaft geknüpft ist, konnte Österreich einen ungarischen Kandidaten vorschlagen. Der von Österreich zuerst bevorzugte Kandidat Gregor Heißl wurde nach einem Hearing vom Richterausschuss in Frankreich abgelehnt.

Damit ist eine der beiden Stellen, die die Grünen laut Vereinbarung besetzen können, bereits besetzt. Auch beim prestigeträchtigeren Posten am Europäischen Gerichtshof stehen die Chancen schlecht, dass die Grünen einen ihrer Kandidaten durchsetzen werden. Denn der amtierende Richter Österreichs, Andreas Kumin, will im Amt bleiben und hat sich bereits beworben. Seine Chancen auf eine Verlängerung stehen gut.

Gerüchte, wonach Justizministerin Alma Zadic Interesse für die Stelle am EuGH hätte, bestreitet das Justizministerium gegenüber ZackZack: „Die Ausschreibungsfrist für diese Position ist bereits seit längerem ausgelaufen, die Ministerin hat sich nicht dafür beworben und strebt diese Position auch nicht an. Sie konzentriert sich auf ihre Aufgabe in Österreich und die Nationalratswahlen im Herbst.“ In der ÖVP bemerkt man mit Schadenfreude, dass Zadic die erforderlichen Französischkenntnisse ohnehin nicht mitbrächte.

Sollte Österreich offiziell jemanden nominieren, würde das den offiziellen Bewerbungsprozess entscheidend beeinflussen. Die Nominierung ist allerdings nicht einfach: Am EuGH werden nur hochrangige Juristen mit guten Französischkenntnissen akzeptiert.

Ein Sprecher des EuGH gab ZackZack gegenüber an, nichts über die anderen Bewerber neben Kumin zu wissen. In einem Schreiben vom 5. April stellte der Präsident des Europäischen Gerichtshofs gegenüber Österreich klar: “Um zu verhindern, dass sich die Bearbeitung der Rechtssachen vor dem Gerichtshof wegen der teilweisen Neubesetzung der Stellen seiner Mitglieder verzögere, wäre es wünschenswert, dass die Ernennungen innerhalb kürzester Frist erfolgten und die Regierungen zu diesem Zweck ihre Vorschläge so bald wie möglich vorlegten.” Fast vier Monate später ist die Bundesregierung immer noch säumig.

Derzeit sieht es nicht danach aus, als könnten die Grünen im laufenden Kuhhandel mit der ÖVP eine passende “Kuh” an den Start für EGMR und EuGH bringen. Das könnte ein wesentlicher Grund dafür sein, dass Vizekanzler Werner Kogler im Juni verkündete, sich nicht mehr an die Vereinbarungen aus dem Sideletter halten zu wollen. Das Rennen um den EU-Kommissar ist damit wieder offen.

Brunner, Edtstadler, Karas oder Gewessler?

Geht es nach der ÖVP, ist Finanzminister Magnus Brunner in der Poleposition für den lukrativen Kommissarsposten. Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen forderte die Mitgliedsstaaten jedoch kürzlich dazu auf, zwei Kandidaten zu nominieren, von denen sie dann einen auswählen würde. Jedes Land sollte einen Mann und eine Frau vorschlagen. Bis 30. August müsse jedes Mitgliedsland seine Kandidaten bekanntgeben. Die Volkspartei ist angeblich bereit, von der Leyens Wunsch nachzukommen. Die weibliche Alternative zu Brunner ist allerdings noch ungewiss.

Doch die ÖVP hat die Rechnung ohne die Grünen gemacht, die sich jetzt querlegen. Zuletzt ließen sie durchblicken, dass sie sich Othmar Karas, den bisherigen Vizepräsident des EU-Parlaments, als neuen österreichischen EU-Kommissar vorstellen könnten. Für die ÖVP wäre das ein Schreckensszenario. Karas kritisierte die Partei zuletzt immer wieder offen, diese bezeichnet Karas im Gegenzug als „politisch isoliert“. Auch bei der FPÖ, dem wahrscheinlichsten ÖVP-Koalitionspartner nach der Nationalratswahl, genießt Karas keine große Beliebtheit.

Zwist auch in ÖVP, Opposition will Anhörung

Laut Kurier rückt eine Einigung auf einen einzelnen Kandidaten näher. Vizekanzler Werner Kogler und Kanzler Karl Nehammer sollen am Wochenende Gespräche und Anfang nächster Woche intensive Gespräche über den Kommissarsposten führen. Laut Standard scheint die Regierung einer Einigung nähergekommen zu sein. Demnach könnten die Grünen Magnus Brunner akzeptieren. Was das für den üblichen Kuhhandel um Posten bedeutet, bleibt unklar. Sollte tatsächlich Brunner Kommissar werden, dürften die Grünen in diesem Tausch leer ausgehen. Die Presseabteilung Koglers war für ZackZack-Anfragen zu dem Thema nicht erreichbar.

Wie der Journalist Josef Votzi im trend schreibt, wollte Edtstadler unbedingt einen Karrieresprung hinlegen und als Kommissarin nach Brüssel gehen. Nehammer hat laut Votzi jedoch Angst vor den Ambitionen seiner Europaministerin und will sie möglichst klein halten. Bei einer Aussprache im Kanzleramt sagte er demnach: “In diesem Leben geht es sich sicher nicht mehr aus, dass ich als Bundeskanzler dich als Österreichs EU-Kommissarin nach Brüssel schicke.”

SPÖ und NEOS wünschen sich eine Anhörung im Parlament, bevor es zu einer Entscheidung im Hauptausschuss kommt. Bevor das Realität wird, braucht es jedoch Einigkeit im Ministerrat der Regierung. Diese ist derzeit noch nicht in Sicht. Der Kuhhandel stockt.


Titelbild: ROLAND SCHLAGER / APA / picturedesk.com

Autor

  • Daniel Pilz

    Redakteur bei ZackZack. Studierte Philosophie an der Uni Wien und schreckt auch vor komplexen Themen nicht zurück.

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